Mitgefühl lässt sich trainieren
Eine Volkswirtschaftlerin plädiert dafür, Kinder aus sozialbenachteiligten Familien zu unterstützten.
DÜSSELDORF Forschung funktioniert heute oft grenzenlos: über internationale Netzwerke. So kooperieren die Düsseldorfer Volkswirtschaftlerin Hannah Schildberg-Hörisch, Professorin am Institut für Wettbewerbsökonomie der Uni, und ihr Team mit Kollegen aus Sydney und betreiben Feldforschung im fernen Bangladesch. Denn die Entwicklung von Menschen ist, trotz unterschiedlicher Lebensumstände, durchaus vergleichbar. Konkret will die Wissenschaftlerin erfahren, wie sich bei Kindern nicht-kognitive Fähigkeiten entfalten, also Geduld und Motivation, aber auch Selbstkontrolle und Mitgefühl.
„Solche Eigenschaften werden auf dem Arbeitsmarkt immer wichtiger“, sagt Hannah Schildberg-Hörisch. Trotz dieser „enormen Bedeutung“aber sei das Thema weitgehend unerforscht. Man wisse einfach zu wenig darüber, was diese spezielle Entwicklung bei Kindern beeinflusst und wie sie sich auf Bildungsabschlüsse, berufliche Erfolge und letztlich auch auf die Gesundheit auswirken.
Aber wieso ausgerechnet Bangladesch? Auch in der Wissenschaft spielen Zufälle eine Rolle. So stammt der australische Kollege der Düsseldorfer Ökonomin aus dem südasiatischen Staat und vermittelte die Kontakte. „Außerdem wäre eine so breit angelegte Forschung in Deutschland etwa zehnmal so teuer.“Das würde dann doch das Budget – die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt mit 850.000 Euro für die nächsten drei Jahre – der Wissenschaftlerin sprengen. So aber kann sie 3000 Familien in Bangladesch von speziell geschulten Interviewer-Teams befragen und für ihren Zeitaufwand finanziell entschädigen lassen.
Die Familien nehmen dazu auch an Experimenten teil wie beispielsweise an dem „Diktator-Spiel“. Dabei bekommt jeder Teilnehmer umgerechnet etwa zehn Euro und kann entscheiden, wie viel er von dieser Summe einem anderen Menschen abgibt. „Dabei handelt es sich um ein anerkanntes Messinstrument, um festzustellen, wie egoistisch oder mitfühlend sich jemand verhält“, erläutert die Ökonomin. Und wie sich diese Eigenschaften entwickeln. Kleine Kinder würden eher dazu neigen, das Geld für sich zu behalten, dieses Verhalten ändere sich aber meist mit zunehmendem Alter.
Auch aktuelle Entwicklungen – wie zurzeit durch die Corona-Pandemie – sollen bei der Studie berücksichtigt werden. Die Wissenschaftlerin will erfahren, wie gravierend sich unvorhersehbare Ereignisse auf Menschen auswirken. Also: Beflügeln Krisenzeiten den Einzelnen dazu, sich vorsichtiger zu verhalten und gleichzeitig verständnisvoller und uneigennütziger mit anderen umzugehen?
Wenn die ersten Daten aus Bangladesch vorliegen, beginnt die Auswertung. Ein Fazit ihrer Arbeit aber lässt sich bereits jetzt ziehen: Eigenschaften wie Mitgefühl und Selbstkontrolle lassen sich offenbar trainieren. Hannah Schildberg-Hörisch hat dazu ein Projekt des Lions-Club über drei Jahre wissenschaftlich begleitet, das an mehr als 130 Schulen in Bangladesch angesiedelt ist und das die Entwicklung dieser nicht-kognitiven Fähigkeiten von Kindern unterstützen soll. „Einige Lücken in der Entwicklung lassen sich tatsächlich verringern oder sogar schließen, wenn Kinder in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden“, sagt die Wissenschaftlerin.
Mit diesem Ziel ist auch das Projekt „Balu und Du“vor einigen Jahren gestartet. Dabei werden Kinder aus sozialbenachteiligten Familien länger als ein Jahr von einem ehrenamtlichen Mentor begleitet – zum gemeinsamen Sport, Zoobesuchen, Lesen, zu allem, was ihnen Spaß macht. Nach einem Jahr zeigte sich, dass dieses Tandem bewirkt, dass die Jungen und Mädchen mitfühlender wurden, sich und anderen mehr vertrauten. „Sie konnten einen Mangel aus ihrem Elternhaus ausgleichen und in dieser Hinsicht zu Altersgenossen mit betuchten Eltern aufschließen“, sagt Schildberg-Hörisch.
Generell gilt: Bildung und Einkommen beeinflussen die Erziehung. „Eltern mit mehr Geld und höherem Bildungsstand sind im Durchschnitt konsequenter und ihren Kindern zugewandter. Sie verbringen zwar insgesamt oft weniger, dafür aber intensiver Zeit mit ihrem Nachwuchs“, so die Erkenntnis der Wissenschaftlerin. Damit würden diese Eltern die Entwicklung der kleinen Persönlichkeit stärken und ihren Lebensweg erleichtern – bis zu den späteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Für die Ökonomin ein ganzes Bündel an Gründen, um Kinder zu unterstützen, damit ungleiche Startbedingungen durch Glück oder Pech der Geburt ausgeglichen würden. Noch hängt dieser Start ins Leben immer noch stark vom sozialen und wirtschaftlichen Status der Familien ab, so Schildberg-Hörisch. „Dabei ist Chancengleichheit eine zentrale Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb der Talente. Und für ein zufriedenes, gesünderes Leben.“