Durststrecke für Kopf und Seele
Kunst, Kultur und Bildung zählen zu den von der Pandemie besonders betroffenen Bereichen. Kreativ wurde hier manche Lücke gefüllt. Einiges davon wird als sinnvolle Ergänzung bleiben. Doch vieles lässt sich einfach nicht ersetzen.
Literatur Das Corona-Jahr war ziemlich kriminell, zumindest in der Literatur. Und so stammen die Bestseller des Jahres aus den Federn von Charlotte Link („Ohne Schuld“), klar, vor allem von Sebastian Fitzek („Der Heimweg“) – aber auch von einem erstaunlichen Neuling: Der Öko-Thriller „Der neunte Arm des Oktopus“rangierte wochenlang auf den Champignons-Plätzen der sozusagen erstklassigen Literatur hierzulande und stammt von einem 74-jährigen Debütanten: Der heißt Dirk Roßmann und ist genau, was viele sofort dachten: Chef der Drogeriemarktkette. An guter Literatur hat es also nicht gemangelt, schließlich können auch Autoren im Lockdown weiterschreiben.
Doch natürlich ging es dem Handel nicht so gut, aber lange Zeit auch nicht katastrophal: Zum einen waren viele Buchhändler enorm, trotz Corona Lesefutter ans Volk zu bringen einfallsreich (wobei gestreamte Lesungen nicht zu den geglückten Errungenschaften des Jahres zählten); zum anderen gab es in Zeiten der Lockerungen reichlich Nachholbedarf. So hätte die Buchbranche das schlimme Minus aus dem Frühjahr bis kurz vor dem zweiten Lockdown fast wieder wettgemacht. Corona hat aber auch im Bücherregel Spuren hinterlassen: Die Ladenhüter sind natürlich die Reisebücher. Großer Gewinner aber ist einmal mehr die Literatur für Kinder und Jugendliche. Bemerkenswert ist aber auch, dass die Menschen in Corona-Zeiten ihre Neugier nicht in die Ferne schweifen lassen, weil manchmal das Gute doch so nah ist. Kurzum: Alles rund um Regionales fand literarisch großes Interesse. (los)
Kino Die Auswirkungen von Corona auf die Kino-Branche sind dramatisch. Ein Symbol der Krise ist das neue James-Bond-Abenteuer. Es hatte im April 2020 in die Kinos kommen sollen. Wenn es tatsächlich wie inzwischen geplant am 8. Oktober erscheint, wird der Titelsong von Billie Eilish anderthalb Jahre alt sein. Viele Produkte, um deren Platzierung es in Bond-Filmen ja auch immer geht, sind dann bereits veraltet.
Das Filmgeschäft hat sich ins Internet verlagert. Blockbuster wurden teils verschoben, teils gänzlich ohne Kinostart auf Streamingplattformen gezeigt. Warner Bros. kündigte an, große Filme 2021 parallel im Netz und im Kino auszuspielen. Einige Kinos bieten inzwischen ein eigenes digitales Programm an. Festivals finden im Web statt. Werden die Hollywood-Studios künftig überhaupt noch auf die große Leinwand setzen? Kinos brauchen stärker als andere Branchen Planungssicherheit: Um den Betrieb wieder hochzufahren, kalkuliert man mit mindestens vier Wochen Vorlauf. Die Sorge ist groß, dass viele Kinos und Verleiher nicht aus dem Lockdown zurückkehren. In einem Offenen Brief wandte sich unter anderem der Hauptverband Deutscher
Filmtheater jüngst an die Bundeskanzlerin und plädierte für eine Wiedereröffnung mit bewährtem Hygienekonzept zu Ostern. (hols)
Pop Leere Bühnen, abgesagte Festivals, mehrfach verschobene Auftritte, geschlossenen Hallen: Die Veranstaltungsbranche ist schwer getroffen. Im Sommer 2020 gab es ein kurzes Luftholen, als etwa der Open-Air-Auftritt von Helge Schneider am Kölner
Tanzbrunnen unter strengen
Auflagen möglich war. Aber im
Grunde steht seit einem Jahr diese
Welt still. Im ersten Lockdown boten
Konzerte in Autokinos eine originelle, aber alles in allem wenige wirtschaftliche Abwechslung. Viele der geschätzten eine Million Erwerbstätigen in der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft
sind in Kurzarbeit oder arbeiten übergangsweise in anderen Jobs.
Noch ist das zweite Halbjahr 2021 gefüllt mit verschobenen Konzerten. Aber können sie stattfinden? Die Band Queen hat soeben vorsorglich das ursprünglich für den 26. Juni 2020 geplante und dann auf den 26. Juni 2021 verschobene Konzert in der Lanxess-Arena auf den 26. Juni 2022 verlegt. Immerhin haben viele Menschen gemerkt, dass der beste Livestream nicht annähernd an ein echtes Konzerterlebnis heranreicht. (hols)
Klassik Am Abend vor dem ersten Lockdown, damals im März 2020, saß ich noch einmal im Konzert, allerdings bereits mit einem mulmigen Gefühl. Der chinesische Meisterpianist
Lang Lang spielte in der Wuppertaler Stadthalle, vor weit über 1000 Zuhörern, und argwöhnisch musterte ich jeden Menschen, der mir zu nahe kam. Irgendwie lag Gefahr in der Luft. Eigentlich hätte man den Abend absagen müssen, trotzdem fand er statt. Der Oberbürgermeister saß in der ersten Reihe. Danach war klassische Musik live in Oper und Konzert kaum noch möglich, oder wenn doch, dann unter kaum noch normalen Bedingungen.
In der Düsseldorfer Tonhalle saß man wie handverlesen im Konzert, im Schumann-Saal lauschten der großen Elisabeth Leonskaja nur ein paar Menschen, im Düsseldorfer Opernhaus war es nicht anders, dabei gab es spannende Programme: Ullmanns „Kaiser von Atlantis“oder Weinbergs „Masel Tov“. Einem minutiös geplanten „Tristan“blieb bis heute die Premiere verwehrt. Einmal wollte ich in ein Jazzkonzert, doch zwei Tage vorher wurde es abgesagt, es fiel dem zweiten Lockdown zum Opfer. Was haben die Planer nicht alles investiert: Sie haben Luftumwälzanlagen
eingebaut, Desinfektionsmittel vorgehalten, die Besucherführung und Kartenabholung durch ausgeklügelte Wegesysteme optimiert, Studien zur Aerosolbildung von Blasinstrumenten finanziert. Trotzdem wurde ihnen der Laden geschlossen. Menschen sollten halt nicht zusammenkommen. Unsere Freude an der Musik verlagerte sich ins Internet, dorthin wurden viele Konzerte übertragen. Neulich gab es aus der Düsseldorfer Tonhalle ein Symphoniekonzert, und vor dem Beginn spazierte die Kamera durch den Backstage-Bereich, schaute sich die Musiker an, bevor sie auf die Bühne traten. Das sah aus wie beim Fußball, wenn sich die Spieler in den Katakomben des Stadions vor dem Einlaufen noch einmal die Stutzen hochziehen. (w.g.)
Schule und Hochschule
Lärmende Kinder auf Schulhöfen, ein lebendiger Campus und Studierende in Uni-Bibliotheken erscheinen rund zwölf Monate nach dem ersten Lockdown wie Relikte einer vergangenen Zeit. Wie war das noch im Abijahrgang 2020? Die Prüfungen gingen mit Mühe und Not gerade noch so über die Bühne. Alles, was danach kam, war bitter für die Schulabgänger: Zeugnisübergaben gerieten zur Randnotiz. Größere Feiern Fehlanzeige. Auch Viertklässler verabschiedeten sich sang- und klanglos von ihrem Lebensabschnitt namens Grundschule. Gelernt hatten alle Beteiligten nach rund zwölf Wochen geschlossener Schulen vor allem eines: nie wieder!
Die Pandemie hatte im Bereich der digitalen Bildung gravierende Schwächen des Systems offenbart: ein zu langsames Netz, zu wenig technische Ausstattung und mangelnde Medienkompetenz der Pädagogen. Deutschland hinkt im internationalen Vergleich hinterher. Immerhin, ein Stück weit ist es seitdem vorangegangen. Die zweite Phase des Homeschooling zeigt: Der Begriff Videokonferenz ist nun an den meisten Schulen kein Fremdwort mehr, und auch in Sachen Lernplattformen und Distanzunterricht haben sich Lehrer, Schüler und Eltern notgedrungen weitergebildet.
Aber es wird von Woche zu Woche spürbarer: Das Studentenleben lässt sich durch ein Fernstudium nicht ersetzen. Und Kommunikation per Computer und Bildschirm kann normalen Unterricht nicht ersetzen, sondern Lehre bestenfalls sinnvoll ergänzen. (ha)