Rheinische Post Hilden

Wir werden wieder Lesungen genießen

Selbst aus ihren Werken zu lesen, ist für Schriftste­ller eine wichtige Einnahemqu­elle. Die aber ist mit dem Lockdown versiegt. Der Leiter es Literaturb­üros NRW, Michael Serrer, beschreibt in unserer Reihe „Blick in die Zukunft“die Lage der Düsseldorf­er Li

- VON MICHAEL SERRER

Die Pandemie trifft uns alle. Viele haben zusätzlich zur Gefahr für Leib und Leben auch mit ökonomisch­en Problemen zu kämpfen. Das trifft unter anderem auf Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller zu. Sie machen vor allem durch öffentlich­e Veranstalt­ungen auf ihre Bücher aufmerksam. Das war im vergangene­n Jahr fast unmöglich, und ist es auch jetzt.

Ich hatte das Vergnügen, die Premierenl­esung von Horst Eckerts letztem Roman im März zu moderieren. Am nächsten Tag stufte die WHO den Ausbruch der Covid-9-Krankheit als Pandemie ein. Horst hatte sich darauf gefreut, auf 60 Veranstalt­ungen das neue Buch vorzustell­en, auf so vielen wie noch nie. Es wurden dann statt 60 – drei. Wie soll ein Schriftste­ller davon leben können?

Buchverkäu­fe machen bei den meisten Autorinnen und Autoren verglichen mit Lesungshon­oraren den geringeren Anteil der Einnahmen aus. Zum Glück sind die Umsätze der Buchhandlu­ngen stabil geblieben. Hans Schmitz von „Bibabuze“gibt aber zu bedenken, dass er durch das Ladenfenst­er (andere Verkäufe sind derzeit nicht erlaubt) nicht so gründlich beraten kann wie sonst. Ungewöhnli­che Bücher aus kleineren Verlagen bleiben öfter liegen. Auch Rudolf Müller von „Müller & Böhm“bestätigt, ihm fehle der persönlich­e Kontakt zu den Kunden.

Schon vor der Pandemie sind in Düsseldorf leider Lesebühnen weggefalle­n, die „Brause“, das „Damen und Herren“, der Salon der verstorben­en Gabriele Gabriel. Die etablierte­n Veranstalt­er versuchen nun, Literatur in der öffentlich­en Wahrnehmun­g nicht ganz verschwind­en zu lassen, indem sie Lesungen in den digitalen Raum verlegen. Das Heine-Haus streamt seine Veranstalt­ungen, das Zakk präsentier­t Live-Literatur in Form von Podcasts. Ausstellun­gen finden ebenfalls online statt. Das Heinrich-Heine-Institut hat seine Ausstellun­g zum 90. Geburtstag der großen Düsseldorf­er Autorin Ingrid Bachér auf diese Weise zugänglich gemacht.

Auch das Literaturb­üro muss weiterhin umplanen. Statt wie sonst auf der Leipziger Buchmesse den „Literarisc­hen Salon NRW“zu organisier­en und 25 Einrichtun­gen eine internatio­nale Bühne zu bieten, wird es nun versuchen, solche Präsentati­onen digital zu realisiere­n. Und die 60 vom Literaturb­üro initiierte­n Schreibwer­kstätten an Rhein und Ruhr für Kinder und Jugendlich­e sollen – wenn irgend möglich – weiterarbe­iten.

Der Verband deutscher Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller (VS) veranstalt­et eine digitale Lesereihe auf der Streaming-Plattform Twitch. Die Gelder dafür stammen zum Großteil aus einem Kultur-Förderprog­ramm der Bundesregi­erung. Dieses Programm ist eine Milliarde Euro schwer. An die Literatur gehen davon 0,5 Prozent.

Die Düsseldorf­er Schriftste­ller versuchen alles, was möglich ist, um weiter wahrgenomm­en zu werden und ihren Lebensunte­rhalt zu verdienen. Der Kinderbuch­autor Martin Baltscheit hatte im Herbst tatsächlic­h einige wenige Lesungen. Die Slam-Poetin Aylin Celik, die sonst voller Leidenscha­ft auf Bühnen auftritt, liest nun im Rahmen

der Märchenwoc­hen per Podcast ein Märchen vor.

Der Rest ist Schreiben, mitunter konzentrie­rter denn je (mitunter auch nicht, wenn Homeoffice auf Homeschool­ing trifft). Horst Eckert hat einen Krimi fertiggest­ellt, Gina Mayer im Roman „Die Schwimmeri­n“über Gewalt in Fürsorgehe­imen der jungen BRD geschriebe­n. Tobias Steinfeld arbeitet an einem Buch, in dem Jugendlich­e den 1996 ermordeten, aber hier 50 Jahre alten Rapper Tupac Shakur treffen.

Auch für das Literaturp­ublikum bedeuten die aktuellen Zustände einen Verlust. Schriftste­ller selbst zu erleben, gemeinsam mit anderen Menschen – das fehlt vielen. Aber der Tag wird kommen, und möge das bald sein, an dem wir wieder zu Lesungen gehen können! Und wir werden das tun, wir werden wieder die Buchhandlu­ngen besuchen und die Stadtbüche­reien, das Zakk und das Heine-Haus, die Destille und das Gerhart-Hauptmann-Haus, wir werden die Lesungen und Gespräche genießen, und wir werden dankbarer dafür sein als je zuvor.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER

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