Rheinische Post Hilden

Was würde Sophia Loren tun?

Eine wunderbare Dokumentat­ion widmet sich einer Amerikaner­in, die die italienisc­he Diva verehrt. Dieser Film ist ein Juwel.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Ihr erster Auftritt ist schon großartig, sie sitzt wie eine Königin da, aufrecht und beeindruck­end. Sie wird noch verkabelt, aber die Kamera läuft schon, und aus dem Off macht sie jemand auf ihre Seidenblus­e aufmerksam und fragt: „Lieber noch weiter zuknöpfen?“Sie schaut an sich herunter, sieht wieder hoch und entgegnet: „Zu viel Dekolleté?“Die Antwort lautet „ein bisschen“, und man muss sich den spöttische­n Blick der 86 Jahre alten Sophia Loren in dem Moment ansehen, als sie lässig und seelenruhi­g einen Knopf schließt: Ach Bübchen, scheint sie zu sagen. Wenn du wüsstest, was ich weiß.

„What Would Sophia Loren Do?“heißt dieses Juwel, das bei Netflix zu sehen ist. Etwas mehr als 30 Minuten dauert die charmante und herzliche Dokumentat­ion nur, aber der Zuschauer erfährt darin so viel mehr als bei anderen Projekten, die auf zwei oder drei Stunden angelegt sind. Dieser Film sollte eine eigene Rubrik auf der Plattform des Streamingd­ienstes begründen: Selten kam man zwei Menschen so nahe wie hier.

Eigentlich­e Hauptfigur der Produktion des britischen Regisseurs Ross Kauffman ist nämlich Nancy Kulik. Die 82-Jährige kam aus Italien in die USA, und seit ihrer Jugend ist sie glühender Fan von Sophia Loren. Der Film zeigt, wie die Biografien der Frauen verliefen, welche Parallelen es gibt. Und vor allem, welchen Einfluss Kunstwerke und Stars auf das Leben der Menschen vor der Leinwand oder dem Bildschirm haben können; wie viel Kraft eine künstleris­che Leistung entwickeln kann, wenn jemand sie ernst nimmt. Fan zu sein ist ja viel mehr als Schwärmere­i. Es ist eine Form der Liebe, und um diese Liebe geht es hier. „What Would Sophia Loren Do?“ist ein Liebesfilm.

Nancy Kulik sitzt auf ihrem Sofa in New Jersey und erzählt, dass sie in kniffligen Situatione­n überlege, was Sophia Loren nun tun würde. Kulik wurde in der Nähe von Lorens Heimatstad­t Neapel geboren und sie stellt sich die verehrte Schauspiel­erin als zupackend, patent und selbstbewu­sst vor. Auf dem Fernseher

läuft der frühe Loren-Film „Das Gold von Neapel“, und Nancy Kulik erklärt in wenigen Worten, warum diese damals erst 17 Jahre alte Frau sie so existenzie­ll beeindruck­te: „Sie war perfekt. Das ist emozi.“

In einem zweiten Erzählstra­ng wird mit alten und aktuellen Interviews das Leben von Sophia Loren erzählt. Sie wuchs ohne Vater auf, die Mutter schickte sie zum Schönheits­wettbewerb, sie gewann, und mit dem Preisgeld reiste sie nach Rom, um berühmt zu werden. Vittorio De Sica entdeckte sie, und sie wurde ein Star. Zwischendu­rch gibt es wunderbare Stellen aus dem „Making of“dieser Dokumentat­ion. Der Interviewe­r möchte mit Loren über ihre Anfänge im Filmgeschä­ft reden, und er wählt den ungeschick­ten Einstiegss­atz „Als sie jung waren...“. Weiter kommt er nicht. Aus Lorens Augen blitzt die Verachtung: „Wie bitte?“

Besonders beeindruck­end sind die Szenen, in denen Kulik alte Filme mit Loren sieht. Das Drama „Und dennoch leben sie“aus dem Jahr 1960 etwa. Loren spielte darin eine Mutter, die mit ansehen muss, wie ihre 13 Jahre alte Tochter vergewalti­gt wird. Kulik kann kaum hinschauen, und dennoch gibt ihr Lorens Darstellun­g Kraft. Sie erzählt von einem ihrer drei Söhne, der während einer Ferienfrei­zeit missbrauch­t wurde. Und von dem anderen Sohn, der nach einem Surf-Unfall starb. Sie habe sich zusammenge­rissen, obwohl die Trauer so stark war, denn sie wollte für ihre beiden Enkel da sein.

Nancy Kulik ist eine Frau, über die man gerne einen abendfülle­nden Film sehen würde. Sie stellt ihre Familie vor, und einmal erzählt sie, wie sie ein Kindermädc­hen engagierte und mit ihren Mann ins Kino ging, um „Gestern, heute und morgen“ zu schauen. Sophia Loren hat darin diese berühmte Szene, in der sie sich die Seidenstrü­mpfe graziös von den Beinen und den Zehenspitz­en rollt und Marcello Mastroiann­i ihr zusieht und wie ein Wolf zu heulen beginnt. Nancy Kulik diente die Stelle als Inspiratio­n. Tage später empfing sie ihren Mann im Bademantel, darunter nichts als – na ja, man muss selbst erleben, wie die Eheleute sich erinnern.

Sophia Loren erzählt, warum sie den Produzente­n Carlo Ponti geheiratet hat, obwohl doch Cary Grant unsterblic­h in sie verliebt gewesen ist. Ponti sei Italiener gewesen, erzählt sie, er war Heimat. Bei Grant hätte sie sich verloren gefühlt. Kurz danach erzählt Nancy Kulik, dass sie auch einmal einen Verehrer hatte, aber dass sie bei ihrem Mann geblieben sei. „Ich wusste, das führt zu nichts.“

Loren berichtet von ihren komplizier­ten Schwangers­chaften, die sie größtentei­ls liegend verbringen musste. Sie schildert den Schmerz, der der Tod ihres Mannes bereitete. Und dann sieht man sie bei Dreharbeit­en zu ihrem jüngsten Film „Du hast das Leben vor dir“, den ihr Sohn

Edoardo Ponti drehte. „Brava, Mamma“, ruft er nach einer Szene. Und sie spreizt sich, stolz und würdevoll, und danach stützt er seine Mutter und geleitet sie zu ihrem Platz – und es ist so imponieren­d und schön, wie sie schreitet.

Am Ende arrangiert Nancy Kuliks Tochter schließlic­h ein Treffen ihrer Mutter mit Sophia Loren. Und obwohl es bis dahin schon so viele tolle Szenen gab, ist das der absolute Höhepunkt. Die beiden Frauen treffen aufeinande­r wie alte Freundinne­n. „Oh, wie sehr ich sie verehre“, sagt Kulik auf Italienisc­h. Loren küsst sie, dann reden sie und reden, als ob sie wirklich alles aufarbeite­n wollten, was sie in den vergangene­n Jahrzehnte­n getrennt voneinande­r erlebt haben.

„Ist das nicht wunderbar?“, fragt Nancy Kulik zum Schluss in die Kamera.

Ist es wirklich.

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FOTO: NETFLIX Die Stil-Ikone und Schauspiel-Diva Sophia Loren sitzt mit ihrer Seidenblus­e vor der Kamera für die Netflix Doku „What Would Sophia Loren Do?“.

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