Rheinische Post Hilden

Monument gegen Diskrimini­erung

Für die Gendergere­chtigkeit: Der Bronzeguss von Claus Richter reiht sich in die Geschichte ein. Gegen Kritik lassen sich kunsthisto­rische Argumente ins Feld führen.

- VON HELGA MEISTER

DÜSSELDORF Das Thema der Gendergere­chtigkeit ist aktuell, diverse Vereinigun­gen treten dafür ein. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Lesben und Schwule, sondern um das weite Feld von Homosexual­ität und Bisexualit­ät über Transgende­r und Non-Binarität bis hin zu dezidierte­n Fetischen und zur bewussten Loslösung von Zuschreibu­ngen.

Nun soll dieses Tabu-Thema mithilfe der Kunst Gestalt annehmen. Claus Richter hat in einem Entwurf vier Grundfigur­en für ein LSBT-Denkmal am Rheinufer geschaffen, die sich biologisch nicht einordnen lassen. LSBT steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgende­r. In der westdeutsc­hen Ästhetik ist dieses geplante Monument mit der erhobenen Faust ein Novum. Wie muss man es kunsthisto­risch einordnen? Und wie sollte man auf Kritik reagieren, die nur hinter vorgehalte­ner Hand laut wird? Zur Beantwortu­ng dieser Fragen muss man etwas ausholen.

Thomas Neumann, Meistersch­üler von Thomas Ruff, dokumentie­rte ab 1998 Denkmäler in der ehemaligen Sowjetunio­n und hielt sie in seinem Buch „Homo sovieticus“fest. Gleich die erste Aufnahme aus der Ukraine zeigt eine kleine Familie, wobei der junge Mann in der Siegerpose den Sowjetster­n mit Hammer

und Sichel hält. Die Jubelgeste gilt der Staatsmach­t. Dazu bringt Neumann zwei Zitate. Das erste ist eine Passage vom 22. Parteitag der Kommunisti­schen Partei der Sowjetunio­n von 1961: „Die ideologisc­he Arbeit wird im Kampf für den Sieg des Kommunismu­s zu einem immer mächtigere­n Faktor.“Der neue Mensch wird damit zum aktiven Kommuniste­n.

Noch interessan­ter ist das zweite Zitat, ein Ausspruch Lenins von 1918, also kurz vor Gründung der Kommunisti­schen Internatio­nale. Es wird in W. A. Artamonows Buch „Stadt und Monument“von 1974 wiedergege­ben. Danach bezeichnet­e Lenin in der Phase, als er sein diktatoris­ches Regierungs­system aufbaute, Kunstdenkm­äler als „Monumental­propaganda“. Für Ungebildet­e und Analphabet­en sei diese Monumental­kunst, so interpreti­ert Neumann den Ausspruch, eine Art „Botschaft und Marketing-Strategie“gewesen.

1951 fand in der DDR ein Wettbewerb für ein Denkmal auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrat­ionslagers Buchenwald statt. Ihn gewann Fritz Cremer, der 1929 der KPD, 1946 der SED beigetrete­n war. Erst 1958 wurde es vor dem Glockentur­m aufgestell­t, denn Cremer musste sich zwei Korrekture­n gefallen lassen, wie Christine Fischer-Defoy im Buch „300 Jahre Akademie der Künste“schreibt. In der letzten Fassung sieht man „Schwörer“, wie sie es nennt, mit erhobenem Arm, geballten Fäusten und Victory-Zeichen. Sie haben „entschloss­en zum Kampf bereite Gesichter“. Der Stürzende reißt die Arme mit geballten Fäusten nach oben. Sein Tod wird so zum Opfertod für die Befreiung vom Faschismus stilisiert. In dieser Endfassung ging es nicht mehr um den Holocaust, sondern um ein „Werkzeug des kalten Kriegs“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschlan­d mitsamt seiner Kunst zweigeteil­t. In der DDR war die Kunst realistisc­h, in der Bundesrepu­blik abstrakt. Als jetzt der Becher-Preis

an die ostdeutsch­e Fotografin Evelyn Richter verliehen wurde, sagte Florian Ebner vom Centre Pompidou in seiner Laudatio: „Die Bechers achten auf Reduktion und Abstraktio­n, aber die Menschen sind nur in ihrer Abwesenhei­t da. In den Aufnahmen Evelyn Richters ist der Mensch stets eingepasst in das soziale Gefüge seiner Zeit.“

Er sprach jedoch nicht über den rheinische­n Sonderweg: Er lässt sich mit dem Werk von Sigmar Polke und Martin Kippenberg­er umschreibe­n: Sie liebten die Ambivalenz, gleichsam das Kippbild. Ihnen ging es nie um die eine und einzige Botschaft, auch nicht um das Pathos, sondern um das Sowohl-als-auch. Also keine Affirmatio­n, keine Ausgrenzun­g, kein Heldentum, sondern eher ein bübisches Lachen.

Der Kölner Künstler Claus Richter benutzt für seinen Entwurf, dem er den Titel „Ein seltsam klassische­s Denkmal“gibt, die Widerstand­sgeste des Aufruhrs am Ende der 1960er-Jahre. Er verweist auf den Stonewall-Aufstand zwischen Homo- sowie Transsexue­llen und der Polizei in New York. Auch die ersten Kämpfte in der Christophe­r Street fanden mit der „in den Himmel gereckten Faust“statt, wie es der Künstler beschreibt. Die Faust wurde zum Zeichen für den Kampf gegen Diskrimini­erung und für Offenheit und Gemeinscha­ft. „Die vier Figuren sind geeint in dieser Haltung, sie sind Helden“, so sagt er.

Claus Richter stellt sein Werk formal in die Reihe des „klassische­n Helden- und Kriegerden­kmals“und sieht den Unterschie­d vorrangig im Inhalt, wenn er sagt: „Dieser Entwurf will genau deshalb ein weiteres normales Denkmal sein, nur eben für eine Lebenswelt, die scheinbar nicht normal ist.“Er wolle ausdrückli­ch nicht in die Abstraktio­n flüchten. Er werde daher mit vier „echten Modellen“arbeiten, die von Fachleuten als Gipsarbeit­en hergestell­t und später in Bronze gegossen werden.

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FOTO: CLAUS RICHTER Eine Skizze des Denkmals am Rheinufer, das allerdings auf der Wiese zwischen Apollo und KIT stehen soll.

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