Die Kohle der Zukunft
Wasserstoff gilt als Wunderwaffe im Kampf gegen den Klimawandel. Aus NRW soll so das Industrieland von morgen werden.
Afrikas lässt sich in Form von Wasserstoff verschiffen. Daneben kann er per Pipeline transportiert werden. Europa ist durchzogen von Erdgas-Röhren, die umgerüstet werden könnten.
Wasserstoff ist ein wahres Wundermittel. Busse und Autos, die damit fahren, tanken statt Diesel das grün erzeugte Gas. Wuppertal setzt bereits Wasserstoffbusse ein. Siemens entwickelt Wasserstoffzüge, die Dieselloks ersetzen sollen – und womöglich mal in Krefeld gebaut werden. Airbus hat angekündigt, bis 2035 ein Passagierflugzeug mit Wasserstoffantrieb herzustellen.
Wasserstoff kann aber auch Rohstoff sein. Das ist die große Hoffnung der Stahlindustrie, die 30 Prozent der industriellen CO2-Emissionen verursacht. Die Idee: Im Hochofen wird dem Eisenerz Wasserstoff statt der klimaschädlichen Kokskohle als Reduktionsmittel zugesetzt. Und während beim Einsatz von Kokskohle als Nebenprodukt Kohlendioxid entsteht, ist es beim Einsatz von Wasserstoff nur Wasserdampf.
Für NRW ist Wasserstoff eine große Chance. Das Gas ist die Zukunft für die Stahlindustrie. Zugleich gibt es viele Unternehmen, die selbst in der Erzeugung und Verteilung groß werden können. „Konsequent eingesetzt, können wir mit Wasserstoff in Zukunft ein Viertel unserer heutigen CO2-Emissionen einsparen“, rechnet Pinkwart vor. „Auch wirtschaftlich erwarten wir einen Schub: Bis zu 130.000 zusätzliche Arbeitsplätze können in NRW entstehen.“
Bis 2025 sollen erste Projekte umgesetzt sein: Bei Thyssenkrupp soll die erste große Anlage zur Erzeugung von Stahl auf Basis von Wasserstoff entstehen. In Wesseling könnte eine Anlage zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe für Autos
Die Wasserstoffindustrie in der Metropole Ruhr ist weiter entwickelt als andernorts
errichtet werden. Landesweit sind 20 Wasserstoff-Tankstellen für Lkw und 60 für Pkw geplant. Im öffentlichen Nahverkehr sollen 500 Wasserstoff-Busse unterwegs sein. Das Gaseunternehmen Air Liquide, dessen Deutschland-Zentrale in Düsseldorf
liegt, betreibt das größte Wasserstoffnetz in Deutschland, das 240 Kilometer lang ist. In Marl befindet sich Europas größtes Abfüll-Center für Wasserstoff. In Mülheim produziert Europipe Röhren, wie sie für das Pipeline-System nötig werden. RWE baut Elektrolyseanlagen, die Ökostrom in grünen Wasserstoff umwandeln. Der Chemiekonzern Evonik liefert Hightech-Membrane, die für die Elektrolyseure nötig sind.
Die Technik ist faszinierend, hat aber ihren Preis. In die deutschen Hüttenwerke müssten bis 2050 für die Umstellung 30 Milliarden Euro investiert werden. Gerade verhandeln Bund und Stahlkonzerne über Subventionen. Aber auch der Rohstoff kostet noch zu viel: Grüner Stahl ist 20 Prozent teurer als herkömmlich erzeugter. Ohne Subventionen wäre er auf dem Weltmarkt chancenlos. Für die Wirtschaftlichkeit von Wasserstoff sind die Kosten des Ökostroms entscheidend. In Deutschland ist er viel zu teuer.
Zudem muss Deutschland ein Transportnetz aufbauen. Die Niederländer zeigen, wie man es macht. In kurzer Zeit haben sie eine Pipeline errichtet, die Wasserstoff vom Rotterdamer Hafen an die deutsche Grenze bringt. Eine 14-jährige Hängepartie wie bei der Kohlenmonoxid-Pipeline von Bayer/Covestro darf sich das Land nicht noch mal leisten. Zugleich muss man sehen, wie man der Stahlindustrie bei der Umrüstung helfen kann, ohne sie aus der Eigenverantwortung zu entlassen.
Das Institut der deutschen Wirtschaft kommt zu einem gemischten Bild: „Der Metropolenvergleich verdeutlicht, dass die Wasserstoffindustrie in der Metropole Ruhr heute weiter entwickelt ist als andernorts.“Die Forscher mahnen aber auch: „Nur wenn alte und neue industrielle Prozesse zusammengeführt und neu gedacht werden, kann die Industriebeschäftigung am Standort aufrechterhalten werden.“
Viele Hausaufgaben, eine starke Vision: NRW bleibt Industrieland – und doch wird der Himmel über Rhein und Ruhr frei von CO2. Jules Vernes jedenfalls war überzeugt: „Die Elemente des Wassers werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“