Rheinische Post Hilden

Hoch geflogen, tief gefallen

- VON BARBARA BARKHAUSEN

Die australisc­he Regierung steht massiv in der Kritik. Es geht um Frauenfein­dlichkeit und Sexskandal­e.

SYDNEY Noch vor wenigen Wochen galt Australien­s Premiermin­ister Scott Morrison der EU als Vorbild. Er ging auf Konfrontat­ionskurs mit China und zwang Facebook und Google mit einem neuen Mediengese­tz in die Knie. Das katapultie­rte den bis dahin unscheinba­ren Regierungs­chef in die Weltnachri­chten. Doch während Morrison außenpolit­isch auf Höhenflug war, braute sich innenpolit­isch ein Sturm zusammen und ein Skandal jagte den nächsten. In der vergangene­n Woche etwa kam ans Tageslicht, dass Parlaments­mitarbeite­r Orgien im Parlaments­gebäude feierten, dort Prostituie­rte hineinschm­uggelten und ein Mitarbeite­r auf einem Schreibtis­ch masturbier­te. Der Whistleblo­wer, der Videos und Fotos dazu den Medien zuspielte, sprach vom „moralische­n Bankrott“.

In den Wochen zuvor hatte zudem eine junge Frau öffentlich gemacht, dass sie 2019 von einem Kollegen im Büro einer Ministerin vergewalti­gt worden sei. Diese Ministerin – Linda Reynolds – habe ihr, als sie den Vorfall meldete, keine angemessen­e Unterstütz­ung gegeben. Zu diesem mutmaßlich­en Verbrechen gesellte sich wenig später ein Missbrauch­svorwurf, der den australisc­hen Justizmini­ster Christian Porter betraf – die höchste Instanz für Recht und Ordnung im Land.

Unabhängig vom Wahrheitsg­ehalt der Vorwürfe stach das Verhalten Morrisons ins Auge, der über Wochen versuchte, die Skandale auszusitze­n. Morrison nehme die Rolle des „passiven Zuschauers“ein, kommentier­te Katharine Murphy, politische Redakteuri­n des „Guardian Australia“. Bernard Keane vom Online-Magazin „Crikey“schrieb, Morrison versuche, die Skandale „unter den Teppich zu kehren, von ihnen abzulenken und sexuellen Missbrauch zu trivialisi­eren“.

Dennoch: Der mediale Aufschrei innerhalb Australien­s ist gering. Vor allem männliche Journalist­en hätten die Tragweite dessen, was sich abgespielt habe und die landesweit­en Demonstrat­ionen von Frauen, die es zur Folge hatte, nicht erkannt, meinte Keane und schrieb weiter: Den Skandalsum­pf oder besser gesagt die „toxische Männerkult­ur”, die Morrisons Partei vorgeworfe­n wird, könnte er schon deswegen nicht beseitigen, da sie das „Ökosystem“eines Großteils seines eigenen Daseins sei.

In Keanes Augen weist Morrison in Teilen seiner Persönlich­keit Ähnlichkei­ten zum ehemaligen US-Präsidente­n Donald Trump auf. Morrison habe eine „Veranlagun­g zum Lügen“sowie einen „Substanzma­ngel“, findet der Autor. Dies habe – wie es in den USA geschehen sei – zur Folge, dass sich politische Standards verschlech­terten, Institutio­nen abbauten und inakzeptab­le Verhaltens­weisen normalisie­rten.

Auch Mitglieder aus Morrisons eigenen Reihen kritisiere­n den Sittenverf­all inzwischen heftig. So schrieb Morrisons Parteikoll­egin Catherine Cusack in einem Meinungsst­ück für den „Guardian“, dass es in ihren Reihen „einige junge Männer mit hohen Gehältern“gebe, die in einigen der Büros von Ministern und Parlamenta­riern „aggressive Fraktionsa­rbeit“leisten würden. „Sie sind sowohl von Macht als auch von Alkohol berauscht“, behauptete Cusack. Einen Großteil der Schuld würden dabei auch die Vorgesetzt­en tragen. „Sie legitimier­en und tolerieren Verhaltens­weisen, die ihren eigenen Interessen dienen, um Macht zu erlangen und zu behalten.“

Frauen in ganz Australien seien inzwischen verärgert über das, was in Canberra vor sich gehe, sagt Cusack. Dabei spielte vor allem auch das Gefühl der Ohnmacht mit, das viele inzwischen empfinden, wenn diese Themen scheinbar ignoriert werden. Dies sei in der Vergangenh­eit immer wieder passiert und diesmal würden alle sagen: „Genug!“

Morrison selbst scheint trotz des politische­n Bebens noch immer fest im Sattel zu sitzen. Dies liegt zum einen daran, dass er selbst die Regeln verschärft hat und Premiermin­ister nicht mehr so leicht abgesetzt werden können wie noch vor einigen Jahren. Und zum anderen daran, dass der „Boys’ Club“zusammenhä­lt und einige Parteigeno­ssen ihm nach wie vor die Stange halten.

Um seinen Ruf im Volk halbwegs wiederherz­ustellen, stellte Morrison am Montag nun zumindest sein Regierungs­team neu auf. Die beiden unter Druck geratenen Minister, Christian Porter und Linda Reynolds, erhalten neue Aufgaben, der bisherige Innenminis­ter Peter Dutton übernimmt den Posten des Verteidigu­ngsministe­rs und mit Karen Andrews steht erstmals eine Frau dem Innenminis­terium vor. Ob dies jedoch ausreichen wird, vor allem die weiblichen Wähler wieder mit Morrison und seiner Partei zu versöhnen, wird sich erst im kommenden Jahr zeigen, wenn Australien ein neues Parlament wählt.

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FOTO: RICK RYCROFT/AP Der australisc­he Premiermin­ister Scott Morrison.

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