Ein neuer Comic-Held geht in Serie
Disney+ zeigt nach „Wandavision“jetzt „The Falcon and the Winter Soldier“und versorgt die Fanbasis mit typischen Marvel-Elementen.
Vor zwei Jahren hatte Produzent Kevin Feige ganz unbescheiden die „Phase Vier“des „Marvel Cinematic Universe“(MCU) eingeläutet. Neben fünf neuen Kinofilmen sollten ebenso viele TV-Serien aus dem Fundus des Comic-Hauses hervorgehen. Aber die Pandemie hat auch die Langzeitplanungen des Mutterkonzerns Disney empfindlich gestört, der seine Produktionskette oft mehr als fünf Jahre im Voraus festlegt. Zum dritten und möglicherweise nicht zum letzten Mal wurde der Kinostart von „Black Widow“bereits verschoben. Mit Scarlett Johanssons Amazone sollte eigentlich der Startschuss für die vierte Stufe der Marvel-Wertschöpfung fallen.
Derweil versucht man, die Fangemeinde auf der hauseigenen Plattform mit seriellen Spin-offs zu beglücken. So wurde unverhofft im Januar diesen Jahres die Premiere von „Wandavision“auf Disney+ zur Auftaktveranstaltung gehypt, in der sich zwei Superhelden in der heilen Welt einer 50er-Jahre-Sitcom zurechtfinden mussten. Originell und verspielt bot die Serie ein ideales Gegengift zu der dramatischen Schwermut und den dröhnenden Schlachten der „Avengers“-Filme.
Eben diesem eher klassischen Marvel-Erbe fühlt sich nun die neue TV-Auskopplung „The Falcon and the Winter Soldier“von Regisseurin Kari Skogland verpflichtet, deren sechs Episoden im Wochentakt bei Disney+ eingespeist werden. Wie schon in „Wandavision“werden auch hier zwei Randfiguren aus dem Heldenarsenal der „Avengers“im Fernsehformat zu zentralen Protagonisten.
Die Entstehungsgeschichte des „Falcon“geht auf das Jahr 1969 zurück. Der Mann mit den künstlichen Ikarusflügeln war damals der erste afroamerikanische Superheld in einem Mainstream-Comic. Seit 2014 fliegt Anthony Mackie in der Rolle über die Leinwand. Die Figur des Winter Soldier (Sebastian Stan) entstand bereits 1941 im gezeichneten Format und kämpft sich im Kino seit „Captain America: The First Avenger“(2011) als Enfant Terrible durch den Superheldenkosmos. Einst war er der allerbeste Kumpel von Captain
America, wurde dann erst von den Hydra-Nazis, später von den Sowjets einer Gehirnwäsche unterzogen und als gefürchteter Attentäter eingesetzt. Er gehört zu den wenigen Bösewichten, die eines Besseren belehrt werden konnten, und darf seit „Avengers: Infinity War“(2018) wieder auf der Seite der Guten kämpfen.
Zu Beginn der Serie versucht der Wintersoldat ein ganz normales Leben als Zivilist zu führen. Aber die Erinnerungen an die eigenen Untaten holen ihn immer wieder ein. Da kann auch die amtlich bestellte Therapeutin nicht helfen, die aus dem maulfaulen Klienten jedes einzelne Wort über dessen Befindlichkeit herauspressen muss. Auch die Versuche der Wiedergutmachung bei einem alten Mann in der Nachbarschaft,
dessen Sohn er als programmierter Söldner ermordet hat, bringen ihm keinen Seelenfrieden. Beim ersten Date mit einer patenten Kellnerin stürzt er davon, als er an seine Vergangenheit erinnert wird.
Das posttraumatische Stresssymptom hat den pensionierten Kämpfer voll im Griff.
Mit sich im Einklang hingegen scheint Falcon zu sein, der als Geheimagent des US-Verteidigungsministeriums ausfliegt. Ganz im spektakulären Kinomodus ist die Eingangssequenz in Szene gesetzt, in welcher der Falkenmann Flugzeugentführern hinterherjagt und eine Geisel in der Luft befreit. Transportflugzeuge, Hubschrauber und Gleitfallschirme kommen hier während der Verfolgung zum Einsatz, die sich durchaus mit einer James-Bond-Exposition messen kann.
Soviel lässt sich nach der ersten Episode schon feststellen: An Computereffekten und Ausstattung wird in diesem Serien-Flaggschiff nicht gespart. „The Falcon and the Winter Soldier“bewegt sich ganz auf dem ästhetischen Niveau eines klassischen Marvel-Blockbusters und dockt auch erzählerisch an dem letzten „Avengers“-Film „Endgame“an. So beschäftigt sich die erste Folge vornehmlich mit der seelischen Verfasstheit der beiden Titelfiguren und einer Gesellschaft, die immer noch darunter leidet, dass die Hälfte der Weltbevölkerung durch den legendären Fingerschnips des Oberbösewichtes Thanos ausgelöscht wurde und nach fünf Jahren nur unvollständig aus dem Zeitreisegefängnis befreit werden konnte.
Und selbstverständlich bahnt sich das Böse schon in der ersten Episode erneut seinen Weg. Ein Finsterling mit übernatürlichen Kräften, scheinbar harmlose Passanten, die per Handysignal zu dessen Helfershelfern werden, und ein flüchtig hineingeworfenes „Hail Hydra“legen die ersten Fährten für eine typische Marvel-Verschwörung.
„The Falcon and the Winter Soldier“scheint darauf ausgelegt zu sein, die Fanbasis mit bewährten Zutaten und Rezepturen anzufüttern. Ob dann im Serienformat auch eine andere Erzähldynamik, intensivere Figurenzeichnungen und Raum für Innovationen entstehen, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen, in denen Disney+ häppchenweise die weiteren Episoden freischaltet.
Dann wird wohl auch Daniel Brühl als Hauptantagonist Zemo sein Gesicht zeigen.