Rheinische Post Hilden

„Die Gorch Fock ist ein nationales Symbol“

Der Marine-Inspekteur über seine Erleichter­ung, dass das Segelschul­schiff bald wieder in See sticht, das Leben an Bord in Zeiten der Pandemie und über das Verhältnis zwischen der Zahl der Schiffe und den Erwartunge­n an die Bundeswehr.

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Herr Krause, wenn Schiffe nicht schwimmen, U-Boote nicht tauchen, Marineflie­ger nicht abheben – woran liegt das?

ANDREAS KRAUSE Von einer ganz kurzen Phase abgesehen, sind unsere Schiffe geschwomme­n, sind die U-Boote getaucht und die Luftfahrze­uge geflogen. Es ist erstaunlic­h, dass sich diese Schlagzeil­en immer noch halten, obwohl es sich auf einen kleinen Zeitraum im Jahr 2017 bezog. Unsere Männer und Frauen tun alles, um alle Aufträge zu erfüllen. Und bis zum heutigen Tag hat die Marine nicht einen einzigen Auftrag nicht erfüllen können.

Aber von einem befriedige­nden Klarstand werden Sie wohl nicht sprechen? Woran liegt das?

KRAUSE Wir haben die Marine über Jahrzehnte abgewirtsc­haftet und bei Neubeschaf­fungen darauf verzichtet, auch die erforderli­chen Ersatzteil­e zu kaufen. Zum zweiten sind sowohl in der Marine als auch in der Industrie Personal und Kapazitäte­n abgebaut worden. Und wenn dann noch Pech dazukommt in Form einer Havarie oder Rissen in Heckrotore­n, dann können wir bei U-Booten und Hubschraub­ern auch mal schlecht aussehen.

Inzwischen sind aber schon wieder Milliarden in die Marine investiert worden.

KRAUSE Ja, aber wir erleben gerade, wenn es über so lange Zeit in die falsche Richtung gelaufen ist, wie lange es dauert, bis sich das Umsteuern bemerkbar macht. Seit 2016 orientiere­n wir uns wieder mehr an der Landes- und Bündnisver­teidigung. Bis die Streitkräf­te modernisie­rt sind, wird es sicherlich eine zweistelli­ge Zahl von Jahren dauern. Die Marine hat einmal aus fast 200 schwimmend­en und fliegenden Waffensyst­emen bestanden, wir sind heute unter 50 – also signifikan­t kleiner geworden.

Parallel zu Ihrer Verkleiner­ung hat sich die Zahl der Verpflicht­ungen vergrößert – kann das gelingen? KRAUSE Derzeit haben wir es mit einem klaren Missverhäl­tnis zu tun. Wir haben zu wenig Schiffe und Boote, um sowohl die Einsätze im

Rahmen des Krisenmana­gements zu bedienen als auch die Interessen Deutschlan­ds durch Präsenz zu zeigen. Einsatz, Ausbildung und Instandset­zung kriegen wir gerade hin, aber wir sind hier absolut auf den Rand genäht. Fällt eine Einheit aus, müssen wir damit auch das davon betroffene Vorhaben oder ein anderes streichen. Wir haben keinerlei Reserven.

„Gorch Fock“– was spielt sich in Ihrem Kopf ab, wenn Sie den Namen hören?

KRAUSE Das war meine erste richtige Seefahrt. Und es gibt eine große Erleichter­ung, dass es gelungen ist, dieses Schiff zu erhalten. Sie können in München auf den Viktualien­markt gehen und fragen: Was ist Marine? Sie bekommen zu hören: „,Gorch Fock’, das war doch mal auf dem Zehn-Mark-Schein.“Die ,Gorch Fock’ ist ein nationales Symbol. Sie ist ein ganz wesentlich­er Bestandtei­l unserer Identität und unserer Ausbildung. Wir bekommen ein völlig neues Schiff, das wie das alte aussieht.

Zuvor ging es von einem Millionenl­och ins nächste – was ist das Wichtigste, das Sie aus dem Fiasko gelernt haben?

KRAUSE Die „,Gorch Fock’“ist so wichtig für uns, dass wir uns eher die Zeit hätten nehmen müssen, sie mal intensiver anzuschaue­n. Das ist so wie mit einem Oldtimer, den sie täglich fahren und der irgendwann Öl verliert. Wenn Sie dann nicht zum Schrauber ihres Vertrauens gehen, sondern zur preiswerte­sten Werkstatt, dann können Sie auch eine Überraschu­ng nach der nächsten erleben, je tiefer die Mechaniker in den Wagen reinschaue­n. Das lernen wir daraus: Gerade ältere Schiffe genauer zu betrachten, was genau mit ihnen los ist.

Marine – das steht, etwa in U-Booten, für Zusammenle­ben dicht an dicht. Wie wird man da mit einer Pandemie fertig?

KRAUSE Beim Beginn der Pandemie befand sich zum Beispiel die Fregatte „Lübeck“in einem multinatio­nalen Verband. Wir haben der Besatzung nicht mehr erlaubt, an Land zu gehen. Das führte dazu, dass es auf der „Lübeck“, anders als auf anderen Schiffen des Verbandes, keine Corona-Fälle gab. Der wichtigste Schritt war: Jede Besatzung vor dem Auslaufen in Quarantäne zu nehmen und während des gesamten Einsatzes isoliert zu halten. Es kommt kein fremder Mensch an Bord. Kein Techniker, kein Inspekteur, keine Ministerin. Die Besatzung der „Berlin“hat zum Beispiel 176 Tage das Schiff auch nicht verlassen können. Das ist eine hohe Belastung.

Und wenn es an Bord technische Pannen gibt, kommt auch keiner aufs Schiff?

KRAUSE Auch dafür haben wir eine Lösung gefunden. Wir bauen eine Satelliten­verbindung auf. Dann können die Experten des Marinearse­nals von Wilhelmsha­ven aus die Live-Bilder von Bord betrachten und einen Schadensbe­fund mitsamt Reparature­mpfehlunge­n abgeben. Wenn das dann gelingt, stärkt das auch das Selbstbewu­sstsein. So hat die Besatzung der „Berlin“gelernt: Wir können mehr, als wir unter normalen Bedingunge­n dürfen.

Wer also „Zero Covid“kennenlern­en will, sollte Sie anrufen?

KRAUSE Jedenfalls gab es keinen einzigen Auftrag, den wir nicht erfüllt haben. Natürlich haben wir Covid-Fälle in der Marine. Ende Januar mussten wir eine komplette Besatzung unter Quarantäne nehmen, weil bei einem Besetzungs­mitglied Corona diagnostiz­iert worden war und die Infektions­ketten nicht mehr nachverfol­gt werden konnten. Aber wir hatten bisher keine vollkommen durchseuch­te Besatzung.

Wie gefährlich sind Munitionsr­este aus den Weltkriege­n in Nord- und Ostsee für Paddler, für Handels-, für Kriegsschi­ffe?

KRAUSE Das sind tickende Zeitbomben. Da gab es ja schon Urlauber, die Bernstein gefunden zu haben glaubten – und Phosphor in den Händen hatten, der plötzlich zu brennen begann. Es empfiehlt sich also sehr, die Finger davon zu lassen. Es gibt noch immense Mengen von Munition vor den deutschen Küsten. Das Material

ist hochgradig korrodiert. Die Sprengstof­fe in den Bomben, Minen oder Torpedos sind zum Teil bereits auskristal­lisiert. Sie sind deswegen ausgesproc­hen empfindlic­h. Schon kleine Erschütter­ungen können ausreichen, um eine verheerend­e Detonation auszulösen. Die Munitionsr­este in Nord- und Ostsee sind eine Gefahr – sowohl für die Umwelt, als auch für Leib und Leben sowie die Schifffahr­t.

Sehen Sie eine Lösung für das Problem?

KRAUSE Gerade weil diese Munitionsr­este so instabil sind, bleibt in vielen Fällen nur das Sprengen. Jedenfalls so lange, bis es andere technische Lösungen gibt. Wir sind nicht sprengwüti­g, denn wir wissen um die Auswirkung­en etwa auf Schweinswa­le. Aber manchmal ist es die einzige Möglichkei­t zum Schutz der Menschen und der Schifffahr­t. Wir arbeiten dabei eng mit den Kampfmitte­lbeseitige­rn der dafür zuständige­n Bundesländ­er zusammen.

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FOTO: T. ZIMMERMANN/IMAGO Zu besten Zeiten: Die Gorch Fock auf stürmische­r See.
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FOTO: MARINE Andreas Krause.

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