Demütigung in Ankara
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen wird in Erdogans Präsidentenpalast an den Rand verbannt. Auch sonst konnte sich die Europäische Union mit ihren Interessen nicht beim türkischen Staatsoberhaupt durchsetzen.
ANKARA
Erdogan soll also vor allem keine neuen Probleme für die EU schaffen. Die angedrohten europäischen Sanktionen wegen des Gasstreits im Mittelmeer bleiben vorerst in der Schublade – dies könnte sich im Fall neuer Konfrontationen durch die Türkei aber wieder ändern, sagte Michel. Diese sanfte Warnung war das Maximum an Kritik beim ersten persönlichen Gespräch der EU-Führung mit Erdogan seit einem Jahr. Von der Leyen sagte zwar mit Blick auf die Unterdrückung Andersdenkender in der Türkei, Menschenrechte seien nicht verhandelbar. Auch sende der Ausstieg aus der Frauenrechtskonvention das falsche Signal. Doch dabei beließen es die Gäste. Michel und von der Leyen verzichteten in Ankara auf Treffen mit Oppositionsvertretern oder Repräsentanten der Zivilgesellschaft.
Für Erdogan war der Besuch ein Erfolg. Selbstbewusst forderte der türkische Präsident nach Angaben seines Sprechers Ibrahim Kalin beim Treffen von der EU „konkrete Schritte“, um die Beziehungen zu verbessern. Den Einwand wegen der Frauenrechtskonvention parierte Erdogan mit dem Satz, seine Regierung
werde den Schutz für Frauen mit neuen Gesetzen stärken. Ähnlich gelassen reagierte die türkische Seite, als sie von den EU-Politikern darauf angesprochen wurde, dass Ankara die Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs routinemäßig ignoriert. Die Türkei hält prominente Regierungsgegner seit Jahren im Gefängnis, obwohl die Europarichter ihre Freilassung fordern. Laut Kalin sagte Erdogan, er erwarte Respekt für laufende Gerichtsverfahren in der Türkei.
Das Urteil von Beobachtern und türkischen Erdogan-Gegnern über den Besuch fiel vernichtend aus. Die EU verstehe offenbar nicht, dass sie Erdogan mit der „Illusion eines positiven Momentums“in den europäisch-türkischen Beziehungen einen großen Gefallen tue, kommentierte der amerikanische Türkei-Experte Nicholas Danforth auf Twitter. Der ehemalige türkische Parlamentsabgeordnete Suat Kiniklioglu schrieb, trotz aller Schönfärberei durch von der Leyen und Michel sei der Besuch ein „riesiger Fehlschlag“gewesen. Lagodinsky sagte, die Reaktionen auf den Besuch sollten von der Leyen nachdenklich machen.