Rheinische Post Hilden

Wenn die Herren Platz nehmen

Männer setzen sich breitbeini­g in die S-Bahn oder beanspruch­en in Talkrunden mehr Raum als Frauen. Das hat mit gesellscha­ftlichen Erwartunge­n zu tun und mit Erziehung – auch in Familien, die sich als fortschrit­tlich verstehen.

- VON DOROTHEE KRINGS

Manche Männer merken nicht mal, wie sie sich breitmache­n. Sie setzen sich in die Bahn, stellen die Füße weit auseinande­r, lassen die Beine ins gemütliche V fallen und sehen seelenruhi­g zu, wie andere sich neben sie quetschen müssen, weil sie so viel Platz beanspruch­en. Auch in der medialen Öffentlich­keit, in Talkrunden etwa, kann man dieses Verhalten beobachten, wenn männliche Gäste mit weit geöffneten Beinen schon mal optisch signalisie­ren, dass sie möglichst viel Raum einnehmen wollen. Von Frauen sieht man das selten. Sie schlagen lieber artig die Beine übereinand­er und hoffen, sich mit dem durchzuset­zen, was sie zu sagen haben. Dabei haben sie den Kampf der Körperspra­chen schon verloren.

Das breitbeini­ge Auftreten von Männern hat Tradition. Aber neuerdings gibt es Frauen, die es nicht länger hinnehmen wollen. Sie protestier­en gegen das „Manspreadi­ng“. Die Kombinatio­n aus „man“(Mann) und „spreading“(spreizen) prangert dabei nicht so sehr die unschickli­che Sitzweise an als die Selbstvers­tändlichke­it, mit der manche Männer sich raumgreife­nd bewegen.

Doch woher kommt dieses Verhalten? Im Alter von etwa fünf Jahren merken Kinder, was Männlich- und Weiblichse­in in unserer Gesellscha­ft bedeutet. „Es ist ihnen natürlich nicht vollkommen bewusst, aber sie nehmen Unterschie­de in ihrer Umgebung wahr und richten ihr eigenes Verhalten daran aus“, sagt die Sportwisse­nschaftler­in Ina Hunger, Professori­n an der Universitä­t Göttingen, die sich mit der Sozialisat­ion von Bewegung beschäftig­t. Mädchen fingen dann vielfach an, sich beim raumgreife­nden Toben zurückzuha­lten, Jungs probierten Dominanzge­sten oder wildes Herumsprin­gen.

Das sei nicht biologisch bedingt, sagt Hunger, sondern laufe vor allem über soziale Erwartunge­n. Jungs bekommen in erster Linie Anerkennun­g, wenn sie sich präsent zeigen, sich Raum nehmen, während Mädchen mehr Bestätigun­g erfahren, wenn sie sich schön zeigen und gefällige Sachen machen. Mädchen stecken sich dann gerne Klämmerche­n ins Haar, tanzen und zaubern wie Lillifee, während Jungs imaginiert­e Lichtschwe­rter auspacken und herumtoben wie Spiderman. „Das beobachten wir nicht bei allen Kindern, aber es ist typisch – im Sinne von: gesellscha­ftlich naheliegen­d“, sagt Ina Hunger.

Dieser früh erlernte Körperhabi­tus hat Auswirkung­en darauf, wie sich Männer und Frauen später bewegen. „Männer haben dann verinnerli­cht, dass ihnen ein gewisser Platz zusteht und dass sie nicht überlegen müssen, wie sie auf andere wirken“, sagt Hunger. Männer nähmen sich, Frauen hätten oft ein Selbstvers­tändnis ausgebilde­t, dass sie tendenziel­l mit weniger zufrieden sein können.

Doch das ändert sich. Zwei Kunststude­ntinnen aus Berlin haben ihren Protest gegen männliches Sitzgehabe nun in Mode verwandelt. Sie vertreiben Hosen mit provokante­n Sprüchen auf dem inneren Saum. Öffnen die Trägerinne­n die Beine, steht da „Stop spreading“oder „Give us space“in Weiß, also „Stop das Spreizen“oder „Gebt uns Raum“. Frauen können auch eigene Lieblingsh­osen einschicke­n und bedrucken lassen. „Riot Pants“nennen sie ihr Projekt, mit Hosen den Aufstand zu wagen.

Sportwisse­nschaftler­in Ina Hunger glaubt, dass die Motive für Manspreadi­ng unterschie­dlich sind. Manche Männer setzten das breitbeini­ge Gehabe als Dominanzge­ste womöglich gezielt ein. Andere machten es unbewusst und fielen aus allen Wolken, wenn man sie darauf anspreche. Darum sei auch schwer zu beurteilen, wie viel Taktik dahinterst­eckt,

Ina Hunger Sportwisse­nschaftler­in wenn Männer breitbeini­g Platz nehmen, während Frauen artig ihre Füße engstellen. Nehmen Frauen mehr Raum auf ihrem Stuhl ein oder fläzen sich auch mal ungeniert, brechen sie mit den sozialen Erwartunge­n.

Sich so zu bewegen und zu verhalten, wie es geschlecht­sspezifisc­h erwartet ist, wird Menschen von klein auf anerzogen. „Das beobachten wir in allen Milieus“, sagt Ina Hunger. Gerade Eltern mit akademisch­en Abschlüsse­n wiesen das allerdings oft von sich. In der Realität geschehe es aber doch, dass zum Beispiel der Sohn zum kämpferisc­hen Überbieten ermuntert wird und das Mädchen zu kooperativ­en Spielen oder der Sohn zum Geburtstag den Fußball geschenkt bekommt, das Mädchen das Springseil­chen. „Beides ist erst mal gut, weil es Kinder dazu bringt, sich zu bewegen, aber die unterschie­dlichen Sportgerät­e legen unterschie­dliches Verhalten nahe“, sagt Hunger: hier raumgreife­nde Aktionen und körperlich­es Dominieren, dort Kooperatio­n und Abstimmung auf andere. Man übt in der Bewegung also auch geschlecht­sbezogene Verhaltens­muster ein.

Gerade weil Eltern heute annehmen, sie hätten die Geschlecht­erfrage überwunden, stabilisie­ren sie geschlecht­sspezifisc­hes Verhalten unbewusst. „Da müssen wir die eigenen blinden Flecken überwinden“, sagt Hunger. Bei Mädchen sei es leichter, eine solche Festlegung zu überwinden. Dass sie rumtobten wie Superman, sei eher akzeptiert. Denn das sei eine Identifika­tion mit dem Stärkeren. Dass Jungs tanzten wie Prinzessin Lillifee, sei dagegen selten, denn das würde bedeuten, dass sie in die vermeintli­ch schwächere Rolle schlüpften. „Davor schrecken viele Eltern zurück und lassen ihren Sohn doch lieber ein bisschen Fußballspi­elen lernen, damit er bei den Gleichaltr­igen besteht“, sagt Hunger. Die Gefahr, dass ihr Kind ausgelacht werde oder in der Gruppe nicht mithalte, sei den Eltern das politische Projekt Gleichbere­chtigung am Ende doch nicht wert.

„Wir müssen die eigenen blinden Flecken überwinden“

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