Der wahre Showdown
Das neue Kölner Missbrauchsgutachten wird Schuldige benennen. Doch das allein reicht nicht aus. Die Ursachen müssen beleuchtet und reformiert werden. Dabei geht es auch um die Machtstruktur in der Kirche.
Endlich ist es so weit. Wenn am Donnerstag das neue Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln präsentiert und Kardinal Rainer Maria Woelki übergeben wird, soll – wie viele hoffen – alles geklärt sein: Die Verantwortlichen werden benannt sein, die Fehler in der Bistumsleitung erkannt, und im Nachgang könnte es zur Genugtuung mancher unter hochrangigen Würdenträgern Rücktritte geben. Aber das ist ein Trugschluss. Die Vorstellung vom Showdown ist verfehlt; sie wird dem Problem und vor allem den Betroffenen sexualisierter Gewalt nicht gerecht.
Dass es dennoch diese Idee vom großen Reinemachen gibt, hat das Erzbistum zum Teil selbst verschuldet. Dabei ist Köln nach der sogenannten MHG-Studie – mit den erschreckend hohen Opfer- und Täterzahlen in den deutschen Diözesen – vorangegangen. Das Erzbistum wollte Klarheit darüber bekommen, welche Strukturen sexuellen Missbrauch begünstigen und begangene Taten zu vertuschen halfen. Verantwortliche sollten benannt werden. Da es sich in solchen Positionen vor allem um Bischöfe und Generalvikare handelt, war das Vorhaben aufsehenerregend. Doch es kam zunächst anders. Die für März 2020 geplante Präsentation des Gutachtens – beauftragt wurde damit die Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl – wurde kurzfristig abgesagt. Erst müsste die Nennung von Verantwortlichen „äußerungsrechtlich“abgesichert werden, hieß es. Ein halbes Jahr später erklärte das Erzbistum dann, wegen „methodischer Mängel“das WSW-Gutachten gar nicht mehr zu veröffentlichen und stattdessen den Strafrechtler Björn Gercke mit einem neuen Gutachten zu beauftragen – jenem, das am Donnerstag veröffentlicht werden soll.
Seither dreht sich das Namenskarussell möglicher Beschuldigter, zu denen Personalverantwortliche gehören wie die damaligen Generalvikare Norbert Feldhoff, Weihbischof Dominikus Schwaderlapp sowie der heutige Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße; aber auch die verstorbenen Erzbischöfe Kardinal Joseph Höffner, Kardinal Joachim Meisner, der das Erzbistum bis 2014 leitete, und der amtierende Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki.
An Stoff für diverse Szenarien mangelt es ebenfalls nicht. Zumal in der Zwischenzeit etliche Missbrauchstaten bekannt wurden, die spät oder nicht verfolgt wurden. Im Mittelpunkt: Der Fall des Düsseldorfer Pfarrers O., der sich in den 70er-Jahren an einem Jungen im Kindergartenalter vergangen haben soll. 2010 meldete sich ein Betroffener beim Erzbistum und erhielt in Anerkennung des Leids 15.000 Euro – das Dreifache des üblichen Regelsatzes. Eine Meldung an den Vatikan unterblieb.
Woelki erfuhr erstmals als Kölner Weihbischof 2011 von den Missbrauchsvorwürfen gegen den mit ihm befreundeten Pfarrer, der ihn ein Jahr später zu seiner Kardinalserhebung in Rom begleiten durfte. Wenige Monate nach seinem Amtsantritt als Erzbischof von Köln sichtete Woelki 2015 die Akte von O., meldete aber den Fall nicht nach Rom und verzichtete auf eine kirchenrechtliche Voruntersuchung. Kritiker werfen dem Erzbischof deshalb Fehlverhalten und Vertuschung vor. Woelki begründete sein Vorgehen damit, dass der Priester sich wegen seiner Demenz nicht mehr habe befragen lassen.
Die Meinungen gehen auseinander, ob Woelki diesen Fall hätte melden müssen. Die Glaubenskongregation in Rom soll das inzwischen verneint haben. Eine bedingungslose Meldepflicht, wie sie seit 2020 gilt, habe es damals noch nicht gegeben, hieß es. Das sieht der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke anders.
Eine Reform wäre folgenreicher als jeder Rücktritt