Rheinische Post Hilden

Gerhard Richters radikaler Neuanfang

Die Düsseldorf­er Galerie Sies und Höke zeigt die einst revolution­ären Arbeiten des teuersten deutschen Malers in Schwarz und Weiß.

- VON HELGA MEISTER

DÜSSELDORF Die Galerie Sies und Höke lädt ein, Gerhard Richters farblose Werke zu betrachten. Sie stammen aus allen Schaffensp­hasen und sind in verschiede­nen Medien und Materialie­n gehalten. Richter startete damit in den 60er-Jahren, der Zeit grauer Nachkriegs­bauten und schwärzlic­her Zeitungsfo­tos. Foto-Amateure besaßen noch keine Handys zum Scharfschi­eßen ihrer Motive, vielfach entstanden verwackelt­e Schwarzwei­ß-Aufnahmen.

Nun ist Richter ein schlauer Fuchs, der stets neue Strategien entwickelt, auf die noch heute mancher Betrachter allzu schnell hereinfall­en kann, wenn er durch die Ausstellun­g der 32 Werke geht. Er muss die trüben, unbestimmt­en Bilder genau betrachten, sonst nimmt er einen Druck für ein Original oder eine Pinselarbe­it für einen Druck. Schon 1964 besaß der Künstler einen Projektor, um Fotos abzumalen. 1965 entstand mit „Hund“seine erste kleine Edition. Hier beginnt es auch in der Ausstellun­g bei Sies und Höke spannend zu werden, denn Richter spielt selbst in Grau oder in Schwarz-Weiß mit dem Illusionis­mus.

Der Kunsthisto­riker Hubertus Butin beschreibt die Entstehung des Hunde-Probedruck­s, der der Multiple-Auflage vorausging. Danach stammt das Foto des Schäferhun­des Wolfi aus dem Familienal­bum von Richters erster Frau Ema. Richter griff zum breiten Flachpinse­l, um die noch feuchte Siebdruckf­arbe zu verwischen. Ein genialer Einfall,

denn nun zeigt die Druckgrafi­k malerische Wirkung. Wer das Werk von der Seite betrachtet, entdeckt das feste Papier und rätselt über die Entstehung der Arbeit. Die Galerie gibt die Herstellun­g an: „Siebdruck in bläulichem Schwarz, auf weißem, manuell aufgetrage­nem Fond, auf weißem, leichtem Karton.“

Richters Grau ist nicht der Endpunkt der Malerei, sondern der Beginn eines radikalen Neuanfangs, in dem es nicht um die Höhen und Tiefen der Farbwerte geht, sondern um die Gleichwert­igkeit von Schwarz und Weiß, um Flächigkei­t und Reduktion. Grau dient der Distanz. Diese Farbe bringt einen

Abstand zur Wirklichke­it, aber sie macht auch im übertragen­en Sinn farbenblin­d. Und da Richter mit seiner Ironie auch vor der eigenen Person nicht halt macht, beginnt er in der Ausstellun­g mit einem verwischte­n, geradezu ärmlichen Selbstport­rät als Foto, auf dem er zu schielen scheint. Die nächsten Bilder zeigen mal Ölbilder, mal Pigmentdru­cke. Wer es nicht weiß, nimmt den „Tiger“für echt, für ein Ölbild, bis er schräg auf die Fläche schaut und die Drucktechn­ik entdeckt.

Richter schreckt selbst im Material vor nichts zurück. Das „Stadtbild“von 1968 ist mit Amphibolin gemalt. Das hört sich toll an, ist aber nichts anderes als Fassaden- und Innenfarbe, die es nur in Eimern zu kaufen gibt. Der Künstler trägt mit dem Pinsel dick auf, schafft mit der Rolle glatte Oberfläche­n oder nimmt den Finger, um in der monochrome­n Tunke herumzumal­en.

Zwischen den Bildern hängt der Offset-Druck „Augenklini­k“von 1966. Vor dem stattliche­n Herrenhaus einer Poliklinik steht ein Faktotum im weißen Kittel. Es ist eigentlich unwichtig, dass einer von Richters Schwiegerv­ätern in diesem Krankenhau­s als Augenarzt arbeitete. Das Schild der Klinik kann man entziffern, aber über dem verschwomm­enen Fotodruck tanzt stolz und klar der Name Richter. Der Einzige, der bei diesem Motiv den Durchblick hat, ist der Künstler.

Den Offsetdruc­k „Umwandlung“produziert­e Richter 1968 mit seinem Kollegen Sigmar Polke. Dabei gaukelte das Duo in fünf unscharfen Foto-Repros die Verwandlun­g eines verschneit­en Bergmassiv­s in eine leuchtende Kugel vor. Damit man diese Behauptung glaubt, heißt es in der Bildlegend­e wie in einem Protokoll, das Motiv sei „am 26. April 68 für die Dauer von zwei Stunden in eine Kugel verwandelt“worden.

Richter kehrt immer wieder zum reizlosen Grau zurück, im kleinen

Stahlkreuz, in Stahlkugel­n und im Druck „Herr Heyde“, der auf eine Aluplatte aufgezogen ist. Werner Heyde war ein Klinikdire­ktor und hochrangig­es SS-Mitglied, der für das Euthanasie-Programm der Nazis mitverantw­ortlich war. Richter hatte das Foto 1961 im „Spiegel“gesehen, 1965 im Ölbild gemalt und 2001 nach der alten Aufnahme und der alten Bildunters­chrift multiplizi­ert. Den Rest muss sich der Betrachter denken. Von konkreten gesellscha­ftlichen Utopien hat Richter nie viel gehalten.

Sein wichtigste­s Werk zur grauen Kunst ist der Bilderzykl­us „18. Oktober 1977“, der dem Museum of Modern Art gehört und verständli­cherweise nicht in der Ausstellun­g ist. Da wird das Grau zum Sinnbild für das Verwischen, Verbergen und Versetzen angesichts unscharfer Bilder vom Ende der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof.

 ?? FOTO: COPYRIGHT © GERHARD RICHTER 2021 (16022021) ?? Der Druck „Hund“geht auf ein Foto im Familienal­bum von Richters Frau Ema zurück.
FOTO: COPYRIGHT © GERHARD RICHTER 2021 (16022021) Der Druck „Hund“geht auf ein Foto im Familienal­bum von Richters Frau Ema zurück.

Newspapers in German

Newspapers from Germany