Putin setzt Erdogan mit Flug-Boykott unter Druck
ISTANBUL Mit Wasserfontänen begrüßte der Flughafen Dalaman an der türkischen Ägäis vor ein paar Tagen das erste russische Urlauberflugzeug der Saison. Die Freude währte nicht lange: Am Montag stoppte Russland die meisten Flüge in die Türkei bis Anfang Juni. Offiziell wurde das mit der hohen Zahl von Corona-Infektionen begründet. Tatsächlich ist es wohl eine politische Machtdemonstration. Moskau gefällt nicht, dass sich Ankara im Ukraine-Konflikt auf die Seite Kiews – und des Westens – stellt.
Der Tourismus ist einer der wichtigsten Devisenbringer für die krisengeplagte türkische Wirtschaft. Russische Urlauber stellen die größte Gruppe der Türkei-Besucher: 2019 verbrachten sieben Millionen Russen ihre Ferien an türkischen Stränden. Ein russischer Boykott kann der Türkei deshalb sehr schaden: Das erlebte die türkische Fremdenverkehrsbranche 2015, als Kremlchef Wladimir Putin nach dem Abschuss eines russischen Militärjets durch die türkische Luftwaffe an der syrischen Grenze die Ferienreisen stoppte. Danach entwickelte Erdogan eine enge Partnerschaft mit Putin. Nun bekommt Erdogan wieder zu spüren, dass Putin
am längeren Hebel sitzt. Die russische Regierung demonstriere mit dem Reisestopp, wie leicht sie der Türkei wehtun könne, sagt Kerim Has, Experte für türkisch-russische Beziehungen. Putin signalisiere Erdogan, dass er sich in der Ukraine zurückhalten solle.
Erdogan hatte am Wochenende den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski empfangen, der sich wegen des russischen Truppenaufmarsches an der Grenze seines Landes um internationalen Rückhalt bemüht. Erdogan unterstützte die Forderung der Ukraine nach Aufnahme in die Nato und bekräftigte seine Kritik an der Annexion der Krim durch Russland. Er vereinbarte mit Selenski zudem einen Ausbau der verteidigungspolitischen Zusammenarbeit.
Ankara ergreift im Ukraine-Konflikt aus Eigeninteresse gegen Moskau Partei: Die Türkei will eine Machtausbreitung Russlands am Schwarzen Meer verhindern und ist sich darin einig mit ihren Nato-Partnern: In den kommenden Tagen sollen zwei Zerstörer der US-Marine ins Schwarze Meer fahren, um die Ukraine zu unterstützen. Am Dienstag hat US-Präsident Joe Biden Putin zudem telefonisch ein Gipfeltreffen in den kommenden Monaten vorgeschlagen. mit dpa