Ausstellung im Museum: Volksabstimmung spaltet eine Region
Das Oberschlesische Landesmuseum hat eine Ausstellung zum 100. Jahrestag der Volksabstimmung in Oberschlesien vorbereitet.
RATINGEN Der 20. März 1921 hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Region Oberschlesien gebrannt. „Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs strebten nach einer neuen Ordnung“, erklärt Andrea Perlt, Direktorin des Oberschlesischen Landesmuseums. Und setzten dabei auf Selbstbestimmung. Die Bürger Oberschlesiens wurden aufgerufen, per Volksabstimmung darüber zu entscheiden, ob sie Polen oder Deutschland angehören wollten.
Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: 60 Prozent stimmten für Deutschland, 40 Prozent für Polen. „Es kam zu hitzigen Auseinandersetzungen und Aufständen, die auch mit Waffengewalt ausgetragen wurden“, schildert Perlt: „Die Abstimmung spaltete die Bevölkerung, eine ganze Region wurde künstlich zerschnitten. Die Teilung kappte Familien und Arbeitswege.“David Skrabania, Kulturreferent für Oberschlesien, ergänzt: „Die neue Ordnung sorgte für Konflikte im Grenzbereich. Es gab Zwietracht,
Demonstrationen, sogar Tote.“
Mit der Ausstellung zum 100. Jahrestag der Volksabstimmung will das Landesmuseum nicht nur die Geschichte aufarbeiten, sondern auch einen Blick nach vorne werfen. „Zu verstehen, was damals passiert ist, hilft auch künftige Konflikte zu vermeiden“, sagt Skrabania mit Blick auf Nordirland, Ex-Jugoslawien oder Katalonien. „Nur wenn die Rechte von Minderheiten gewahrt werden, kann man verhindern, dass die Lage eskaliert“, glaubt er.
Lebensgroße Illustrationen lassen die Geschichte lebendig werden. Neben Fahnen und Abzeichen, ist die Rekonstruktion einer Wahlkabine zu sehen oder Waffen, die von einem Privatsammler als Leihgabe zur Verfügung gestellt wurden. „Ein Bereich befasst sich mit dem Thema Propaganda und veranschaulicht, wie mit Druckmedien jenseits von Radio und Fernsehen sehr scharf formuliert wurde“, sagt Skrabania. Bild-, Ton- und Videodokumente veranschaulichen das Geschehen.
Die Sonderausstellung bereitet Vorbereitungen, Verlauf und Folgen
der Volksabstimmung auf. Begleitend erscheint ein zweisprachiger Ausstellungskatalog mit viel zusätzlichem Material, ein Begleitprogramm mit Führungen und Vorträgen, darunter auch ein Bildungsfilm, der im Museum angefordert werden kann, sowie eine international besetzte wissenschaftliche Tagung am 11./12. Juni. Die Tagung behandelt auch Volksabstimmungen in anderen Regionen Europas. Zu sehen ist die Schau bis 31. Dezember
2021.
Für Stiftungsvorstandschef Sebastian Wladarz manifestiert sich in der Ausstellung auch die gute internationale Zusammenarbeit. „Wir präsentieren erstmals in dieser Zusammenstellung Exponate aus mehreren Museen in Polen, die durch Objekte aus der Sammlung des Oberschlesischen Landesmuseums ergänzt werden. Das ermöglicht einen vielschichtigen Blick auf die Region Oberschlesien. Gleichzeitig
erfüllen wir unseren Bildungsauftrag, indem wir den Gegenwartsbezug aufarbeiten.“Zum ersten Mal ist die komplette Ausstellung zweisprachig angelegt. Die Mühe hat bereits Aufsehen erregt. „Es gab schon eine Anfrage aus Kronstadt in Siebenbürgen, ob die Ausstellung auch dort gezeigt werden darf“, sagt Wladarz.
Nach so langer Zeit ohne Publikumsverkehr kehrt nun endlich wieder Leben in das Museum ein: „Ich freue mich sehr, dass ich meine erste Ausstellung als Direktorin eröffnen darf“, betont Andrea Perlt, die im Januar in Hösel ihren Dienst antrat: „Corona hat uns die Organisation nicht leicht gemacht.“
Zum 100. Jahrestag der Volksabstimmung in Oberschlesien am Samstag, 20. März, wurde die Sonderschau zunächst um 15 Uhr auf Youtube eröffnet. Besucher konnten sich digital einen Eindruck verschaffen. Ab sofort ist sie auch für Besucher zugänglich.