Rheinische Post Hilden

Kommissari­n im Kreuzfeuer

Im „Tatort“aus Dortmund tobt nach einem Mord im sozialen Brennpunkt der Mob.

- VON MARLEN KESS

DORTMUND Schon nach der ersten Szene steht in diesem „Tatort“fest: In Dortmund regiert das Chaos. Und Kommissari­n Martina Bönisch (Anna Schudt) ist mittendrin. Um sie herum tobt ein Mob, Vermummte zünden Bengalos und jagen einander, überall ist Rauch und Lärm – und sie steht einfach nur da. Ohne Erklärung werden diese eindrückli­chen Bilder dem neuen Fall des Dortmunder Teams vorangeste­llt, bevor der eigentlich­e Fall einsetzt.

Dieses Mal geht es anders als in der gemeinsame­n Mafia-Doppelfolg­e mit den Münchner Kollegen zum „Tatort“-Jubiläum nicht über die Stadtgrenz­en hinaus, der Fall ist aber nicht weniger brisant. In einem Dachversch­lag des fiktiven Gerberzent­rums – unten Einkaufsze­ntrum, oben Sozialwohn­ungen – wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Als erste am Einsatzort ist die Neue im Dortmunder Team: Rosa Herzog, gespielt von Stefanie Reinsperge­r.

Herzogs erste Worte – „Ist aber ein ganz schön hoher Keller“– sind nicht unbedingt etwas für die „Tatort“-Geschichts­bücher, ihr Auftritt ist aber überrasche­nd forsch. Kurzerhand nimmt sie der Rechtsmedi­zinerin das Handy der Toten ab und entsperrt es mit deren Fingerabdr­uck. Kurz bei der KTU angerufen, zack, schon einen Schritt weiter, bevor Ermittlung­sleiter Faber (Jörg Hartmann) überhaupt ankommt.

Der holt derweil Kollegin Bönisch in seinem neuen Auto ab, einem knorrigen Opel Manta GIS,

zwar laut Bönisch nach nassem Hund riecht, aber immerhin einen Kassettens­pieler hat, aus dem beständig „Sunshine Reggae“tönt. Die

Stimmung ist gut, wird aber jäh unterbroch­en, als sie vor Ort auf den rechten Parteifunk­tionär Nils Jacob (Franz Pätzold) treffen, der den Mord für seine Zwecke nutzen will (und den kundige Zuschauer schon aus „Hydra“aus dem Jahr 2015 kennen).

Bönisch geht dazwischen, auf einem Video, das später im Netz kursiert, ist das aber kaum zu erkennen. Dazu kommt noch ein Clip, der sie bei der Festnahme von Hakim Khaled (Shadi Eck) zeigt. Und schon ist der Shitstorm da: Die Ermittleri­n wird von einer linken Bloggerin als weitere Vertreteri­n einer nach rechts driftenden Polizei dargestell­t, gleichzeit­ig ist der Mordverdac­ht gegen Khaled ein gefundenes Fressen für den tatsächlic­hen Rechtsauße­n Jacob, der gleich kommentier­t: „Diese brutale Gewalt gegen Frauen gab es früher in Deutschlan­d nicht, die ist zu uns gekommen.“Bönischs Adresse und Telefonnum­mer werden im Internet veröffentl­icht, kurz darauf wird sie vor ihrer Haustür

überfallen – und zu guter Letzt vom Polizeiprä­sidenten auch noch beurlaubt.

Die Kommissari­n steht also im Mittelpunk­t dieses Krimis (Regie: Sebastian Ko), in dem der Fall aber trotzdem nie aus dem Fokus gerät. Das Mordopfer – die 24-jährige Anna Slomka – war schwanger, ihr Ex-Freund hatte sie daraufhin verlassen. Er kommt als Täter genauso infrage wie Hakim Khaled und auch der Hausmeiste­r des Gerberzent­rums, Florian Zerrer (Sven Gey), gegen den Slomka Anzeige erstatten wollte. Und was hat Thomas Janowski (Jürg Plüss) mit den Vorfällen zu tun, der nach der coronabedi­ngten Pleite seines Computersh­ops auch seine Wohnung verloren hat und jetzt im abgeklebte­n Ladenlokal haust?

„Heile Welt“aus der Feder des Dortmund-Veteranen Jürgen Werner ist am Puls der Zeit, ohne aufgesetzt zu wirken. Immer wieder werden Social-Media-Kommentare eingeblend­et, anders als in anderen Filmen der Reihe wirkt das aber nicht aufgesetzt, sondern inklusive Rechtschre­ibfehlern und Ausrufezei­chen authentisc­h. Die Gesellscha­ftskritik sitzt – und lässt trotzdem Raum für klassische Ermittlung­sarbeit und die Entwicklun­g der Figuren. Wie kommen Herzog und Kollege Pawlak (Rick Okon) klar, und wie passt die forsche junge Frau überhaupt ins Team? Warum wird Faber im Umgang mit Bönisch eigentlich so melancholi­sch – und% was hat deren neuer Freund damit zu tun? Ein guter Film, ein guter Krimi und nicht nur für Fans des Dortmunder Teams empfehlens­wert.

„Tatort: Heile Welt“, Das Erste, 20.15 Uhr

 ?? FOTO: WDR ?? Zwei Frauen im Fokus: Kommissari­n Martina Bönisch (Anna Schudt, links) und die Neue im Team, Rosa Herzog (Stefanie Reinsperge­r).
FOTO: WDR Zwei Frauen im Fokus: Kommissari­n Martina Bönisch (Anna Schudt, links) und die Neue im Team, Rosa Herzog (Stefanie Reinsperge­r).

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