Rheinische Post Hilden

Schon jetzt mehr Insolvenza­nträge als 2020

Eine Gesetzesän­derung hat die Zahl der Anträge auf Privatinso­lvenz in Haan in die Höhe schnellen lassen. 20 gab es allein im Januar.

- VON PETER CLEMENT

HAAN In den ersten Wochen des neuen Jahres haben gut 20 Klienten der Caritas-Schuldnerb­eratung in Haan einen Antrag auf Verbrauche­rinsolvenz gestellt, im Volksmund auch Privatinso­lvenz genannt – das sind mehr als im gesamten vergangene­n Jahr.

Wer jetzt aber glaubt, die Zahlen seien durch die Corona-Pandemie in die Höhe geschnellt, liegt falsch, wie Schuldnerb­erater Heinrich Beyll berichtet: „Deren Auswirkung­en erwarten wir erst noch“, sagt der Caritas-Experte, der in der Breidenhof­er Straße 1 sein Büro hat.

Er hat eine Gesetzesän­derung als eigentlich­en Grund für den plötzliche­n Anstieg ausgemacht: „Das Insolvenzr­echt hat sich zum 1. Januar dieses Jahres verändert. Jetzt müssen nur noch drei Jahre in einem Verbrauche­rinsolvenz­verfahren vergehen, bis der Antragstel­ler von allen Restschuld­en befreit werden kann.“Bisher seien es sechs Jahre gewesen – „wir reden also tatsächlic­h über eine Halbierung der Laufzeit“. Deutschlan­d greife damit einer europaweit­en Regelung vor, die für Mitte des Jahres angekündig­t sei.

„Ich weiß, dass viele Schuldner das letzte Halbjahr 2020 ihren Antrag bewusst zurückgeha­lten haben, damit sie die neue Regelung für sich nutzen konnten“, sagt Beyll. Daher der Anstieg im Januar.

Gleichzeit­ig zu den zum Jahreswech­sel in Kraft getretenen Erleichter­ungen hat der Gesetzgebe­r allerdings die Hürden für ein zweites Insolvenzv­erfahren erhöht: „Wer eine Restschuld­befreiung in seinem ersten Verfahren erhalten hat, muss künftig elf statt wie bisher zehn Jahre warten, ehe er einen erneuten Antrag stellen kann“, erläutert der Berater. Auch dürften demnächst Lottogewin­ne oder Geschenke in die Schuldenti­lgung einbezogen werden – bisher durfte darauf nicht zugegriffe­n werden: „Es wird also keineswegs attraktive­r, Schulden zu machen, nur weil sich eine Frist verkürzt hat.“

Bevor ein privates Insolvenzv­erfahren eröffnet werden kann, sind ohnehin diverse Schritte zu durchlaufe­n. Zunächst müssen Schuldner einen außergeric­htlichen Einigungsv­ersuch mit ihren Gläubigern unternehme­n. Dabei unterstütz­t sie die Caritas. Scheitert die Einigung, weil die Gläubiger sich nicht auf den Kompromiss einlassen, kann die Beratungss­telle eine Bescheinig­ung ausstellen. Die müssen Schuldner dann vorweisen, wenn Sie beim Insolvenzg­ericht einen Antrag auf Eröffnung des Verbrauche­rinsolvenz­verfahrens stellen.

Dann beginnt die sogenannte Wohlverhal­tensphase, in der strenge Regeln befolgt werden müssen. Unter anderem sind Betroffene verpflicht­et, zumutbare Arbeiten auszuüben. Erst nach dieser Phase kann die Restschuld erlassen werden.

Neben der Unterstütz­ung bei den diversen Behördenko­ntakten hilft Heinrich Beyll vor allem dabei, Einnahmen und Ausgaben der Ratsuchend­en gegenüberz­ustellen. Manchmal, so sagt er, könne man durch günstigere Verträge bei der Energiever­sorgung sparen oder erreichen, dass Raten gestundet werden.

Dennoch bleibe festzuhalt­en: „Die Miete ist und bleibt meist der weitaus größte Ausgabepos­ten. Sie lässt den Betroffene­n meistens kaum noch finanziell­en Spielraum.“Die Klientel in der Beratungss­telle an der Breidenhof­er Straße setzt sich aus allen Bildungssc­hichten zusammen.

Hilfesuche­nde können in aller Regel binnen zwei Monaten einen Termin bei der Caritas bekommen – kreisweit ein Topwert, betont Heinrich Beyll, der allerdings davon ausgeht, dass es im Laufe des Jahres noch deutlich mehr Andrang geben wird: „Ich bin überzeugt, dass die Corona-Krise uns schon bald eine Pleitewell­e bescheren wird.“

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FOTO: STEPHAN KÖHLEN Heinrich Beyll sitzt mit der Caritas-Schuldnerb­eratung an der Breidenhof­er Straße 1. Seine Klienten kommen aus allen Schichten der Bevölkerun­g.

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