Altstadt-Kneipen kämpfen ums Überleben
Nach dem Aus von Bolker 9 ist ein Nachfolger gefunden. Eine weitere Traditionskneipe hat ihr Aus gerade noch abgewendet.
ALTSTADT Das Aus der Traditionskneipe Bolker 9 in der Altstadt nach fast 50 Jahren hat viele Besucher des Amüsierviertels schockiert. Jetzt steht fest, wie es mit der Immobilie weitergeht: Das benachbarte Lokal El Lazo wird expandieren und die Räume übernehmen. Betriebsleiter Johannes „Juan“Blumenberg gewinnt 55 Plätze innen und 16 auf der Außenterrasse hinzu und kommt so bald auf mehr als 200 Plätze. Hinter dem El Lazo steht der erfolgreiche Gastronom Dino Cesljas, der weitere bekannte Betriebe führt (Sub, Louisiana, Ballermann, Schweine Janes, Hausbar). Das Ende des Bolker 9 steht somit auch für einen Konzentrationsprozess, der durch die Corona-Krise befördert wird.
Der Mietvertrag der Bolker 9 ist ausgelaufen. Dem Vernehmen nach sollen die Konditionen seit einigen Jahren nicht mehr marktkonform gewesen sein. Dino Cesljas hat mit dem bisherigen Wirt Carsten Rettler nach seinen Worten eine faire Lösung gefunden, „wir waren gute Nachbarn und können uns weiterhin in die Augen sehen“. Bestätigt wird es nicht, aber üblich sind in solchen Fällen „Schlüsselgelder“, die der neue dem alten Mieter zahlt. Frank Hermsen, Geschäftsführer der Altstadtgemeinschaft, begrüßt die Lösung. Die Vermieterin habe eine sinnvolle Nachnutzung gewollt, die zur Straße passe, und sich bei dem Verein gemeldet. „Sie wollte keine Krawallgastronomie und das war auch in unserem Interesse“, so Hermsen.
Üblich ist dieses Vorgehen nicht unbedingt. Hermsen schließt überraschende Insolvenzen durch die Corona-Krise nicht aus, aktuelle Fälle sind ihm in der Altstadt jedoch nicht bekannt. Isa Fiedler, Sprecherin der Altstadt-Wirte und im 23. Jahr Chefin des Knoten, lobt Vermieter, die Mieten stunden und nicht auf das Drehtürprinzip setzen, bei dem sich die Pächter in rascher Folge die Klinke in die Hand geben. „Irgendwann will niemand mehr eine solche Immobilie nutzen.“
Wie es mit der Altstadt weitergeht, hängt in den Augen von Cesljas vom Kundenverhalten ab. Er könne sich eine neue hybride Normalität nicht vorstellen. Zur Altstadt gehörten Nähe und Miteinander. Komme dies nicht zurück, würde wohl jeder zweimal überlegen, ob er noch investiere.
Auch die Zukunft einer weiteren Kneipen-Institution stand zuletzt auf der Kippe. Der Mietvertrag für „Dä Spiegel“, seit 52 Jahren in der Altstadt, lief Ende März aus.
Wirt Peter Klinkhammer konnte sich aber nach langen Verhandlungen schließlich mit seinem Vermieter einigen – auf eine geringere Miete. „Ich konnte den Eigentümer vom Wert eines langjährigen Mieters überzeugen“, sagt Klinkhammer. Er hätte laut Vertrag die Option gehabt, auf fünf Jahre zu alten Konditionen weiter zu machen. Das sei für ihn aber nicht infrage gekommen, da nicht absehbar sei, wie sich die Umsätze entwickeln werden. „Die
Kneipen werden wohl zuletzt wieder normal öffnen dürfen.“Zudem wisse man nicht, wie viel internationales Publikum etwa zu den Messen noch kommen werde. Nun habe man sich auf eine Laufzeit von zwei Jahren und ein „Gesamtpaket geeinigt“. Teil davon seien gestundete Mieten, nötige Investitionen des Vermieters in den Brandschutz sowie der neue Mietzins.
Um sich selbst sei Klinkhammer (64), seit fast 40 Jahren als Gastronom in der Altstadt, nicht besorgt. „Ich kann das gut überstehen. Anders ist das für jemanden, der vor wenigen Jahren angefangen hat.“
Das sieht Primo Lopez (66) ähnlich, der nicht nur seine Restaurants in der Schneider-Wibbel-Gasse betreibt, sondern selbst Vermieter ist. In seinen Häusern befinden sich etwa die Villa Wahnsinn und Anton`s Bierkönig an der Bolkerstraße. Lopez sagt, dass die Mieten zurzeit ausfielen und sie gestundet seien. „Ich habe dafür Verständnis, da die Hilfezahlungen noch nicht vollständig da sind. Ich warte selbst noch auf die volle Dezemberhilfe.“
Für sein Haus mit der insolventen Kette Maredo sucht Lopez einen Nachmieter, was sich zurzeit nicht leicht gestalte. „Es laufen Verhandlungen.“Wahrscheinlich sei, dass es beim Nachfolger wieder auf Systemgastronomie hinauslaufe. Auch insgesamt zeige sich ein Trend zu mehr Food-Ketten in der Altstadt.
Das sieht auch Gastro-Experte Markus Eirund so, der zudem immer mehr Eisdielen registriert. Und wie Lopez stellt er einen höheren Wechsel in den Ladenlokalen fest. „Viele bleiben nur noch zwei bis drei Jahre,“sagt Eirund. Die Pandemie verschärfe den Trend. Vor allem Berger Straße und Flinger Straße habe er da im Blick. Für Lopez fehle da bei den Betreibern oft „das Herz für die Altstadt“. Er hofft, dass Stephan Keller (CDU) als neuer Oberbürgermeister die Entwicklung des Viertels vorantreiben werde. Sicherheit und Sauberkeit müssten verbessert werden.
Eirund erwartet zudem, dass es weitere Schließungen geben wird. Es türmten sich Schuldenberge für viele Wirte auf, da ihnen die Fixkosten nicht komplett und die privaten Lebenshaltungskosten kaum ersetzt würden. Er beobachte, dass oft schon das Interieur wie zum Beispiel Kaffeemaschinen oder private Anschaffungen wie Autos verkauft würden. „Es gibt da ein riesiges Liquiditätsproblem.“Und das könnte noch andauern. „Auch in der Veranstaltungsbranche geht man eigentlich davon aus, dass man ohne Coronaschutzregeln erst wieder im nächsten Frühjahr öffnen kann.“
Er hat wie Lopez die Sorge, dass die Altstadt an Attraktivität verlieren könnte. Eine Kettenreaktion würde dann drohen. „Die Stadt ist gefragt.“