Was würde Sophia Loren tun?
Eine wunderbare Dokumentation widmet sich einer Amerikanerin, die die italienische Diva verehrt. Dieser Film ist ein Juwel.
Ihr erster Auftritt ist schon großartig, sie sitzt wie eine Königin da, aufrecht und beeindruckend. Sie wird noch verkabelt, aber die Kamera läuft schon, und aus dem Off macht sie jemand auf ihre Seidenbluse aufmerksam und fragt: „Lieber noch weiter zuknöpfen?“Sie schaut an sich herunter, sieht wieder hoch und entgegnet: „Zu viel Dekolleté?“Die Antwort lautet „ein bisschen“, und man muss sich den spöttischen Blick der 86 Jahre alten Sophia Loren in dem Moment ansehen, als sie lässig und seelenruhig einen Knopf schließt: Ach Bübchen, scheint sie zu sagen. Wenn du wüsstest, was ich weiß.
„What Would Sophia Loren Do?“heißt dieses Juwel, das bei Netflix zu sehen ist. Etwas mehr als 30 Minuten dauert die charmante und herzliche Dokumentation nur, aber der Zuschauer erfährt darin so viel mehr als bei anderen Projekten, die auf zwei oder drei Stunden angelegt sind. Dieser Film sollte eine eigene Rubrik auf der Plattform des Streamingdienstes begründen: Selten kam man zwei Menschen so nahe wie hier.
Eigentliche Hauptfigur der Produktion des britischen Regisseurs Ross Kauffman ist nämlich Nancy Kulik. Die 82-Jährige kam aus Italien in die USA, und seit ihrer Jugend ist sie glühender Fan von Sophia Loren. Der Film zeigt, wie die Biografien der Frauen verliefen, welche Parallelen es gibt. Und vor allem, welchen Einfluss Kunstwerke und Stars auf das Leben der Menschen vor der Leinwand oder dem Bildschirm haben können; wie viel Kraft eine künstlerische Leistung entwickeln kann, wenn jemand sie ernst nimmt. Fan zu sein ist ja viel mehr als Schwärmerei. Es ist eine Form der Liebe, und um diese Liebe geht es hier. „What Would Sophia Loren Do?“ist ein Liebesfilm.
Nancy Kulik sitzt auf ihrem Sofa in New Jersey und erzählt, dass sie in kniffligen Situationen überlege, was Sophia Loren nun tun würde. Kulik wurde in der Nähe von Lorens Heimatstadt Neapel geboren und sie stellt sich die verehrte Schauspielerin als zupackend, patent und selbstbewusst vor. Auf dem Fernseher
läuft der frühe Loren-Film „Das Gold von Neapel“, und Nancy Kulik erklärt in wenigen Worten, warum diese damals erst 17 Jahre alte Frau sie so existenziell beeindruckte: „Sie war perfekt. Das ist emozi.“
In einem zweiten Erzählstrang wird mit alten und aktuellen Interviews das Leben von Sophia Loren erzählt. Sie wuchs ohne Vater auf, die Mutter schickte sie zum Schönheitswettbewerb, sie gewann, und mit dem Preisgeld reiste sie nach Rom, um berühmt zu werden. Vittorio De Sica entdeckte sie, und sie wurde ein Star. Zwischendurch gibt es wunderbare Stellen aus dem „Making of“dieser Dokumentation. Der Interviewer möchte mit Loren über ihre Anfänge im Filmgeschäft reden, und er wählt den ungeschickten Einstiegssatz „Als sie jung waren...“. Weiter kommt er nicht. Aus Lorens Augen blitzt die Verachtung: „Wie bitte?“
Besonders beeindruckend sind die Szenen, in denen Kulik alte Filme mit Loren sieht. Das Drama „Und dennoch leben sie“aus dem Jahr 1960 etwa. Loren spielte darin eine Mutter, die mit ansehen muss, wie ihre 13 Jahre alte Tochter vergewaltigt wird. Kulik kann kaum hinschauen, und dennoch gibt ihr Lorens Darstellung Kraft. Sie erzählt von einem ihrer drei Söhne, der während einer Ferienfreizeit missbraucht wurde. Und von dem anderen Sohn, der nach einem Surf-Unfall starb. Sie habe sich zusammengerissen, obwohl die Trauer so stark war, denn sie wollte für ihre beiden Enkel da sein.
Nancy Kulik ist eine Frau, über die man gerne einen abendfüllenden Film sehen würde. Sie stellt ihre Familie vor, und einmal erzählt sie, wie sie ein Kindermädchen engagierte und mit ihren Mann ins Kino ging, um „Gestern, heute und morgen“ zu schauen. Sophia Loren hat darin diese berühmte Szene, in der sie sich die Seidenstrümpfe graziös von den Beinen und den Zehenspitzen rollt und Marcello Mastroianni ihr zusieht und wie ein Wolf zu heulen beginnt. Nancy Kulik diente die Stelle als Inspiration. Tage später empfing sie ihren Mann im Bademantel, darunter nichts als – na ja, man muss selbst erleben, wie die Eheleute sich erinnern.
Sophia Loren erzählt, warum sie den Produzenten Carlo Ponti geheiratet hat, obwohl doch Cary Grant unsterblich in sie verliebt gewesen ist. Ponti sei Italiener gewesen, erzählt sie, er war Heimat. Bei Grant hätte sie sich verloren gefühlt. Kurz danach erzählt Nancy Kulik, dass sie auch einmal einen Verehrer hatte, aber dass sie bei ihrem Mann geblieben sei. „Ich wusste, das führt zu nichts.“
Loren berichtet von ihren komplizierten Schwangerschaften, die sie größtenteils liegend verbringen musste. Sie schildert den Schmerz, der der Tod ihres Mannes bereitete. Und dann sieht man sie bei Dreharbeiten zu ihrem jüngsten Film „Du hast das Leben vor dir“, den ihr Sohn
Edoardo Ponti drehte. „Brava, Mamma“, ruft er nach einer Szene. Und sie spreizt sich, stolz und würdevoll, und danach stützt er seine Mutter und geleitet sie zu ihrem Platz – und es ist so imponierend und schön, wie sie schreitet.
Am Ende arrangiert Nancy Kuliks Tochter schließlich ein Treffen ihrer Mutter mit Sophia Loren. Und obwohl es bis dahin schon so viele tolle Szenen gab, ist das der absolute Höhepunkt. Die beiden Frauen treffen aufeinander wie alte Freundinnen. „Oh, wie sehr ich sie verehre“, sagt Kulik auf Italienisch. Loren küsst sie, dann reden sie und reden, als ob sie wirklich alles aufarbeiten wollten, was sie in den vergangenen Jahrzehnten getrennt voneinander erlebt haben.
„Ist das nicht wunderbar?“, fragt Nancy Kulik zum Schluss in die Kamera.
Ist es wirklich.