Spaziergang zwischen Design und Kunst
Der Künstler Gregor Russ hat eine Gründerzeitvilla zum Ausstellungsraum gemacht. Der Schreiner und Sammler zeigt eine Mischung aus Versatzstücken ganz unterschiedlicher Materialien. Ein Rundgang.
DÜSSELDORF Gregor Russ, Jahrgang 1964, ist ein Spätzünder. Er machte eine Möbelschreinerlehre zum Geldverdienen, brach nach zwei Jahren das Studium für Innenarchitektur und Architektur ab und eröffnete an der Birkenstraße seine erste Werkstatt für Unikat-Möbel. Über das Parkhaus im Malkasten, dessen Mitbegründer er ist, rutschte er in die Kunstszene. Sein Freund wurde der Konzeptkünstler Stefan Demary, der keine Berührungsängste mit Autodidakten hat. So entwickelte sich Russ zum Geheimtipp. Der Kunstverein 701 stellt ihm die gesamte Gründerzeitvilla der Firma Textschwester zur Verfügung, deren Mitarbeiter im Homeoffice sind. Dort führt der Künstler selbst durch seine Ausstellung, mit Mundschutz, versteht sich.
Das Milieu ist ein Mix aus Gründerzeit, biedermeierlich gekacheltem Kamin und Kölner Decke, ausgestattet mit Möbeln, die dem klaren Design einer Werbefirma entsprechen. Hier kommen die Objekte von Gregor Russ im Übergang vom Design zur Kunst bestens zur Geltung. So stellt er in einer Glasvitrine zwei wohlgeformte Tonvasen übereinander, klebt ihnen zwei weiße Kugeln für die Augen und einen Schnurrbart für die untere Partie an – und der Betrachter denkt an eine abstrakte Figur ohne Geschlecht. Das Ganze steht auf einer Säule, die ursprünglich weiß und mit weißem Klebeband beklebt war. Nachdem der Künstler mit schwarzer Farbe über das Klebeband und die Säule gerollt war und anschließend das Band abgezogen hatte, liest der Betrachter nun Worte von Freiheit und Tod, in der französischen Sprache der Surrealisten.
Der Künstler ist nicht nur Grotesk-Schreiner, sondern Sammler. Alte Kataloge oder Drucke interessieren den Vielleser. Die Blätter benutzt er, um vom gefundenen Motiv zur eigenen Kunst zu gelangen. Bei einem Blatt „Maria mit Kind“interessierte ihn der Kinderkopf, den er auf dem Ursprungsblatt mit weißer Farbe annulliert und auf dem nächsten Blatt wie einen Stempel einsetzt. Dabei geht es meistens um Doppeldeutigkeiten.
So benutzt er Klebebuchstaben und alte Letraset-Anreibezeichen, hantiert mit Symbolen, Bildvorlagen und Grafiken, wie man sie im Zeitalter vor dem Computer kannte, und baut sich aus Gefundenem und Erfundenem neue Werke. Merkwürdige Gesichter entstehen etwa aus den dünnen Stegen des schwarzen Klebebands, aus einem echten Lippenkuss und einem verrutschten Augenpaar. Das Ganze mit einem pinkfarbenen Kreis als Farbakzent versehen, auf Leinwand montiert, mit schwarzen Linien wie mit einem Raster umrahmt, ergibt einen beredten „Hyperbolischer Schaltkreis“in Zehner-Auflage zum Preis von 380 Euro.
Vom Erdgeschoss über das Treppenhaus bis in die erste Etage führt die Ausstellung. Sie zeigt Zitate aus Bildern und Literatur, die zunächst in dekonstruktivistische Einzelteile zerlegt und anschließend neu gemalt, gebaut oder auch ausradiert sind. So gibt es Gemälde, die nur die Ränder von Auslassungen zeigen. Insgesamt ist das ein verschmitzter Kommentar zur Kunstgeschichte und ihrer Gesellschaft. Der Betrachter ist aufgefordert, sich aus dem wohlgeformten Vokabular an Versatzstücken seinen eigenen Reim zu machen. Im Milieu der Textschwester wirkt das Ganze wie ein perfektes Historienbild.