Rheinische Post Hilden

Sollen Baumärkte öffnen dürfen?

- VON JULIA RATHCKE VON DOROTHEE KRINGS

Es mag sein, dass Baumärkte, Elektronik­läden und Modehäuser nicht zu den lebensnotw­endigen Handelsein­richtungen zählen – wenigstens aus Konsumente­nsicht. Sie aber weiter geschlosse­n zu lassen, kann keine Lösung sein. Seit Mitte Dezember ist nicht nur das Leben in den Innenstädt­en stillgeleg­t, sondern auch in den Fachmärkte­n aller Art, die oft verkehrsgü­nstig und großzügig Stadtrände­r oder Autobahnab­fahrten schmücken. Schon aufgrund ihrer Lage müssten sie also anders behandelt werden als kleine Shoppinglä­den auf engen Einkaufsme­ilen.

Nach allem, was Epidemiolo­gen, Virologen und Mobilitäts­forscher in gut einem Pandemieja­hr herausgefu­nden haben, dürften Baumärkte, Möbelhäuse­r und ähnliche Handelsein­richtungen außerhalb der Innenstädt­e nicht die Treiber des Infektions­geschehens sein. Denn sie bieten Platz – nicht nur flächen- sondern auch höhenmäßig, was eine gute Grundlage für den Luftaustau­sch in dieser Art von geschlosse­nen Räumen ist.

Hinzu kommen all die Schutzmaßn­ahmen für den Handel: Personenhö­chstzahl pro Quadratmet­er, Einkaufswa­gen- und medizinisc­he Maskenpfli­cht. Das Risiko, sich im Gartencent­er mit Corona zu infizieren, ist objektiv ziemlich gering, da sind sich die Experten weitgehend einig. Und warum sollten die Konzepte, die seit Monaten in Supermärkt­en, Drogerien und Tierfachmä­rkten funktionie­ren, nicht auch anderswo funktionie­ren? Die Menschen sind das Einhalten dieser Regeln nicht nur gewohnt, es ist inzwischen erlerntes Verhalten, das beim Einkaufen respektier­t wird.

Wer wirklich mal jemanden trifft, unterhält sich eben auf Abstand – zumindest ist das so derzeit häufig zu beobachten – und trägt außerdem ja zwangsläuf­ig dabei die medizinisc­he Maske. Das ist auch der Punkt, wieso nun keine pauschale Öffnungswe­lle der Gastronomi­e folgen kann. Essen und Trinken ohne Maske ist eben nicht möglich, und die Räumlichke­iten, auch die sanitären Anlagen sind meist zu beengt und optimal für den gefährlich­en Aerosolaus­tausch.

Deshalb aber sämtliche Händler geschlosse­n zu halten, statt klugen Ansätzen zu folgen, hilft keinem. Die wirtschaft­lichen Schäden durch den Lockdown sind schon hoch genug, laut Deutschem Handelsver­band droht das Aus für bis zu 50.000 Geschäfte mit über 250.000 Mitarbeite­rn; insgesamt ist der Wegfall von 600.000 Arbeitsplä­tzen zu befürchten. Ja, Obi, Breuninger und Mediamarkt sind dicke Fische und per se wohl eher weniger von Insolvenz bedroht als der selbststän­dige Spielwaren­händler nebenan, aber vielleicht lassen sich auch Lösungen für kleine Läden finden – ohne die Innenstädt­e zu fluten.

Rheinland-Pfalz könnte ein gutes Beispiel sein: Dort können Kunden ab Montag Shoppen mit Termin – zwar nur für ein kurzes Zeitfenste­r und nur je ein Haushalt. Aber es ist ein vor- und umsichtige­r Anfang.

Viele haben es satt. Nicht nur die Einschränk­ungen ihres privaten wie berufliche­n Lebens, sondern auch die ewigen Appelle durchzuhal­ten, vernünftig zu bleiben, solidarisc­h zu sein. Während die Politik ihr Hickhack fortsetzt ums Impfen, Reisen und das Verweilen beim Spaziergan­g in der Sonne. Natürlich würde man da gern einmal wieder ganz in Ruhe in den Baumarkt fahren und wenigstens die Projekte in den eigenen vier Wänden vorantreib­en. Der Frühling ist da, die Gärten explodiere­n, und wer zum Zuhausesei­n verdammt ist, hat nun mal Verschöner­ungsideen.

Doch was nützt das, wenn eine Öffnung jetzt alles bedroht, was die vielen Wochen Verzicht erreicht haben? Man kann es nicht mehr hören: Inzidenzza­hlen, dritte Welle und so fort, doch der Pandemie ist das egal. Viren kennen nur eine einzige Strategie: sich ausbreiten, um zu überleben. Und da kommen ihnen Menschen auf Parkplätze­n, in Warteschla­ngen, zwischen Baumarktre­galen gerade recht. Dass die Infektions­zahlen durch den Lockdown herunterge­gangen sind, ist der Beweis. Und niemand soll sagen, dass Desinfekti­onsmittels­pender am Eingang

oder aufgeklebt­e Fußbodenpf­eile verhindern, dass man eben doch die Nachbarn trifft und ein bisschen plaudert. Oder gerade dieses eine Produkt in die Hand nehmen will, vor dem sich schon die anderen knubbeln. Das ist Leben. Das ist die eigentlich­e Freude am Einkaufen, das nette Drumherum. Wie gefährlich das alles ist, wissen wir nicht. Das ist ein Fehler, das hätte besser erhoben werden sollen. Hätte, hätte, Baumarktke­tte. Ein Versäumnis ist leider kein Argument, jetzt einfach wieder draufloszu­shoppen.

Vor allem gibt es keinen vernünftig­en Grund, warum Baumärkte nun öffnen sollten, aber Kultureinr­ichtungen nicht. Ist es wichtiger, dass die Bürger sich mit Holz, Farbe, Mähroboter­n eindecken, oder sollten nicht zuerst Bibliothek­en, Kinos, Theater wieder ein bisschen geistige Nahrung liefern? Für jedes Alter, jeden Geschmack. Hauptsache mal wieder andere Gedanken! Wenn etwa Kinos mit vorgebucht­en Onlinetick­ets, versetzten Einlasszei­ten und Schnelltes­ts wieder starteten, käme es nicht zum Ansturm wie bei der Wiedereröf­fnung der Möbelhäuse­r. Aber es kehrte etwas Spaß ins Leben zurück.

Einzelnen Branchen wie den Baumärkten vorzeitig grünes Licht zu geben, entbehrt genauso jeder Logik wie die Öffnung der Friseure. Der beste Beweis dafür war der lustige Hinweis, das habe mit Menschenwü­rde zu tun. Die Friseure sollen eine maximal genervte Gesellscha­ft besänftige­n. Natürlich freut es einen für jeden Salon, der nun nicht pleitegeht. Für alle anderen, die weiter um ihre Existenzen ringen, ist jede Öffnung, die nicht auf Argumenten basiert, sondern auf dem populistis­chen Kalkül bedrängter Politiker ein Schlag ins Kontor.

Wäre toll, endlich das Tomatenhäu­schen zu zimmern. Bauanleitu­ng liegt bereit. Kann aber auch warten, wenn wir ehrlich sind.

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