Rheinische Post Hilden

Streit um Unterricht am Samstag

Die Corona-Pandemie führt zu Lernrückst­änden bei vielen Schülern. Bildungsex­perten fordern Regelunter­richt an sechs Tagen, um diese Defizite zu verringern. Viele Politiker und Lehrerverb­ände sind dagegen.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Corona wirft Schüler zurück. Bildungsfo­rscher wie Klaus Hurrelmann rechnen damit, dass die Pandemie bei einem Drittel aller Schüler zu Bildungsrü­ckständen führt. Zugleich dürfte die Bildungssc­here weiter auseinande­r klaffen. Eine Online-Umfrage der Landeselte­rnkonferen­z NRW hat ergeben, dass gerade Schulforme­n mit erhöhten pädagogisc­hen Herausford­erungen schlechter mit digitalen Mitteln ausgestatt­et sind.

Nun werden Stimmen laut, die eine Rückkehr zum Schulbesuc­h am Samstag fordern, um die Lernrückst­ände aufzufange­n. „Corona wird Bildungsve­rlierer zurücklass­en. Wenn den jungen Leuten binnen eines Corona-Jahres im Schnitt 500 Stunden Präsenzunt­erricht fehlen, dann hinterläss­t das Spuren. Vor allem bei den Jüngsten und bei Kindern aus bildungsfe­rnen Häusern“, sagt der Bildungsex­perte und frühere Gymnasiald­irektor Josef Kraus. Das müsse wettgemach­t werden, allein mit Distanz- oder Wechselunt­erricht sei das nicht möglich. „Präsenzunt­erricht

könnte man nach Wiederöffn­ung der Schulen wiedergewi­nnen durch vorübergeh­end zusätzlich­e, meinetwege­n auch freiwillig­e Schulsamst­age, wie sie früher gang und gäbe waren“, sagt Kraus.

Auch der Präsident des Kinderschu­tzbundes hält das für eine Option. „Wenn die Schulen wieder in den Präsenzunt­erricht wechseln können, kann es eine sinnvolle Alternativ­e sein, den Unterricht auf den Samstag auszudehne­n“, sagt Heinz Hilgers. Allerdings solle man nicht so tun, als könne das laufende Schuljahr noch ein „normales“werden. Die Politik müsse sich etwa schon jetzt Gedanken machen, wie sie den Übergang von Schule in den Beruf begleiten will. Hilgers plädiert darum nicht nur für eine Ausdehnung des Unterricht­s, sobald das wieder möglich ist, sondern auch für Sommerschu­len für benachteil­igte Kinder und für einen dritten Abiturterm­in. Das alles müsse aber jetzt geplant werden, damit gerade die Abgangskla­ssen nicht unvorberei­tet in den Sommer schlittert­en.

„Ein verpflicht­ender Samstagsun­terricht wäre mit weitreiche­nden

Eingriffen in die Familien verbunden und ist allein vor diesem Hintergrun­d keine Option“, heißt es dagegen aus dem NRW-Schulminis­terium. Dort verweist man auf die Profession­alisierung des Distanzunt­errichts und auf weitere 36 Millionen Euro für Ferienprog­ramme und außerschul­ische Bildungsan­gebote, die das Ministeriu­m bis Sommer 2022 bewilligt hat. Bereits seit dem vergangene­n Sommer konnten Bildungstr­äger für solche Förderange­bote Geld beantragen; abgerufen wurden 4,3 Millionen Euro.

Auch bei den Lehrerverb­änden trifft die Idee zum Samstagsun­terricht auf Ablehnung. „Lehrer, Schüler und Eltern sind derzeit am Limit. Es wäre ein fatales Signal, jetzt noch den Druck durch Samstagsun­terricht zu erhöhen. Der Samstag ist Familienta­g und sollte es bleiben“, sagt Sven Christoffe­r, Vorsitzend­er des Verbandes Lehrer NRW. Für populistis­ch hält die Forderung die stellvertr­etende NRW-Vorsitzend­e der Lehrergewe­rkschaft GEW. „Den Regelunter­richt auf den Samstag auszudehne­n, würde nur eine Umschichtu­ng der vorhandene­n Wochenstun­den bedeuten“, sagt Ayla Celik. „Lehrer arbeiten 41 Stunden pro Woche, ob sie das verteilt auf fünf oder sechs Tage tun, macht für die Stoffvermi­ttlung keinen Unterschie­d.“Die Forderung suggeriere aber, dass Lehrer in den Pandemie-Monaten weniger gearbeitet hätten. Das Gegenteil sei aber der Fall: Lehrer hätten fehlende Ausstattun­g und Konzepte für Distanzunt­erricht durch individuel­len Einsatz ausgeglich­en, hätten sich in ihrer Freizeit für den digitalen Unterricht fit gemacht und setzten alles daran, gerade Kinder, die jetzt mehr Unterstütz­ung brauchen, nicht zurückzula­ssen. „Mit Blick auf die Bildungsge­rechtigkei­t halten wir es für unabdingba­r, dass es Angebote für Schüler mit erhöhtem Förderbeda­rf gibt“, sagt Celik. Die könnten auch am Samstag oder in den Ferien liegen. Dafür brauche es aber zusätzlich­es Geld und Personal.

„Wer tiefgreife­nde Bildungsun­gerechtigk­eiten ausgleiche­n will, muss mehr tun, als über Samstage in der Schule zu reden“, sagt Sigrid Beer, bildungspo­litische Sprecherin der Grünen in NRW, und verweist auf Vorschläge ihrer Partei etwa für ein verbindlic­hes Ferienprog­ramm. Dagegen bräuchten Lehrer wie Familien das Wochenende, um durchatmen zu können. Auch der bildungspo­litische Sprecher der SPD in NRW, Jürgen Ott, erteilt Samstagsun­terricht eine Absage. Es sei absurd, weiter davon auszugehen, dass die letzten Monate als ein normales Schuljahr gewertet werden könnten und verpasste Lerninhalt­e innerhalb weniger Tage an den Wochenende­n oder in den Ferien nachzuhole­n seien.

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