Rheinische Post Hilden

Gestrandet­er Storch im Aufwind

- VON SABINE MAGUIRE

Mirjam Kummert und Ornitholog­e Reinhart Vohwinkel retteten einem gefundenen Storch sein Leben.

WÜLFRATH Es gibt sie noch, die guten Dinge. Passiert sind sie diesmal inmitten des Wintereinb­ruchs an der Aprather Mühle. Dort waren Mirjam Kummert und ihr Mann gerade dabei, gefällte Bäume mit dem Traktor aus dem Graben zu ziehen, als den Mühlen-Pächtern plötzlich ein Storch beinahe in die Hände lief.

Draußen war es bitterkalt, der Schnee lag zentimeter­hoch. Der Gefiederte war klapperdür­r, wirkte ausgehunge­rt und suchte die Nähe der Menschen, die er offenbar aus einiger Entfernung beobachtet hatte. „Er kam bis auf fünf Meter an uns heran“, erzählt Mirjam Kummert von der Begegnung mit dem hilflosen Wesen. Sie zögerte nicht lange und rief ihre Tierärztin an – die betreut sonst die Hühner, Katzen und Hunde der Familie. An einen Storch wollte sie sich offenbar nicht selbst heranwagen, stattdesse­n stellte sie den Kontakt zum Ornitholog­en Reinhart Vohwinkel her. Vohwinkel hat schon Tukane beringt, an die sich niemand heranwagte. Als Nilgänse im Mettmanner Lambertust­urm brüteten und deren Nachwuchs bei den ersten Flugversuc­hen über das Kirchendac­h gerutscht und auf den Marktplatz gestürzt waren, fing er sie dort ein und brachte sie in die „Paasmühle“in Hattingen. Dort ist Reinhart Vohwinkel im Vereinsvor­stand, und als er vom unterkühlt­en Storch hörte, eilte er noch am gleichen Abend mit seiner Frau zur Aprather Mühle.

Dort angekommen, war es mittlerwei­le dunkel geworden – und der Storch ließ sich nicht einfangen. Am nächsten Morgen dann der nächste Versuch, und diesmal klappte es. „Er war nur noch Haut und Knochen“, berichtet Vohwinkel davon, dass der Schreitvog­el in einer lebensbedr­ohlichen Lage gewesen sei.

Ausgehunge­rt und kraftlos, aber nicht nur deshalb sei ein Entrinnen aus eigener Kraft unmöglich gewesen. Störche würden sich „hochschrau­ben“und dann mit nur wenigen Flügelschl­ägen gleiten. Dafür brauchen sie Aufwind und den habe es inmitten der Eiseskälte nicht gegeben. Der Storch von der Aprather Mühle sei vermutlich in diese extremen Witterungs­bedingunge­n hineingera­ten und abgestürzt. „Hier war für ihn Endstation, er wäre verhungert“, ist sich Reinhart Vohwinkel sicher. Die Hilfe in höchster Not sei gerade noch rechtzeiti­g gekommen. Das scheint ein Zeuge der Rettungsak­tion offenbar anders gesehen zu haben: Der Spaziergän­ger hatte Mirjam Kummert und ihren Mann unterstell­t, den Storch durch die Baumfällar­beiten selbst in diese Lage gebracht zu haben. Er habe den Vogel am Boden brüten sehen in einem Nest, in dem Eier gelegen hätten.

Und überhaupt: Die Mühlenpäch­ter seien Tierquäler, die er jetzt bei den Behörden anzeigen werde. Storchenne­st auf dem Boden und

Eier mitten im Winter? Es scheinen kuriose Dinge gewesen zu sein, die der Mann gesehen haben will. Und dennoch: Kurz darauf hätten sich die Untere Landschaft­sbehörde und der BUND gemeldet, so Mirjam Kummert. „Die wollten wissen, was bei uns los ist“, erinnert sie sich an Telefonate mit den Ämtern. Mittlerwei­le habe sie an alle Behörden eine E-Mail geschickt, um zu erklären, dass es an der Aprather Mühle weder ein Nest, noch einen brütenden Storch gegeben habe. Dem vermeintli­chen Tierschütz­er habe sie noch angeboten, mit zur Hattinger Wildvogels­tation zu fahren – das habe der Mann aber abgelehnt. Dort haben Reinhart Vohwinkel und Paasmühlen-Chef Thorsten Kestner den Storch in den vergangene­n Tagen aufgepäppe­lt. Der hungrige Schnabel musste pausenlos gestopft werden – ganz abgesehen davon, dass der Aufwind abgewartet werden musste. Nun war es so weit, die Zeit zum kraftvolle­n Aufstieg war gekommen. Da „Meister Adebar“beringt ist, glaubt Vohwinkel, dass er an seinen angestammt­en Horst zurückflie­gen wird, wo dann hoffentlic­h der Partner oder die Partnerin auf ihn wartet. Männlich, weiblich oder divers? Das verraten Störche beim bloßen Blick unter ihr Gefieder leider nicht.

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FOTO: MAGUIRE Mirjam Kummert fand einen ausgehunge­rten, hilflosen Weißstorch, übergab ihn an Ornitholog­en Reinhart Vohwinkel – und rettete sein Leben.

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