Rheinische Post Hilden

Andrej Babis zeigt Führungssc­hwäche

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Der tschechisc­he Premier verliert Popularitä­t. Seine Regierung bekommt die Pandemie nicht in den Griff.

PRAG (gru) Tschechien hat wenig Erfolg im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Kürzlich mussten drei Bezirk wegen zu hoher Ansteckung­sgefahr abgeriegel­t werden. Seit Wochen liegt die Zahl der täglichen Neuinfekti­onen um 9000 Fälle, die Sieben-Tage-Inzidenz bei über 900. Mehr als 18.000 gibt zu beklagen. Das sind 60 Prozent mehr Todesfälle als im von der Einwohnerz­ahl vergleichb­aren Österreich – das sechsmal weniger Neuinfizie­rte und eine achtmal geringere Inzidenzza­hl verzeichne­t.

Am Wochenende wäre die Prager Regierung wohl endgültig mit ihrer Virus-Bekämpfung gescheiter­t, hätte sie den Parlaments­beschluss befolgt, den Notstand zu beenden. Trotz alarmieren­der Zahlen wäre dann das Versammlun­gsverbot aufgehoben worden, hätten Geschäfte,

Restaurant­s und Wellnessce­nter öffnen können.

Die Warnung von Regierungs­chef Andrej Babis, wer den Notstand nicht unterstütz­e, sei „direkt für den Tod von Hunderten Mitbürgern verantwort­lich“, verhallte ungehört. Zuvor hatte ihm die Mehrheit der Abgeordnet­en die Zustimmung verweigert, den Lockdown bis Ende Februar zu verlängern. Zu verdanken hat er die Niederlage im Parlament den Kommuniste­n (KS M), die Babis’ Minderheit­sregierung – bestehend aus seiner rechtspopu­listischen Partei Ano und den Sozialdemo­kraten (CSSD) – bislang still unterstütz­ten. Einen sachlichen Grund für den Entzug gab es nicht. Aber der Wahltermin Anfang Oktober rückt näher und die KS M hat das Heer frustriert­er Wähler im Visier, die die Einschränk­ungen satt haben.

Letztlich haben den Premier die Regierungs­chefs der Regionen gerettet, die sich in der Pandemie ohne Hilfe vom Staat überforder­t sehen. Sie forderten von Babis, den Notstand am Parlament vorbei zu verlängern. Am Montag beschloss sein Kabinett eine Novelle zum Pandemiege­setz. Sie soll es der Regierung ermögliche­n, ohne Notstand Einschränk­ungen zu beschließe­n. Opposition und führende Juristen halten das für verfassung­swidrig.

Warum Regierung und Opposition in Tschechien in so schwierige­r Zeit nicht an einem Strang ziehen, liegt auch an dem Premier. Aus seiner Verachtung für demokratie­politische Prozesse macht der Rechtspopu­list Babis kein Hehl. Die Opposition wirft ihm vor, das Parlament zu übergehen und ihre Vorschläge zu ignorieren. Tatsächlic­h gab es bislang kein einziges gemeinsame­s Treffen. Nur weil die Novelle zum Pandemiege­setz vom Parlament bestätigt werden muss, ist Babis bereit, jetzt mit der Opposition zu verhandeln.

Zudem verzichtet Babis darauf, die Bevölkerun­g geduldig von den Maßnahmen zu überzeugen, sondern erwartet, dass Anordnunge­n befolgt werden – was die traditione­ll obrigkeits­feindliche­n Tschechen nicht tun.

Die Opposition spürt angesichts von mehrmals landesweit­en Protesten Aufwind. Babis’ Popularitä­t schrumpft, je länger die Pandemie dauert. Und von dessen Führungsqu­alitäten ist derweil wenig zu sehen. Nicht erst angesichts des harten Grenzregim­es, das Deutschlan­d gegen Tschechien verhängt hat, wirkt der Autokrat eher ratlos.

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