Unsere Lieblingsfilme
Die Kinos haben in der Corona-Pandemie seit Monaten geschlossen. Das ist erst recht ein Grund für die Kulturredaktion, wieder einmal ihre Lieblingsfilme anzuschauen.
Was ist denn nur mein Lieblingsfilm? Diese Qual der Wahl hatten die fünf RP-Kulturredakteure, als sie ihren Favoriten benennen sollten. Am Ende fiel immer eine Entscheidung. Alle Filme können auf allen großen Plattformen geliehen oder gekauft werden.
„Stand By Me –
Geheimnis eines Sommers“
Mein Lieblingsfilm kam 1986 ins Kino, die Vorlage liefert die Erzählung „Die Leiche“von Stephen King aus seiner tollen Novellensammlung „Frühling, Sommer, Herbst und Tod“. Vier Freunde bleiben über Nacht von zu Hause weg, weil sie die Leiche finden wollen, von der sich alle im Dorf erzählen. Es sind die 1950er-Jahre, das ist Castle Rock, jener Ort, an dem die besten von Stephen Kings Geschichten spielen, und große Brüder tragen BaseballJacken. Sie wandern an den Bahnschienen entlang, jeder hat sein Päckchen zu tragen, auch im übertragenen Sinne, und was diesen Film so toll macht, ist der Ton, in dem er erzählt wird. Der erwachsene Gordie erzählt diese Episode aus seiner Jugend, er ist Schriftsteller geworden und ein bisschen wehmütig, aber nur so sehr, dass man ihn umarmen möchte und mitseufzen. Der junge River Phoenix spielt mit, seine Figur ist die interessanteste in diesem körperwarmen Film, und an ihn muss man denken, wenn zum Abspann „Stand By Me“von Ben E. King zu hören ist.
„Green Book“ Philipp Holstein
Die USA in den 1960er-Jahren. Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) ist klassischer Pianist. Und Realist. Er weiß, um als Schwarzer eine Tournee in den Süden zu unternehmen, braucht er zwei Dinge: das Green Book, das die wenigen Unterkünfte auflistet, in denen auch Schwarze willkommen sind. Und einen weißen Begleiter an seiner Seite. Dazu wählt der stets korrekt gekleidete und auch sonst durch und durch seriöse Musiker ein ungewöhnliches Pendant als seinen Fahrer: den ItaloAmerikanerTonyLip(ViggoMortensen). Der hat das Herz am rechten Fleck, hält es aber weder mit Äußerlichkeiten noch mit dem Gesetz besonders genau. Während der langen Reise vom aufgeklärten New York in die Südstaaten erleben die beiden ungleichen Männer Rassismus auf vielerlei Arten. Und zwischen dem ehemaligen Gelegenheitsarbeiter und dem einsamen Künstler entwickelt sich mit der Zeit eine besondere Freundschaft. Ein ungewöhnlicher Film, der auf vielerlei Arten zu
Herzen geht: Er macht fassungslos und nachdenklich, bringt aber auch häufig zum Lachen und hat natürlich ein Happy End.
„No Turning Back“ Regina Hartleb
Mit Lieblingsfilmen ist das immer so eine Sache: Nennt man jenen, kommt einem wenig später gleich ein anderer in den Sinn. Und welcher Film mir gerade vorschwebt, ist eben „No Turning Back“von 2013: diese unglaublichen eineinhalb Stunden, die wir nachts mit Ivan Locke im Auto zubringen. Locke ist Leiter einer Großbaustelle, und am nächsten Morgen kommen in London Dutzende von Betonmischfahrzeugen an. Alles muss klappen. Doch Locke haut ab – aus Verantwortung. Denn in einem OneNight-Stand hat er ein Kind gezeugt, das in dieser Nacht viel zu früh zur Welt kommen wird. Also fährt Locke los, er hat großen Mist gebaut, aber er spürt auch, dass er jetzt Verantwortung tragen muss. Und so telefoniert er im Auto die ganze Nacht: mit seinem trunkenen Stellvertreter, der seinen Job übernehmen muss, mit irgendwelchen Lokalpolitikern, die noch Durchfahrtsgenehmigungen für die Lkw-Kolonne erteilen müssen, mit seinen beiden Söhnen, die gerade ein Fußballspiel schauen, vor allem mit seiner Ehefrau, der er alles beichtet und die zusammenbricht. Alles gerät aus den Fugen, doch Locke – gespielt von Tom Hardy – fährt weiter, telefoniert und versucht zu retten, was zu retten ist. Unfassbar! Unfassbar gut!
Lothar Schröder „Zugvögel – Einmal nach Inari“
Ein Mann nimmt an einem Kursbuchwettbewerb teil. Hierbei müssen die Kandidaten die schnellste Eisenbahnverbindung von Lissabon nach Athen herausfinden. Oder von Brest nach Bari. Joachim Król ist ein Teilnehmer, er spielt in Peter Lilienthals wunderbarem Film einen braven Bierkutscher aus dem Ruhrpott, der zum Finale ins nordfinnische Inari eingeladen ist. Dummerweise gerät er daheim unter Mordverdacht, entzieht sich dem Zugriff der Polizei (Peter Lohmeyer) aber durch eine verwegene Eisenbahnfahrt über Stockholm und Helsinki. Auf dem Weg verliebt er sich, überhaupt ist der Weg das Wichtigste bei allem. Rausschauen aus dem Fenster. Landschaften bestaunen. Am Ende steht der Kommissar zugriffswillig im Wettbewerbslokal, öde finnische Pampa. Król verliert, gewinnt aber die Liebe und den Kampf gegen die Staatsgewalt. Großartig, leise, verschmitzt, grandiose Bilder aus der verwegenen Welt des Nordens.
Wolfram Goertz
„Brazil“
Irgendwo im 20. Jahrhundert: Ein Mann kämpft gegen die irrwitzige Bürokratie eines totalitären Überwachungsstaates, den sich George Orwell ausgedacht haben könnte, wenn er einen Funken Humor gehabt hätte. Gut, dass hier ein anderer am Werk ist: der Großmeister der Groteske, Terry Gilliam. Der Mitbegründer von „Monty Python“hat seinen Film „Brazil“just in dem Jahr produziert, in dem Orwells berühmter Roman spielt: 1984. Aber seine Dystopie macht deutlich mehr Laune, obwohl es um den Traum von Freiheit, um verbotene Liebe und das Aufbegehren gegen totale Kontrolle geht. Atemberaubend die Mischung aus überbordender Technik, die stets an ihrer Uralt-Mechanik scheitert, das Setting, das Anleihen bei Fritz Langs „Metropolis“macht, und eine Aufnahmetechnik, die an den „Film Noir“erinnert. Großartig: Jonathan Pryce als Sam Lowry in der Hauptrolle und in einem Nebenpart Robert De Niro als Archibald „Harry“Tuttle.
Martin Bewerunge