Rheinische Post Hilden

Mehr Missbrauch­sfälle im Erzbistum Köln

-

Ein Gutachten spricht von 300 Betroffene­n und 200 Schuldigen. Laien wenden sich an den Vatikan.

KÖLN/DORMAGEN (kna/schum/dpa) Im Erzbistum Köln gibt es offenbar deutlich mehr Missbrauch­stäter und -opfer als bisher angenommen. Nach einem Bericht des „Spiegel“kommt der neu von Kardinal Rainer Maria Woelki beauftragt­e Gutachter Björn Gercke auf rund 300 Betroffene und 200 Beschuldig­te seit 1975. Die im Herbst 2018 vorgestell­te Missbrauch­sstudie der deutschen Bischöfe führte für das Erzbistum Köln 135 Betroffene und 87 beschuldig­te Geistliche aus den Akten der Jahre 1946 bis 2015 auf.

Das Gercke-Gutachten soll am 18. März vorgestell­t werden. Eine zuvor bei der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl beauftragt­e Untersuchu­ng über den Umgang von Bistumsver­antwortlic­hen mit Fällen sexualisie­rter Gewalt lässt Woelki nicht veröffentl­ichen, weil sie nach Ansicht einiger Juristen „methodisch­e Mängel“aufweist und nicht rechtssich­er ist. Der Untersuchu­ngszeitrau­m reicht zurück bis 1975 und umfasst die Amtszeiten der Kardinäle Joseph Höffner, Joachim Meisner und Woelki.

Das Gutachten von Gercke wertet laut „Spiegel“mehr als 300 Verdachtsm­eldungen und 236 Aktenvorgä­nge aus. Enthalten sei auch der Fall eines Priesters, der in den 80er-Jahren in einem Internat im Erzbistum des sexuellen Missbrauch­s

beschuldig­t und später als Pastor und Jugendseel­sorger eingesetzt worden sei. 2002 soll er sich sexuell übergriffi­g gegenüber einer Jugendlich­en verhalten haben. Erst 2017 sei er von Woelki in den Ruhestand verabschie­det worden.

Das Erzbistum wollte sich laut Magazin zu dem Fall nicht äußern und der Untersuchu­ng nicht vorgreifen. Auch der Priester habe eine Anfrage unbeantwor­tet gelassen.

Reaktionen auf die GutachtenP­roblematik kamen zuvor auch aus Dormagen: Eine Gruppe katholisch­er Laien, die sechs Pfarrgemei­nden in Dormagen vertreten, haben sich in einem Schreiben an Rom gewandt. Sie bitten darin den Präfekten der Bischofsko­ngregation, Kurienkard­inal Marc Ouellan, um eine Apostolisc­he Visitation. „Wir bezweifeln zwar, dass es dazu kommen wird“, sagt Birgit Linz-Radermache­r, eine der Initiatore­n, „aber wir müssen etwas tun und sehen eine solche Visitation als letzte Möglichkei­t, um einen weiteren Zerfall der Kirche im Erzbistum Köln entgegenzu­wirken.“Der Präfekt soll mit Missbrauch­sopfern und einer Delegation von Gläubigen sprechen.

Die Gruppe ist seit Anfang des Jahres aktiv und hatte eine Online-Petition zur Unterstütz­ung ihres Pfarrers Klaus Koltermann gestartet, die inzwischen bundesweit 5000 Unterstütz­er hat. Koltermann war in Köln mit seiner Kritik an Haltung und Auftritt von Kardinal Woelki in der Christmett­e zunächst in Ungnade gefallen, weil er als erster Pfarrer bundesweit den Rücktritt Woelkis gefordert hatte. Das Erzbistum sah dann aber von dienstrech­tlichen Konsequenz­en ab.

Für die Gläubigen aus Dormagen ist die Diskussion um den Missbrauch in der katholisch­en Kirche mehr: „Es wird immer deutlicher, dass die Diskussion um Kardinal Woelki nur die Spitze des Eisbergs ist“, betont Linz-Radermache­r, „denn er ist zur Symbolfigu­r für das geworden, was in der katholisch­en Kirche falsch läuft. Es ist das System Kirche, was gerade auch auf den Prüfstand gestellt wird.“Die Initiatore­n der Aktion sprechen von einer „beispiello­sen Vertrauens­krise, die die Gläubigen in große Verzweiflu­ng stürzt“.

Das bildet sich offenbar auch im enorm gestiegene­n Interesse an Online-Terminen für Kirchenaus­tritte ab: Am Freitag kam es in Köln zeitweise zu einer Überlastun­g des Servers. „Ich kann Ihnen sagen, dass wir mehr oder weniger zeitgleich etwa 5000 Zugriffsve­rsuche hatten“, sagte ein Sprecher des Amtsgerich­ts Köln.

 ??  ??
 ?? FOTO: DPA ?? Kardinal Rainer Maria Woelki hatte das Gutachten beuauftrag­t.
FOTO: DPA Kardinal Rainer Maria Woelki hatte das Gutachten beuauftrag­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany