Trügerischer Familienfrieden
Jordanien gilt als Stabilitätsanker im unruhigen Nahen Osten. Doch eine politische Fehde zwischen König Abdullah II. und Ex-Kronprinz Hamsa stört dieses Bild. Der Streit ist offiziell beigelegt – die Probleme im Land aber bleiben.
DÜSSELDORF Alles wieder in Ordnung, sagt der König. Abdullah II. von Jordanien hat nach eigenen Angaben eine Palastrevolte seines Halbbruders und Ex-Kronprinzen Hamsa beendet; am Sonntag wurden die beiden wieder zusammen in der Öffentlichkeit gesehen. Die USA und arabische Staaten bekunden ihre Unterstützung für den König, einen der wichtigsten Verbündeten des Westens im Nahen Osten. Doch beim Machtkampf zwischen ihm und dem ehemaligen Kronprinzen geht es um mehr als persönliche Konkurrenz – hinter den Spannungen stehen Probleme, die für Jordanien viel schwerer zu lösen sein werden als die mutmaßlichen Ränkespiele eines enttäuschten Prinzen.
Die angeblichen Putschpläne erschüttern Jordanien 100 Jahre nach Gründung des Emirats Transjordanien im Jahr 1921. Der 59-jährige Abdullah und der 41-jährige Hamsa sind Söhne verschiedener Frauen des früheren Königs Hussein, der in Jordanien immer noch verehrt wird. Nach Husseins Tod 1999 und Abdullahs Machtantritt war Hamsa als Kronprinz vorgesehen, doch im Jahr 2004 setzte Abdullah seinen Halbbruder ab und machte seinen heute 26-jährigen Sohn Hussein zum Thronfolger.
Trotz seiner Degradierung ist Hamsa bei den zehn Millionen Einwohnern Jordaniens beliebt. Er gibt sich volksnah, reist durchs Land und achtet auf gute Verbindungen zu mächtigen Clanchefs, die in den jordanischen Sicherheitskräften eine große Rolle spielen. Er soll sogar die Dialekte der wichtigsten Stämme gelernt haben, um ihnen Respekt zu zollen.
Seit Jahren prangert Hamsa zudem Korruption, Armut und andere Probleme in Jordanien an. Das Land hat mehr als zwei Millionen palästinensische Einwohner, versorgt mehr als eine halbe Million Flüchtlinge aus Syrien und ist auf Finanzhilfen seiner Partner angewiesen. Die US-Regierung unterstützt das Land mit 1,5 Milliarden Dollar im Jahr; die Golfstaaten halfen vor drei Jahren mit 2,5 Milliarden. Damals gab es in Jordanien Massenproteste gegen eine Steuererhöhung. Die Öl-Monarchien am Golf fürchteten,
die Unruhen könnten auf die eigenen Länder überspringen.
Ob Hamsa tatsächlich Unterstützer für einen Putsch suchte, ist unklar. Dass er den König in jüngster Zeit ärgerte, ist dagegen offensichtlich. Hamsas Verhalten in der Corona-Pandemie habe das Fass zum Überlaufen gebracht, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters mehrere Regierungsvertreter. Hamsa besuchte die Hinterbliebenen von Corona-Patienten, die in einem Krankenhaus gestorben waren, weil
der Klinik der Sauerstoff ausgegangen war. Damit kam Hamsa einem Besuch von Kronprinz Hussein zuvor – ein klarer Affront.
Für den König, der Hamsa durch den Geheimdienst überwachen ließ, war das Maß voll. Er schickte am vorigen Samstag seinen Armeechef zum Prinzen und ließ ihm mitteilen, er stehe unter Hausarrest. Mehr als ein Dutzend mutmaßliche Komplizen wurden festgenommen, darunter führende Mitglieder des Majali-Clans, einer einflussreichen Großfamilie aus dem Süden Jordaniens. Hamsa wies den Vorwurf zurück, einen Umsturz geplant zu haben, und betonte seine Loyalität dem König gegenüber. Abdullah erklärte darauf, die Gefahr sei gebannt. Jordanien sei sicher und stabil. US-Präsident Joe Biden sagte, er mache sich keine Sorgen um Jordanien.
So einfach ist die Sache jedoch nicht. Die Probleme des Landes bleiben auch nach dem Ende des mutmaßlichen Aufstandes bestehen: Die Arbeitslosigkeit liegt bei 25 Prozent. Zudem warfen die Behörden dem Ex-Kronprinzen vor, mit ausländischer Hilfe gehandelt zu haben. Dies ist ein Hinweis auf die Schwierigkeiten des Königshauses mit einigen Nachbarstaaten. Jordanien steht den Friedensverträgen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten ( VAE) und Bahrain kritisch gegenüber, auch weil dadurch die traditionelle Position
des Landes als Vermittler zwischen Israel und den Arabern untergraben wird.
Dass Prinz Hamsa, der als jordanischer Nationalist bekannt ist, mit ausländischen Staaten gegen den eigenen König intrigiert hat, ist nach Ansicht der Nahost-Expertin Bessma Momami aber unwahrscheinlich. Viele Jordanier betrachteten die Putschvorwürfe eher als Versuch, den Ruf des Ex-Kronprinzen zu zerstören, schrieb Momami in der „Washington Post“.
Es sieht nicht danach aus, als sei dieser Versuch geglückt. In einer Videobotschaft an die britische BBC verteidigte sich Prinz Hamsa mit dem Argument, ihm gehe es um das Land. Für die Herrschenden sei die eigene Bereicherung wichtiger als das Wohl der Bürger. Nach diesen turbulenten Tagen für das jordanische Königshaus ist Prinz Hamsa womöglich noch beliebter als vorher.