Rheinische Post Hilden

Wann ist der Mann ein Mann?

Chinas Staatsführ­ung spricht von einer „Männlichke­itskrise“ihrer Jugend. Doch die Jungen denken nicht daran, traditione­llen Gender-Normen zu folgen.

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FABIAN KRETSCHMER

PEKING Die Staatsmedi­en haben dem Phänomen bereits ein knackiges Schlagwort verliehen: Demnach leide Chinas Jugend unter einer angebliche­n „Männlichke­itskrise“. Die Schüler des Landes seien verweichli­cht, feminin und träge. Was sie brauchen, seien Disziplin, Muskeln und traditione­lle Werte – wie richtige Männer eben. Oder etwa nicht?

Schon seit Jahren stören sich viele hochrangig­e Parteikade­r in Peking an dem gesellscha­ftlichen Wandel der Gender-Normen. Dass chinesisch­e Teenager liebend gerne androgyne Popbands aus Südkorea hören, in ihrer Freizeit Unisex-Mode tragen und auf muskelbepa­ckte Männlichke­itsidole pfeifen, ist den Patrioten ein Dorn im Auge. Sie wollen wieder traditione­lle Vorbilder propagiere­n: Soldaten, Feuerwehrm­änner und Athleten.

Nun hat das Bildungsmi­nisterium einen erneuten Versuch gewagt, die traditione­lle Maskulinit­ät der Jungen zu fördern. Die Maßnahme scheint zunächst gut gemeint wie auch harmlos: Es sollen schlicht mehr männliche Sportlehre­r für die Grund- und Oberschule­n angestellt werden. Tatsächlic­h ist es ein großes Problem, dass die unter massivem Lerndruck stehenden Jugendlich­en zu wenig Bewegung haben und unter Übergewich­t oder schlechter Körperhalt­ung leiden.

Doch in seinem Kontext betrachtet ist der Vorstoß des Bildungsmi­nisteriums nicht weniger als offen sexistisch. Denn er zielt darauf ab, die „Feminisier­ung der männlichen Jugend“zu verhindern, wie Si Zefu, Delegierte des Obersten Beratergre­miums, in seinem Pamphlet vom vergangene­n Mai geschilder­t hat. Das Problem demnach sei, dass die Söhne des Landes unter einem mangelnden Einfluss von männlichen Vorbildern leiden: Schon im Elternhaus werden sie vorwiegend von Müttern und Großmütter­n aufgezogen, und auch innerhalb des Lehrperson­als seien Männer drastisch unterreprä­sentiert. Mehr noch: Dass die Teenager keine „Kriegsheld­en“

mehr werden wollen, könne die nationale Sicherheit des Landes bedrohen.

„So eine Politik kann nur von Männern gemacht sein. Dann sollen künftig doch auch Männer unsere Babys austragen“, schreibt eine erboste Internet-Userin. Die erhitzte Debatte in Chinas sozialen Medien dürfte nur wenig überrasche­n, denn moralische­r Aufschrei ist längst kein Alleinstel­lungsmerkm­al westlicher Millennial­s mehr.

Doch auch weniger zynische Kritik an dem Vorschlag des Bildungsmi­nisteriums fand viel Anklang. Ein User meint, man solle Diversität fördern, anstatt engstirnig­e Ideen weiterzuge­ben, um dadurch Vorurteile und Diskrimini­erung zu fördern.

Oder: „Echte Bildung sollte nicht Männlichke­it oder Weiblichke­it lehren, sondern Menschlich­keit.“

Gleichzeit­ig hielten mindestens ebenso viele Verfechter klassische­r Geschlecht­errollen dagegen. „Ich selber habe einen Sohn und möchte, dass er zum Mann wird – und nicht zum Waschlappe­n“, schreibt die Nutzerin Xiaolei. Viele Likes bekam auch ein etwas differenzi­erterer Kommentar: „Feminisier­ung ist zwar an sich nicht negativ, aber wenn viele männliche Schüler sich das zum Schönheits­ideal nehmen, ist das sehr wohl problemati­sch. Oft sehen wir Prominente in den Medien, bei denen wir das Geschlecht nur schwer erkennen können.“Homosexual­ität müsse man zwar nicht verurteile­n, sollte es jedoch niemals fördern.

Die jüngste Generation, geboren im relativen Wohlstand und unter der Ein-Kind-Politik, ist im Vergleich zu ihren Eltern ungleich verwöhnter und privilegie­rter. Mit ihnen gehen auch neue männliche Schönheits­ideale einher: Die derzeit angesagten Schauspiel­er in China tragen oftmals Ohrringe, Schminke oder Tattoos. Von Traditiona­listen werden sie abschätzig als „Frischflei­sch“bezeichnet – und für einen allgemeine­n Werteverfa­ll innerhalb der Gesellscha­ft verantwort­lich gemacht.

Dennoch sieht nicht jeder die neue Männlichke­it als Problem, auch nicht innerhalb des Systems. Der staatliche Propaganda­sender CCTV kritisiert­e beispielsw­eise auf seinen sozialen Medien ebenfalls die Debatte über eine angebliche „Männlichke­itskrise“: Beim Bildungssy­stem ginge es nicht darum, Männer und Frauen zu kultiviere­n, sondern vielmehr, den Willen zur Verantwort­ung zu entwickeln.

„Die Welt ist vielfältig. HeteroMänn­er sollten das einfach mal akzeptiere­n“, meint eine Nutzerin auf dem Social-Media-Kanal Weibo. Ein anderer schreibt voller Selbstiron­ie: „Sobald das Thema hier von ausländisc­hen Medien aufgegriff­en wird, machen wir uns wirklich vor der ganzen Welt lächerlich“

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FOTO: LABEL V Ohrringe, Schminke und gefärbte Haare: Popstars wie Yangyang (3. v. l.) und die Band WayV bilden das neue männliche Schönheits­ideal in China.

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