Streit um Unterricht am Samstag
Die Corona-Pandemie führt zu Lernrückständen bei vielen Schülern. Bildungsexperten fordern Regelunterricht an sechs Tagen, um diese Defizite zu verringern. Viele Politiker und Lehrerverbände sind dagegen.
DÜSSELDORF Corona wirft Schüler zurück. Bildungsforscher wie Klaus Hurrelmann rechnen damit, dass die Pandemie bei einem Drittel aller Schüler zu Bildungsrückständen führt. Zugleich dürfte die Bildungsschere weiter auseinander klaffen. Eine Online-Umfrage der Landeselternkonferenz NRW hat ergeben, dass gerade Schulformen mit erhöhten pädagogischen Herausforderungen schlechter mit digitalen Mitteln ausgestattet sind.
Nun werden Stimmen laut, die eine Rückkehr zum Schulbesuch am Samstag fordern, um die Lernrückstände aufzufangen. „Corona wird Bildungsverlierer zurücklassen. Wenn den jungen Leuten binnen eines Corona-Jahres im Schnitt 500 Stunden Präsenzunterricht fehlen, dann hinterlässt das Spuren. Vor allem bei den Jüngsten und bei Kindern aus bildungsfernen Häusern“, sagt der Bildungsexperte und frühere Gymnasialdirektor Josef Kraus. Das müsse wettgemacht werden, allein mit Distanz- oder Wechselunterricht sei das nicht möglich. „Präsenzunterricht
könnte man nach Wiederöffnung der Schulen wiedergewinnen durch vorübergehend zusätzliche, meinetwegen auch freiwillige Schulsamstage, wie sie früher gang und gäbe waren“, sagt Kraus.
Auch der Präsident des Kinderschutzbundes hält das für eine Option. „Wenn die Schulen wieder in den Präsenzunterricht wechseln können, kann es eine sinnvolle Alternative sein, den Unterricht auf den Samstag auszudehnen“, sagt Heinz Hilgers. Allerdings solle man nicht so tun, als könne das laufende Schuljahr noch ein „normales“werden. Die Politik müsse sich etwa schon jetzt Gedanken machen, wie sie den Übergang von Schule in den Beruf begleiten will. Hilgers plädiert darum nicht nur für eine Ausdehnung des Unterrichts, sobald das wieder möglich ist, sondern auch für Sommerschulen für benachteiligte Kinder und für einen dritten Abiturtermin. Das alles müsse aber jetzt geplant werden, damit gerade die Abgangsklassen nicht unvorbereitet in den Sommer schlitterten.
„Ein verpflichtender Samstagsunterricht wäre mit weitreichenden
Eingriffen in die Familien verbunden und ist allein vor diesem Hintergrund keine Option“, heißt es dagegen aus dem NRW-Schulministerium. Dort verweist man auf die Professionalisierung des Distanzunterrichts und auf weitere 36 Millionen Euro für Ferienprogramme und außerschulische Bildungsangebote, die das Ministerium bis Sommer 2022 bewilligt hat. Bereits seit dem vergangenen Sommer konnten Bildungsträger für solche Förderangebote Geld beantragen; abgerufen wurden 4,3 Millionen Euro.
Auch bei den Lehrerverbänden trifft die Idee zum Samstagsunterricht auf Ablehnung. „Lehrer, Schüler und Eltern sind derzeit am Limit. Es wäre ein fatales Signal, jetzt noch den Druck durch Samstagsunterricht zu erhöhen. Der Samstag ist Familientag und sollte es bleiben“, sagt Sven Christoffer, Vorsitzender des Verbandes Lehrer NRW. Für populistisch hält die Forderung die stellvertretende NRW-Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW. „Den Regelunterricht auf den Samstag auszudehnen, würde nur eine Umschichtung der vorhandenen Wochenstunden bedeuten“, sagt Ayla Celik. „Lehrer arbeiten 41 Stunden pro Woche, ob sie das verteilt auf fünf oder sechs Tage tun, macht für die Stoffvermittlung keinen Unterschied.“Die Forderung suggeriere aber, dass Lehrer in den Pandemie-Monaten weniger gearbeitet hätten. Das Gegenteil sei aber der Fall: Lehrer hätten fehlende Ausstattung und Konzepte für Distanzunterricht durch individuellen Einsatz ausgeglichen, hätten sich in ihrer Freizeit für den digitalen Unterricht fit gemacht und setzten alles daran, gerade Kinder, die jetzt mehr Unterstützung brauchen, nicht zurückzulassen. „Mit Blick auf die Bildungsgerechtigkeit halten wir es für unabdingbar, dass es Angebote für Schüler mit erhöhtem Förderbedarf gibt“, sagt Celik. Die könnten auch am Samstag oder in den Ferien liegen. Dafür brauche es aber zusätzliches Geld und Personal.
„Wer tiefgreifende Bildungsungerechtigkeiten ausgleichen will, muss mehr tun, als über Samstage in der Schule zu reden“, sagt Sigrid Beer, bildungspolitische Sprecherin der Grünen in NRW, und verweist auf Vorschläge ihrer Partei etwa für ein verbindliches Ferienprogramm. Dagegen bräuchten Lehrer wie Familien das Wochenende, um durchatmen zu können. Auch der bildungspolitische Sprecher der SPD in NRW, Jürgen Ott, erteilt Samstagsunterricht eine Absage. Es sei absurd, weiter davon auszugehen, dass die letzten Monate als ein normales Schuljahr gewertet werden könnten und verpasste Lerninhalte innerhalb weniger Tage an den Wochenenden oder in den Ferien nachzuholen seien.