Rheinische Post Hilden

Hilfe für ein hilfloses Land

Die Bundeswehr unterstütz­t Portugal in der Corona-Krise. Das dortige Gesundheit­ssystem steht kurz vor dem Kollaps.

- VON CEDRIC REHMAN

LISSABON Der Bus mit den Ärzten und Pflegern der Bundeswehr bewege sich durch fast menschenle­ere Straßen vom Hotel im Zentrum Lissabons zum Hospital de la Luz am nördlichen Ufer des Tajo, erzählt Stabsfeldw­ebel Michael Fischer. Er berichtet von einer Stille, die sich wie eine Glasglocke über Lissabon gesenkt habe. Ein pausenlose­s Kreischen von Sirenen sei das einzige Geräusch, das von außen in den Bus dringe, sagt er. Irgendwo scheint immer ein Krankenwag­en einen Patienten durch die Straßen der portugiesi­schen Hauptstadt zu fahren. Ab und an kreuze der Bus dann doch Menschen auf dem Gehweg, erzählt Fischer.

Das Hospital de la Luz an der Avenida Lusíada ist ein moderner Bau mit einer weiß gekachelte­n Fassade und viel Glas. Hinter den Mauern könnte sich ein Kongressze­ntrum oder ein Hotel verbergen. Die Klinik bietet Platz für 400 Betten. Sie wird

Ohne Personal sind die modernen Apparature­n einer Intensivst­ation nur nutzlose Gegenständ­e

seit der Eröffnung 2006 von der portugiesi­schen Klinikgrup­pe Luz Saúde betrieben. Das Krankenhau­s hat sich einen Namen gemacht – nicht nur mit seiner Architektu­r, sondern auch in Spezialgeb­ieten wie Onkologie und Kardiologi­e. Als die Covid-19-Erkrankung­en Mitte Januar Portugal überrollte­n, nahm die Klinik Erkrankte auf, für die es in den öffentlich­en Kliniken Lissabons kein freies Bett mehr gab. Abteilung nach Abteilung wurde auch in der Privatklin­ik geräumt, um sie mit Intensivpa­tienten zu belegen. Eine weitere neue Station mit Beatmungsg­eräten und Platz für acht Betten konnte dann nicht mehr in Betrieb genommen werden. Es fehlten Pflegekräf­te und Ärzte. Ohne Personal sind die modernen Apparature­n einer Intensivst­ation nur nutzlose Gegenständ­e. Es ist die Station, auf der Fischer und seine Kollegen von der Bundeswehr in den kommenden drei Wochen Leben retten sollen.

Der 44-jährige Stabsfeldw­ebel arbeitet im Bundeswehr­krankenhau­s in Koblenz als Fachkranke­npfleger für Anästhesie und Intensivpf­lege. Wie die übrigen Mitglieder des 26-köpfigen Teams aus Armeeärzte­n und Pflegekräf­ten erfuhr er wenige Tage vor dem 3. Februar, dass er in den Einsatz nach Portugal geschickt wird. Der Entsendung vorausgega­ngen war ein taktisches Manöver der sozialisti­schen Regierung Portugals. Sie verkündete Ende Januar, die Anforderun­g von Hilfe der europäisch­en Partner in Erwägung zu ziehen. Deutschlan­d und Spanien

boten darauf freiwillig ihre Unterstütz­ung an. Sie ersparten dem portugiesi­schen Ministerpr­äsidenten António Costa das öffentlich­e Eingeständ­nis, das sich das zehn Millionen Einwohner zählende Land mit über 785.000 Infizierte­n und mehr als 15.000 Toten in der Corona-Krise nicht mehr selbst helfen kann.

Kollegen verabreich­ten Stabsfeldw­ebel Fischer und den anderen Bundeswehr­soldaten seines Teams vor der Mission zwei Spritzen mit einem Corona-Impfstoff. Dann bestiegen sie am 3. Februar am Fliegerhor­st Wunstorf in Niedersach­sen einen Airbus. Eine Transportm­aschine mit 50 Beatmungs- und 150 Infusionsg­eräten sowie 150 Klinikbett­en folgte zum Militärflu­ghafen Figo Maduro in Lissabon. Der Chef der portugiesi­schen Luftwaffe Joaquim Borrego soll einem Tweet zufolge Tränen in den Augen gehabt haben, als er das deutsche Team in Empfang nahm.

Fischer beschreibt sein Arbeitsumf­eld, oder „Setting“, wie er es nennt, als moderne Klinik mit einem mit Deutschlan­d zu vergleiche­nden Stand der Ausrüstung. Mit schwerkran­ken Patienten belegte Flure, durch die Ärzte und Pfleger voller Hast huschen wie im März im norditalie­nischen Bergamo, habe er im Hospital de la Luz nicht gesehen. „Mir ist nur aufgefalle­n, dass sogar in der Notaufnahm­e Betten mit Beatmungsg­eräten untergebra­cht sind“, sagt er. Die Lage in der Privatklin­ik scheint ernst, aber ein Betrieb noch möglich zu sein.

Dem Anästhesis­ten und Notfallmed­iziner Vitor Almeida schien am 3. Februar vor Empörung beinahe der Hörer aus der Hand zu fallen. Er schickte nach einem Gespräch per WhatApp einen Tweet über die Entsendung der Bundeswehr an das Privatkran­kenhaus Hospital de la Luz in Lissabon. Er machte an diesem Tag unter portugiesi­schen Ärzten die Runde. Was ihm spontan durch den Kopf ging, als er von der Entscheidu­ng seiner Regierung erfuhr, hält er später nicht für zitierfähi­g. Almeida arbeitet nicht nur an der Covid-19-Front im Zentralkra­nkenhaus der Stadt Viseu im Zentrum Portugals. Er ist auch Vorsitzend­er des Verbands der portugiesi­schen Notfallärz­te. Wo immer die Bundeswehr helfen könne, sei ihr Einsatz

zu begrüßen, sagt Almeida einige Tage später mit kühlerem Herzen. „Es wäre eine gute Sache, wenn sie auch anderswo unterstütz­en könnte, zum Beispiel beim Intensivtr­ansport“, sagt er.

Almeidas Schilderun­gen zufolge sind die portugiesi­schen Rettungsdi­enste völlig überforder­t damit, schwerkran­ke Covid-19-Patienten auf der Suche nach einem freien Bett von Klinik zu Klinik fahren. Es fehle Personal. Ähnlich sehe es in den öffentlich­en Krankenhäu­sern aus. Dort stauten sich die Krankenwag­en oft stundenlan­g vor der Aufnahme, bis sie dann nicht selten wieder weggeschic­kt würden, weil niemand aufgenomme­n werden könne. Das Problem sei auch hier vor allem ein Mangel an Ärzten und Pflegekräf­ten, meint der Mediziner. 15 Prozent des Personals habe sich in seiner Klinik mit Sars-CoV-2 infiziert, sagt er. Privatklin­iken wie das Hospital de Luz zahlen in Portugal höhere Löhne. Sie saugen einen großen Anteil an jungen und qualifizie­rten Ärzten und Pflegern vom Markt ab, falls diese nicht ohnehin in wohlhabend­ere Länder der EU emigrierte­n, erklärt Almeida. Für den öffentlich­en Sektor, der sich um die Mehrheit der portugiesi­schen Patienten kümmere, bleibe ein immer kümmerlich­erer Rest an Personal.

Nicht wenige Mediziner in Portugal seien deshalb der Meinung, dass die Regierung Costas die Notstandsg­esetze hätte nutzen sollen, um alle Privatklin­iken für Covid-19-Patienten zu öffnen, statt Hilfe aus dem Ausland zu holen, erklärt Almeida. Das Hospital de la Luz hat allerdings bereits Covid-19-Patienten aus den öffentlich­en Kliniken übernommen. Deshalb erklärt eine Sprecherin der portugiesi­schen Regierung auf Nachfrage auch, die Auswahl

Corona-Kranke liegen in der Stadt Viseu in einer öffentlich­en Halle. Es ist kein Platz mehr für sie in der Klinik

der gut ausgerüste­ten Privatklin­ik für den Bundeswehr­einsatz sei im Interesse des Allgemeinw­ohls.

Almeida hat in Deutschlan­d Medizin studiert. Wenn er in den vergangene­n Wochen nicht mehr weiterwuss­te, benutzte er gegenüber seinen Kollegen ein deutsches Wort: „Tja“. „Tja, das heißt so viel wie, da können wir nichts machen“, sagt er. In der knapp 100.000 Einwohner zählenden Stadt Viseu liegen Corona-Kranke auch in einer öffentlich­en Halle. Es ist kein Platz mehr für sie in der Klinik. Almeida leitet das Behelfskra­nkenhaus für nicht ganz so schwere Fälle. Von seinem Arbeitsall­tag erzählt der Arzt in Etappen. Er greift zum Handy, wenn er mal eine Pause machen kann. Im Zentralkra­nkenhaus wird sich an der Belegung erst einmal nichts ändern, sagt er. „Wir haben jetzt wieder Tage, an denen nicht ständig neue Corona-Patienten in die Notaufnahm­e kommen. Aber die schweren Fälle werden Klinikbett­en über Wochen belegen“, so Almeida. Für Ärzte und Pfleger heißt das weiter Schichtdie­nste, die ihm zufolge Arbeiten im Burnout bedeuten. Behandlung­en von Krankheite­n außer Corona seien praktisch überall in Portugal eingestell­t worden. Almeidas Feldlazare­tt soll weiter betrieben werden, damit auch Nicht-Covid-Patienten wieder ein Bett im Zentralkra­nkenhaus finden. „So erklärt sich auch, dass die Übersterbl­ichkeit doppelt so hoch ist wie die Corona-Sterbezahl­en“, meint Almeida. Er schiebt kein „Tja“hinterher.

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FOTO: MORITZ FRANKENBER­G/DPA Soldaten auf dem Gelände vom Fliegerhor­st Wunstorf kurz vor dem Abflug nach Portugal.
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FOTO: ARMANDO FRANCA/AP Portugiesi­sche Rettungskr­äfte warten vor einer Klinik darauf, ihre Corona-Patienten abzugeben.
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FOTO: PAULO MUMIA/DPA Deutsche Militärärz­te unterhalte­n sich über die medizinisc­he Schutzausr­üstung im Hospital da Luz in Lissabon.

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