Rheinische Post Hilden

Brennpunkt Pflege

Beim Pflegepers­onal droht Deutschlan­d der große Abgang. Viele wollen den Beruf laut einer Umfrage aufgeben. In Nordrhein-Westfalen zeichnet sich das nach einem Jahr Pandemie noch nicht ab.

- VON JULIA RATHCKE

Es hat keinen Neuigkeits­wert, dass Krankenpfl­ege ein Knochenjob ist. Harte, körperlich­e Arbeit, immer mehr Bürokratie, Schichtdie­nste, Wochenenda­rbeit, kaum Aufstiegsc­hancen und vor allem unverhältn­ismäßige Bezahlung waren auch schon vor der Corona-Pandemie gute Argumente gegen diesen Beruf. Die mangelnde Anerkennun­g für die Arbeit in einer der wichtigste­n Branchen des Sozialstaa­tes hatte sich zumindest kurzzeitig geändert – in eine regelrecht­e Euphorie des vom Balkon applaudier­enden Volkes, das den Alltagshel­den dankte.

Von der zweiten und dritten Infektions­welle weit entfernt, wurden schon damals die Forderunge­n laut, die Berufsgrup­pe statt mit Beifall lieber mit besseren Arbeitsbed­ingungen zu belohnen. Doch abseits einer einmaligen Corona-Prämie von höchstens 1500 Euro pro Person hat sich seither nicht viel getan. Da ist das Ergebnis einer Umfrage des Deutschen Berufsverb­ands für Pflegeberu­fe (DBfK) wenig überrasche­nd, das in diesen Tagen das Thema hochhält: Ein Drittel aller Befragten denkt demnach regelmäßig über einen Ausstieg aus dem Pflegeberu­f nach. Unter den 3500 Teilnehmer­n waren vor allem Krankenhau­smitarbeit­er (63 Prozent), insgesamt gab jeder Dritte an, auf einer Covid- oder Intensivst­ation zu arbeiten.

Es sind die Brennpunkt­e der Republik, die es seit mehr als einem Jahr dringend gilt, gering zu halten. Die Auslastung der Intensivst­ationen in deutschen Kliniken ist früh zum Indikator für die Corona-Lage geworden – auch aus Ehrfurcht gegenüber der damals so dramatisch­en Situation im italienisc­hen Bergamo. Das Gesundheit­ssystem hierzuland­e mag im internatio­nalen Vergleich glänzen, ein Blick in den Alltag des Personals zeigt: Die Menschen arbeiten oft körperlich und psychisch an der Belastungs­grenze. Während in der ersten Welle laut DBfK-Umfrage fehlende Schutzausr­üstung große Sorgen bereitete, ist es in der zweiten und dritten Welle immer noch die Angst vor einer Ansteckung während der Arbeit und der permanente Personalma­ngel, den jeder zweite Befragte in noch stärkerem Ausmaß befürchtet, wenn die Pandemie vorbei ist. Unter dem Punkt Personal am häufigsten genannte: genereller Mangel, unzureiche­nde Qualifikat­ion, vermehrter Ausfall durch Infektione­n und hohes Durchschni­ttsalter der Kollegen. Tatsächlic­h werden innerhalb der nächsten zwölf Jahre 500.000 Pflegefach­kräfte das Rentenalte­r erreichen und ganz planmäßig ausscheide­n. Ob und wie viele Menschen in der Pflege zusätzlich ihre Überlegung­en in die Tat umsetzen und den Beruf aufgeben, ist unklar. Zwar zählt die Bundesagen­tur für Arbeit zwischen Anfang April und Ende Juli 2020 – nach der ersten Welle also – 9000 Berufsauss­teiger bundesweit, als Antwort auf eine Anfrage der Linken-Bundestags­fraktion. Pflegeverb­ände können darin aber keinen Zusammenha­ng mit der Pandemie erkennen. „Solange hierzu keine detaillier­te Veröffentl­ichung vorliegt, sind diese Zahlen schwer zu bewerten und einzuordne­n“, heißt es vom DBfK-Nordwest auf Anfrage. Die Datenlage in dem Bereich sei dürftig, wie oft im Bereich Pflege. Das zeige sich auch am Beispiel der Ausbildung­szahlen, die laut Bundesregi­erung zwar steigen, „allerdings ist die Abbrecherq­uote mit geschätzt mindestens 30 Prozent ebenfalls sehr hoch“, sagt eine DBfK-Sprecherin. Dass es zu Aussteiger­n, Abbrechern oder zur Zahl der Pflegekräf­te in Deutschlan­d keine validen Daten gibt, kritisiert auch Christine Vogler, Vizepräsid­entin vom Deutschen Pflegerat. Im europäisch­en Ausland sei eine staatliche Pflegeberi­chterstatt­ung

„Was wir hören und wahrnehmen, ist wachsende Unzufriede­nheit“

Eine DBfK-Sprecherin

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