Noch vor dem Start geplatzt
Nach dem krachenden Scheitern der Super League versuchen sich die Klub-Bosse in Demut. Europas Spitzenfußball hat sich selbst entlarvt. Doch die Probleme sind damit nicht aus der Welt. Auch der deutsche Fußball ist betroffen.
LONDON/MÜNCHEN (dpa) Die Stimme der Straße war zu laut und zu mächtig. Die Club-Milliardäre von Liverpool über London bis Manchester, Barcelona, Mailand, Turin und Madrid treten nach dem dramatischen Scheitern ihrer Super League in nicht gekannter Fan-Demut den Gang nach Fußball-Canossa an. Zum Sinnbild der im Eiltempo gestoppten Investorenträume von einer geschlossenen Eliteliga wurde neben dem zermürbten Juve-Boss Andrea Agnelli vor allem Liverpools amerikanischer Eigentümer John W. Henry.
Vor einem gelben Mini-Blumenstrauß verkündete der Geschäftsmann per zweieinhalbminütigen Twitter-Video sein mea culpa und entschuldigte sich mit einem Hauch von Hollywood-Drama bei den demonstrierenden Fans, den ungewohnt meinungsfreudigen Profis und auch bei Trainer Jürgen Klopp. „Wir haben euch gehört, ich habe euch gehört“, sagte Henry kleinlaut und hoffte auf die Chance zur Fortsetzung seines Investments im Herzen des europäischen Fußballs.
Die Bilder von Fan-Demos verdeutlichten die Wut der Anhänger über Entfremdung von ihren Vereinen im Milliardengeschäft – verschärft durch die Entbehrungen in der Corona-Pandemie. Die Vereine reagierten zunächst recht unbeholfen. Erst im Nachhinein habe man bemerkt, worauf man sich da eingelassen habe, so die entlarvende Selbsteinschätzung vom FC Chelsea.
Letztlich fiel auch Agnelli als Anführer des „Dreckigen Dutzend“sinnbildlich um. „Um ehrlich und aufrichtig zu sein, nein, das ist offensichtlich nicht der Fall“, sagte der Juve-Boss als Super-League-Initiator auf die Frage, ob man das Projekt jetzt noch fortsetzen könne. Die Hoffnung auf 3,5 Milliarden Dollar Anschubfinanzierung sind perdu.
Die Uefa-Reaktion
Uefa-Präsident Aleksander Ceferin hatte da aus der Position der größtmöglichen Stärke schon Milde für die reuigen Abweichler erkennen lassen. „Ich habe gestern gesagt, dass es bewundernswert ist, einen Fehler zuzugeben, und diese Vereine haben einen großen Fehler gemacht“, sagte der Slowene. „Aber sie sind jetzt wieder in der Reihe und ich weiß, dass sie nicht nur unseren Wettbewerben, sondern dem gesamten europäischen Spiel viel zu bieten haben“, betonte der 53-Jährige.
Aber auch Ceferein steht vor einem Scherbenhaufen. Mit einer dauerhaften Spaltung zwischen den neuen ideellen Premiumpartnern FC Bayern München und Paris Saint-Germain als „Good Guys“auf der Uefa-Seite gegen die abtrünnigen Zwölf wird der europäische Fußball seine Probleme nicht lösen können.
Ist die Super League für immer vom Tisch?
Agnellis Resignation klang nach einer totalen Kapitulation. Fan-Vertreter sehen sich gestärkt. Das Netzwerk „Football Supporters
Europe (FSE)“will generelle Konsequenzen. „Wir fordern eine stärkere Regulierung. Wir fordern sofortige Maßnahmen, um unsere Clubs und Gemeinschaften zu schützen“, heißt es in einem Statement am Mittwoch. „Der wahre Kampf beginnt jetzt.“
Schulden, teilweise in Milliardenhöhe, drücken viele der Klubs, die sich losgesagt hatten. Auch das war Grund für die Suche nach neuen Geldquellen im globalen Geschäft, gestand Real-Chef Perez und zeichnete eine düstere Prognose. Die Big Player werden nach einer moralischen Erholungspause also weiter nach Einnahmemöglichkeiten suchen müssen.
Die Zukunft der Champions League
Zunächst können alle Clubs trotz Super-League-Stigma in den vertrauten Kreis der Königsklasse zurückkehren. Der Treppenwitz der Aufregertage: Im Windschatten der
Super-League-Pläne wurde die Reform der Champions League ab 2024 durchgewunken, die mit zusätzlichen 100 Spielen, mehr Absicherung für Top-Clubs, einem Ligensystem statt einer Gruppenphase und noch mehr Geld als die bisherigen zwei Milliarden Euro erst auf Druck der großen Vereine initiiert wurde.
München und der deutsche Fußball
Bayern-Boss Rummenigge zog als Nachfolger des geschassten Agnelli am Dienstag ins Uefa-Exekutivkomitee ein – auch das eine ungeahnte Konsequenz des Super-League-Bebens. Möglicherweise hilft das Thema nun München auch beim Kampf um seinen Status als EM-Gastgeber. Am Freitag will die Uefa mit Rummenigge im Entscheidergremium final darüber befinden. Ausgerechnet seinen treuen deutschen Mitkämpfern gegen die Super League jetzt EM-Spiele wegzunehmen, kann auch Ceferin nicht gefallen.
Image bedeutet alles im Fußball. Image verkauft sich. Image zieht Sponsoren an. Auch der Europäische Dachverband Uefa hatte bis Sonntag ein klares Image bei vielen Menschen, die dem Fußball anhängen. Allerdings ein wenig schmeichelhaftes. Korruption, Kommerz, Kapitalismus – wer es mit dem traditionellen Fußball hielt, der fand in der Uefa das verachtenswerte Gegenteil. Doch dann kamen zwölf Topvereine mit der Idee einer Super League. Und was für die Uefa als Desaster begann, wurde zur perfekten Imagekampagne.
Der Feind meines Feindes ist mein Freund – dieses arabische Sprichwort macht sich die Uefa seitdem zunutze. Denn weil die Super-League-Klubs die Perversion des Fußball-Geschäfts in den Augen vieler in noch abartigere Dimensionen treiben wollten, erscheint die Uefa vielen nun als kleineres Übel. Da kann sie am Montag eine Reform der Champions League angestoßen haben, die ebenfalls nur zum Ziel hat, die Reichen noch reicher zu machen. Und mit der sie die abtrünnigen Zwölf gerne vom abtrünnig werden abgehalten hätte.
Wo sich die Uefa sonst für die Reform der Königsklasse wütenden Protesten ausgesetzt gesehen hätte, stellt sie sich nun als eine Art Robin Hood dar, der in seinen Wettbewerben das Geld der Reichen mit den nicht so Reichen teilt. Ja, es gibt zurecht Kritik an der Uefa für die Champions-League-Reform, aber die steht im Schatten des Abarbeitens mit der Super League.
Dazu passt: Bayern-Boss KarlHeinz Rummenige und Nasser El-Khelaifi, Präsident und Investor von Paris St. Germain, für viele zwei prominente Gesichter eines entfremdeten Fußballs und erste Nutznießer der Reform, werden mit ihrer klaren Absage an die Super League plötzlich zu Gesichtern des Wiederstandes. Einfach bizarr.
Die abtrünnigen Zwölf kehren nun also unters Dach der Uefa zurück. Einer Uefa, die stark wirkt wie nie. Weil sie gelernt hat, wie man Robin Hood spielt. Spielt, nicht ist.