Sollen Baumärkte öffnen dürfen?
Es mag sein, dass Baumärkte, Elektronikläden und Modehäuser nicht zu den lebensnotwendigen Handelseinrichtungen zählen – wenigstens aus Konsumentensicht. Sie aber weiter geschlossen zu lassen, kann keine Lösung sein. Seit Mitte Dezember ist nicht nur das Leben in den Innenstädten stillgelegt, sondern auch in den Fachmärkten aller Art, die oft verkehrsgünstig und großzügig Stadtränder oder Autobahnabfahrten schmücken. Schon aufgrund ihrer Lage müssten sie also anders behandelt werden als kleine Shoppingläden auf engen Einkaufsmeilen.
Nach allem, was Epidemiologen, Virologen und Mobilitätsforscher in gut einem Pandemiejahr herausgefunden haben, dürften Baumärkte, Möbelhäuser und ähnliche Handelseinrichtungen außerhalb der Innenstädte nicht die Treiber des Infektionsgeschehens sein. Denn sie bieten Platz – nicht nur flächen- sondern auch höhenmäßig, was eine gute Grundlage für den Luftaustausch in dieser Art von geschlossenen Räumen ist.
Hinzu kommen all die Schutzmaßnahmen für den Handel: Personenhöchstzahl pro Quadratmeter, Einkaufswagen- und medizinische Maskenpflicht. Das Risiko, sich im Gartencenter mit Corona zu infizieren, ist objektiv ziemlich gering, da sind sich die Experten weitgehend einig. Und warum sollten die Konzepte, die seit Monaten in Supermärkten, Drogerien und Tierfachmärkten funktionieren, nicht auch anderswo funktionieren? Die Menschen sind das Einhalten dieser Regeln nicht nur gewohnt, es ist inzwischen erlerntes Verhalten, das beim Einkaufen respektiert wird.
Wer wirklich mal jemanden trifft, unterhält sich eben auf Abstand – zumindest ist das so derzeit häufig zu beobachten – und trägt außerdem ja zwangsläufig dabei die medizinische Maske. Das ist auch der Punkt, wieso nun keine pauschale Öffnungswelle der Gastronomie folgen kann. Essen und Trinken ohne Maske ist eben nicht möglich, und die Räumlichkeiten, auch die sanitären Anlagen sind meist zu beengt und optimal für den gefährlichen Aerosolaustausch.
Deshalb aber sämtliche Händler geschlossen zu halten, statt klugen Ansätzen zu folgen, hilft keinem. Die wirtschaftlichen Schäden durch den Lockdown sind schon hoch genug, laut Deutschem Handelsverband droht das Aus für bis zu 50.000 Geschäfte mit über 250.000 Mitarbeitern; insgesamt ist der Wegfall von 600.000 Arbeitsplätzen zu befürchten. Ja, Obi, Breuninger und Mediamarkt sind dicke Fische und per se wohl eher weniger von Insolvenz bedroht als der selbstständige Spielwarenhändler nebenan, aber vielleicht lassen sich auch Lösungen für kleine Läden finden – ohne die Innenstädte zu fluten.
Rheinland-Pfalz könnte ein gutes Beispiel sein: Dort können Kunden ab Montag Shoppen mit Termin – zwar nur für ein kurzes Zeitfenster und nur je ein Haushalt. Aber es ist ein vor- und umsichtiger Anfang.
Viele haben es satt. Nicht nur die Einschränkungen ihres privaten wie beruflichen Lebens, sondern auch die ewigen Appelle durchzuhalten, vernünftig zu bleiben, solidarisch zu sein. Während die Politik ihr Hickhack fortsetzt ums Impfen, Reisen und das Verweilen beim Spaziergang in der Sonne. Natürlich würde man da gern einmal wieder ganz in Ruhe in den Baumarkt fahren und wenigstens die Projekte in den eigenen vier Wänden vorantreiben. Der Frühling ist da, die Gärten explodieren, und wer zum Zuhausesein verdammt ist, hat nun mal Verschönerungsideen.
Doch was nützt das, wenn eine Öffnung jetzt alles bedroht, was die vielen Wochen Verzicht erreicht haben? Man kann es nicht mehr hören: Inzidenzzahlen, dritte Welle und so fort, doch der Pandemie ist das egal. Viren kennen nur eine einzige Strategie: sich ausbreiten, um zu überleben. Und da kommen ihnen Menschen auf Parkplätzen, in Warteschlangen, zwischen Baumarktregalen gerade recht. Dass die Infektionszahlen durch den Lockdown heruntergegangen sind, ist der Beweis. Und niemand soll sagen, dass Desinfektionsmittelspender am Eingang
oder aufgeklebte Fußbodenpfeile verhindern, dass man eben doch die Nachbarn trifft und ein bisschen plaudert. Oder gerade dieses eine Produkt in die Hand nehmen will, vor dem sich schon die anderen knubbeln. Das ist Leben. Das ist die eigentliche Freude am Einkaufen, das nette Drumherum. Wie gefährlich das alles ist, wissen wir nicht. Das ist ein Fehler, das hätte besser erhoben werden sollen. Hätte, hätte, Baumarktkette. Ein Versäumnis ist leider kein Argument, jetzt einfach wieder draufloszushoppen.
Vor allem gibt es keinen vernünftigen Grund, warum Baumärkte nun öffnen sollten, aber Kultureinrichtungen nicht. Ist es wichtiger, dass die Bürger sich mit Holz, Farbe, Mährobotern eindecken, oder sollten nicht zuerst Bibliotheken, Kinos, Theater wieder ein bisschen geistige Nahrung liefern? Für jedes Alter, jeden Geschmack. Hauptsache mal wieder andere Gedanken! Wenn etwa Kinos mit vorgebuchten Onlinetickets, versetzten Einlasszeiten und Schnelltests wieder starteten, käme es nicht zum Ansturm wie bei der Wiedereröffnung der Möbelhäuser. Aber es kehrte etwas Spaß ins Leben zurück.
Einzelnen Branchen wie den Baumärkten vorzeitig grünes Licht zu geben, entbehrt genauso jeder Logik wie die Öffnung der Friseure. Der beste Beweis dafür war der lustige Hinweis, das habe mit Menschenwürde zu tun. Die Friseure sollen eine maximal genervte Gesellschaft besänftigen. Natürlich freut es einen für jeden Salon, der nun nicht pleitegeht. Für alle anderen, die weiter um ihre Existenzen ringen, ist jede Öffnung, die nicht auf Argumenten basiert, sondern auf dem populistischen Kalkül bedrängter Politiker ein Schlag ins Kontor.
Wäre toll, endlich das Tomatenhäuschen zu zimmern. Bauanleitung liegt bereit. Kann aber auch warten, wenn wir ehrlich sind.