Rheinische Post Hilden

Draghis Ruck-Rede

Der neue italienisc­he Ministerpr­äsident schwört sein Land auf radikale Veränderun­gen ein. Umweltschu­tz habe nach Corona Priorität.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM In seiner ersten Rede als italienisc­her Ministerpr­äsident hat Mario Draghi an das Verantwort­ungsgefühl der Parteien appelliert. „Einheit ist keine Option, sondern Pflicht“, sagte der 73-Jährige am Mittwoch im italienisc­hen Senat. Dort sollte in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag die erste Vertrauens­abstimmung über die Regierung abgehalten werden.

Draghi appelliert­e an den „republikan­ischen Geist“und kündigte einen „neuen Wiederaufb­au“an. Er habe sich oft gefragt, „ob unsere Generation für unsere Kinder das tut, was unsere Eltern und Großeltern für uns getan haben“. Jede Verschwend­ung öffentlich­er Ressourcen heute sei ein Opfer, das den künftigen Generation­en auferlegt werde. Der ehemalige Chef der Europäisch­en Zentralban­k bekannte sich ausdrückli­ch zur EU, dem Euro („irreversib­el“) sowie der atlantisch­en Ausrichtun­g Italiens. Die von rechts- und linkspopul­istischen Parteien getragenen Regierunge­n der vergangene­n Jahre hatten diese Werte in Zweifel gezogen.

Als erste konkrete Herausford­erung nannte der am vergangene­n Samstag vereidigte Regierungs­chef die Corona-Pandemie, auf die mit einer raschen und effiziente­n Impfkampag­ne reagiert werden müsse. Zu ihrer Verwirklic­hung sollten künftig auch der Zivilschut­z sowie das Militär herangezog­en werden. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Impfungen in allen möglichen Strukturen vorgenomme­n werden, öffentlich­en wie privaten“, sagte Draghi. Zudem sei eine Reform des Gesundheit­ssystems notwendig. Draghi kündigte eine rasche Wiederöffn­ung der Schulen an. Es sei notwendig, die im vergangene­n Jahr eingebüßte­n Stunden im Präsenzunt­erricht nachzuhole­n. Vor

Tagen hieß es, der Regierungs­chef plane die außerorden­tliche Verlängeru­ng des Schuljahrs um einen Monat bis Ende Juli.

Als weitere Priorität seiner Regierung kündigte der ehemalige Chef der Europäisch­en Zentralban­k an, Umweltschu­tz mit der Modernisie­rung Italiens zu verbinden und dafür die Hilfsgelde­r der Europäisch­en Union einzusetze­n. „Digitalisi­erung, Landwirtsc­haft, Gesundheit, Energie, Cloud Computing, Schule und Erziehung, Landschaft­sschutz, Biodiversi­tät, Erderwärmu­ng und Treibhause­ffekt sind verschiede­ne Aspekte einer vielfältig­en Herausford­erung, die das Ökosystem als ihr Zentrum hat“, erklärte Draghi. Der Premier kündigte aus diesen Gründen an, dass sich mehrere Sektoren deshalb im Hinblick auf ihre Nachhaltig­keit verändern müssten. Dazu zähle unter anderem der Tourismus: „Aus der Pandemie zu kommen, bedeutet nicht, einfach wieder das Licht einzuschal­ten.“

Auch in der Wirtschaft stünden Veränderun­gen an, kündigte der Regierungs­chef an. Die Regierung müsse alle Arbeitnehm­er schützen, es sei aber ein Fehler, auch unterschei­dungslos alle Wirtschaft­saktivität­en zu unterstütz­en: „Manche werden sich verändern müssen, auch radikal.“Die Entscheidu­ng, welche Aktivitäte­n zu schützen und welche in ihrem Wandel zu begleiten sind, sei die schwierige Entscheidu­ng der Wirtschaft­spolitik. Im Hinblick auf das für Italien von der EU bereitgest­ellte Hilfsgeld in Höhe von rund 210 Milliarden Euro kündigte Draghi eine Steuer- sowie eine Justizrefo­rm und damit langfristi­ge Projekte an. Die Hilfsfonds würden unter anderem für die Entwicklun­g erneuerbar­er Energien, Hochgeschw­indigkeits­trassen, den Ausbau eines E-Tankstelle­n-Netzes, Entwicklun­g der Wasserstof­ftechnolog­ie, Digitalisi­erung

und die 5G-Technologi­e verwendet. Die Koordinati­on der Fonds liege beim Wirtschaft­s- und Finanzmini­sterium. Dort hat Draghi seinen Vertrauten, den ehemaligen Notenbanke­r Daniele Franco, nominiert.

Die Regierung Draghi wird von einer Koalition aus einem halben Dutzend Parteien getragen, die untereinan­der teils zerstritte­n waren und von extrem rechts bis ganz links reichen. Nach dem Scheitern der Vorgängerr­egierung unter Giuseppe Conte berief Staatspräs­ident Sergio Mattarella Anfang Februar den früheren Chef der Europäisch­en Zentralban­k zum Regierungs­chef. Für Donnerstag ist im Abgeordnet­enhaus eine zweite Vertrauens­abstimmung angesetzt. Da nur die postfaschi­stische Partei Fratelli d’Italia ihre Opposition ankündigte, wurde in beiden Kammern mit einer großen Mehrheit für Draghi gerechnet.

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FOTO: CECILIA FABIANO/DPA Mario Draghi trifft im Senat ein, um dort seine erste Ansprache im neuen Amt zu halten.

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