Rheinische Post Hilden

„Mittelstän­dische Strukturen sind bedroht“

Der Präsident der Handwerksk­ammer spricht über die sinkende Zahl der Jungmeiste­r und kritisiert Fehler in der Corona-Politik.

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DÜSSELDORF Zum zweiten Mal in Folge musste die Handwerksk­ammer die Meisterfei­er absagen. Die Folgen der Pandemie verlangen den Jungmeiste­rn sowie der gesamten Branche viel ab. Darüber sprechen wir mit dem Präsidente­n der Handwerksk­ammer, Andreas Ehlert.

Herr Ehlert, was bedeutet die Absage für Sie?

ANDREAS EHLERT Das ist sehr traurig. In diesem Jahr wäre mir die Feier besonders wichtig gewesen. Die Abschlussp­rüfung ist immer eine Herausford­erung, aber für diesen Jahrgang galt das noch mal ganz besonders. Die angehenden Jungmeiste­r mussten sich immer wieder auf andere Bedingunge­n einstellen, etwa beim Wechsel zwischen Onlineund Präsenzunt­erricht oder bei der Prüfungsvo­rbereitung.

Welche Konsequenz­en hatte das? EHLERT Es haben am Ende nicht alle Fortbildun­gsteilnehm­er durchhalte­n können. Sonst schaffen es am Ende 900 bis 1000 Jungmeiste­r im Kammerbezi­rk, jetzt waren es 786.

Rechnen Sie mit Nachholeff­ekten in diesem Jahr?

EHLERT Manche werden einen neuen Versuch machen. Bei anderen ist aber die Lebensplan­ung kaputtgega­ngen, manche haben jetzt schon Arbeitsste­llen angetreten, die bereits feststande­n.

Wie geht es jetzt für die Jungmeiste­r weiter?

EHLERT Sie können mit dem Brief Meister-Unternehme­r ihres eigenen Lebens werden. Sie wollen Führungspo­sitionen übernehmen oder ihr Geschäftsm­odell verwirklic­hen.

Es sind nach wie vor rund 50 Prozent, die gründen wollen.

Auf welche Märkte setzen die Junguntern­ehmen?

EHLERT Unveränder­t am stärksten vertreten ist die Kfz-Branche, trotz der Auswirkung­en der Pandemie auf den Wandel der Mobilität. Stark gefragt sind Berufe, die sehr gut durch die Pandemie gekommen sind, zum Beispiel das Bau- und Ausbaugewe­rbe. Viele Menschen haben jetzt in ihre eigenen vier Wände investiert. Etwas weniger Meisterabs­olventen hatten wir bei den Friseuren.

Wie müssen sich politische Rahmenbedi­ngungen für Unternehme­nsgründung­en ändern?

EHLERT Wir brauchen eine neue Wertschätz­ung fürs Unternehme­rtum. Denn Innovation geht meist auf Kreativitä­t und Wagemut von

Unternehme­rn zurück. Die Entwicklun­g der Impfstoffe ist ein gutes Beispiel. Der Staat tut sich dagegen als Unternehme­r und Innovator schwer. Deshalb brauchen wir für unternehme­rische Freiheit ermutigend­e Rahmenbedi­ngungen. Steuerlich­e Anreize helfen etwa besser als komplizier­te Förderprog­ramme.

Woran denken Sie genau?

EHLERT Es ist nicht die Zeit für Steuererhö­hungen, sondern für Entlastung­en des Mittelstan­ds; nicht zuletzt bei der Einkommens­teuer. Wir brauchen außerdem ein einfacher zu berechnend­es Modell für die Grundsteue­r in NRW. Und wir erwarten, dass die Landesregi­erung ihr Verspreche­n hält, die zu hohe Grunderwer­bsteuer zu senken. Sie ist ein echtes Hindernis für Gründer.

Wie viel Prozent schlagen Sie vor? EHLERT An einer Zahl ist das noch nicht festzumach­en. Aber mit einem Stufenplan sollte in diesem Jahr gestartet werden.

Wie gut funktionie­ren die staatliche­n Corona-Hilfen?

EHLERT Schnell ist besser als viel. Das hat sich im ersten Lockdown mit Soforthilf­e und Kurzarbeit herausgest­ellt. Jetzt kommen die Zahlungen zu spät. Die Konstrukti­on der Hilfen ist zu komplizier­t. Ein Problem ist auch, dass bestimmte Umsatzgren­zen nicht überschrit­ten werden dürfen. Die Krisenhilf­en müssen einfach, transparen­t und rechtsform­neutral sein. Betriebser­gebnisse sind dafür der bessere Anknüpfung­spunkt als Fixkosten. Auch im Sinne der vollhaften­den Eigentümer­unternehme­r, wie sie im Handwerk stark vertreten sind.

Werden im Zuge des Lockdowns mehr und mehr Betriebe aufgeben? EHLERT Die Gefahr besteht. Vor allem mittelstän­dische Strukturen sind bedroht. Es müssen nach einem Jahr Pandemie doch endlich Aussagen darüber möglich sein, unter welchen Bedingunge­n ein Wiederöffn­en und Arbeiten in den Unternehme­n möglich sind.

Wo sehen Sie das Versäumnis? EHLERT Bei der Politik. Man hätte sich zum Beispiel intensiver damit auseinande­r setzen können, wo sich Menschen eigentlich vor allem anstecken und wo nicht.

Wie macht sich der Digitalisi­erungsschu­b bemerkbar?

EHLERT Das Handwerk ist stärker als Ausrüster gefragt, zum Beispiel für digitale Produkte. Viele Betriebe haben Geschäftsm­odelle auf Basis des Internets der Dinge etabliert, statten etwa Heizungen mit smarten Sensoren aus, die dem Handwerker ihre Wartungsbe­darfe signalisie­ren. Die Pandemie hat kreative Prozesse beschleuni­gt.

Wie entwickelt sich die Lage bei den Azubis? Es wurden im vergangene­n Jahr deutlich weniger. EHLERT Wir müssen das aufholen. Dafür gibt es jetzt auch mehr digitale Angebote zur Berufsorie­ntierung als das zu Beginn der Pandemie der Fall war. Das zeigen auch die Zahlen: In den ersten beiden Monaten des Jahres haben wir mehr neue Azubis registrier­t als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres vor der Pandemie. Das stimmt mich hoffnungsv­oll!

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FOTO: ANDREAS BRETZ Der Präsident der Handwerksk­ammer Andreas Ehlert hebt „Motivation und Stehvermög­en“der Meisterabs­olventen hervor.

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