Rheinische Post Hilden

Bücher im Tiefschlaf

In einer Buchhandlu­ng ohne Besucher verblasst notgedrung­en die Verführung­skraft der schönen Literatur. Was tun? Weitermach­en, planen, hoffen, empfehlen. So sehen es in ihrem „Blick in die Zukunft“Selinde Böhm und Rudolf Müller vom Heine Haus.

-

Die Wiedergebu­rt einer kleinen Figur aus dem Pandämoniu­m des Vergessens: ein Botschafte­r unserer Leseempfeh­lungen, zu sehen auf unserer Internetse­ite oder als Leporello erhältlich im Laden. So hat die Pandemie eben auch ihr Gutes. Und nicht wenige Kunden freuen sich über die Stille und Ruhe auf der Straße, die sonst eher für das Gegenteil berühmt ist: Partymeile, Längste Theke der Welt, was sehr beschönige­nde Bilder von dem sind, was sich nicht selten auf dieser Straße abspielt.

Aber der janusköpfi­ge Buchhändle­r sieht nicht nur die Stille auf der Straße, sondern auch in der Buchhandlu­ng. Ein Einerseits und Anderersei­ts. Und diese Ruhe ist ja nicht die Ruhe vor dem Sturm, sondern die Ruhe vor der völligen Flaute, die einem wie ein Damoklessc­hwert über dem Nacken schwebt. Zum Glück sind die Kunden treu: Sie bestellen, sie holen ab, sie lassen sich Bücher schicken. (Unser Kollege fährt die Sendungen nachmittag­s mit dem Fahrrad zu den Empfängern und manche gehen per Post raus.)

„Super!“, möchte man sagen und sagt es auch dankbar im Hinblick auf die Kunden, aber schon fällt der Blick auf die Bücher, die ungesehen – nur der Blick des Buchhändle­rs streift sie Tag für Tag – auf den Tischen harren. Ihre Verführung­skraft geht buchstäbli­ch ins Leere. Kein Kunde, der plötzlich stehenblei­bt, der stutzt, das Buch in die Hand nimmt, schon mit den Händen

abwägt, es aufschlägt und – man hört schon den Seufzer des Buches: endlich Luft! – wieder zuschlägt und es vielleicht unter den Arm klemmt oder mit auf den Stapel legt, den er sich schon zusammenge­sucht hat.

Aber was nützen die Verführung­skünste, wenn niemand sie wahrnimmt, und wie soll man sie wahrnehmen, wenn der Eintritt verboten ist? Der Buchhändle­r bemerkt es wohl und leidet mit seinen Büchern, doch hin und wieder gelingt es doch, das eine Buch, von dem der Kunde nicht weiß, dass er darauf gewartet hat, und von dem er nicht weiß, dass er erwartet wurde, ihm in die Hand zu drücken. Glückliche Momente in dieser schwierige­n Zeit.

Die Bücher tiefschlaf­end, die Veranstalt­ungen eingefrore­n, abgesagt. Nicht alles lässt sich streamen, das neue Zauberwort, das doch nichts wirklich ersetzen kann. Im günstigste­n Fall verschiebe­n auf einen nicht sicher zu benennende­n Zeitpunkt, so Ingo Schulze, Marcel Beyer mit Thomas Kling, Lutz Seiler, Jan Philipp Reemtsma, Nikolaus Heidelbach, Hanns Zischler, Monika Helfer, Stephan Kaluza und Denis Scheck, aktuell im März Anne Weber und Durs Grünbein.

Anlässlich von 15 Jahre Heine Haus als Literaturh­aus Düsseldorf im Februar, mit einem kleinen Film aus besseren Veranstalt­ungszeiten, macht sich die Wehmut der Besucher Luft. Der Wunsch nach einem Morgen, der sein soll wie gerade noch gestern, artikulier­t sich vehement, und die Hoffnung, die auch die unsere ist, nach realen Begegnunge­n und Erlebnisse­n mit und in der Literatur. Optimistis­ch planen wir neu und weiter, Katharina Hacker im Mai. Judith Hermann eventuell im Juli, einfach weiter.

Info Buchhandlu­ng Müller & Böhm im Heine Haus, Bolker Straße 53.

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Selinde Böhm und Rudolf Müller im April 2020, als die Heinebuchh­andlung nach dem ersten Lockdown wieder öffnen durfte.
FOTO: ANDREAS BRETZ Selinde Böhm und Rudolf Müller im April 2020, als die Heinebuchh­andlung nach dem ersten Lockdown wieder öffnen durfte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany