Joe Biden strebt einen Paradigmenwechsel an
WASHINGTON Den Kandidatenwettstreit der Demokraten bestritt Joe Biden noch mit einer Agenda, die die Rückkehr zur alten Ordnung versprach, weniger den Aufbruch zu neuen Ufern. Er wollte weitermachen, wo Barack Obama aufgehört hatte; ein Mann, der trotz rhetorischer Höhenflüge mit pragmatischer Vorsicht regierte und nie die politische Mitte verließ. Präsident Biden hat mit dem Kandidaten Biden inhaltlich wenig gemein. Statt an Kompromissen mit Konservativen zu basteln, geht er in die Vollen.
Was er anstrebe, sagt er, sei ein Paradigmenwechsel. Weg von der seit Anfang der 80er-Jahren geltenden Überzeugung, dass der Staat grundsätzlich schlechter wirtschafte als private Unternehmen und daher so klein wie möglich gehalten werden müsse. In der Praxis führt das zu einer Staatsoffensive in geradezu atemberaubendem Tempo. Nachdem der Kongress erst vor einem Monat ein 1,9 Billionen Dollar schweres Corona-Krisenpaket mit dem Titel „American Rescue Plan“verabschiedet hatte, präsentiert Biden nun den „American Jobs Plan“, ein Programm zur Modernisierung der vielerorts maroden Infrastruktur. Passiert es das Parlament, wo mit heftigem Widerstand der Republikaner zu rechnen ist, gibt der Fiskus dafür 2,25 Billionen Dollar, verteilt über acht Jahre.
650 Milliarden sollen in klassische Infrastrukturprojekte fließen, in die Reparatur von rund 10.000 betagten Brücken, in die Erneuerung von Autobahnen und Fernstraßen, in modernere Häfen, Flughäfen und Stromnetze sowie ein ausgebautes Breitbandnetz, um den Zugang zum Internet in bisher vernachlässigten Regionen zu verbessern. Mit 45 Milliarden soll sichergestellt werden, dass alte Bleirohre ausgetauscht werden, damit niemand mehr bleihaltiges Wasser trinken muss. Die
Konsequenz aus einem Skandal: In Flint, einer krisengebeutelten Autostadt in Michigan, war eineinhalb Jahre lang bleiverseuchtes Wasser in die Haushalte geflossen.
Der Rest des Projekts geht weiter über das hinaus, was die amerikanische Politik traditionell unter einem Infrastrukturpaket versteht. Zum einen will man Klimaschutzprojekte fördern, mehr als 300 Milliarden Dollar allein dafür aufwenden, Gebäude energieeffizienter zu machen, Tausende Schulen eingeschlossen. Zum anderen soll die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege deutlich verbessert werden. Mit 180 Milliarden Dollar will Biden die Forschung in Branchen wie Künstlicher Intelligenz und Biotechnologie fördern, mit 300 Milliarden sonstige Hightech-Unternehmen, etwa Hersteller von Computerchips, subventionieren. Seine Berater machen kein Hehl daraus, dass dies vor allem mit Blick auf China geschieht, auf das Duell mit dem aufstrebenden Konkurrenten, dem in Washington außenpolitisch fast alles untergeordnet ist, der aber nun nachziehen will.
Der PR-Stab der Regierungszentrale wirbt für den Kraftakt mit Zeilen, die an die Zeit Donald Trumps erinnern. Amerika, heißt es, investiere demnächst in einem Stil, wie es zuletzt in den 50ern und Anfang der 60er der Fall war. Beim Bau der Autobahnen unter Dwight Eisenhower und beim Rennen um die erste Mondlandung unter John F. Kennedy. Brian Deese, ranghöchster Wirtschaftsberater im Weißen Haus, vergleicht es mit dem „New Deal“, mit dem Franklin D. Roosevelt sein Land in den 30ern aus der Großen Depression holte. Der Staat, betont er, müsse im Alltagsleben der Menschen wieder eine „mächtige Kraft des Guten“werden.
Finanziert werden soll das Paket durch Steuererhöhungen – für Unternehmen als auch für „die reichsten Amerikaner“, so das Weiße Haus.
„Der Staat muss im Alltagsleben der Menschen wieder eine mächtige Kraft des Guten werden“
Brian Deese Wirtschaftsberater im Weißen Haus