Ein Blick hinter den Spiegel
Menschen leben, die kein Schamgefühl haben. Man fragt sich: Sind die echt so? Haben die irgendwo in ihren Häusern eine Wand, hinter der sie ausatmen und Gedichte lesen? Und sind sie nach all den OPs, mit Weichzeichner-Filter und Extrem-Make-up nicht genau so maskiert wie die Musiker der Band Kiss? Würde man von manchem Familienmitglied ein fünf Jahre altes und ein aktuelles Foto vorgelegt bekommen, man würde fragen: Die eine ist Kylie, aber wer ist die andere?
Die traurigsten Momente sind denn auch die in den späten Folgen,
wenn die Realität in die eigentlich nur zu einer Seite durchlässige Welt der Kardashians bricht. Als sich Khloe auf die Geburt ihres Kindes vorbereitet etwa und die anderen auf ihren Handys die Klatschnachricht lesen, dass der Vater des Kindes Khloe betrogen hat. Bei Khloes erster Verlobung war es noch so, dass ihr Stiefvater sauer war, weil er davon aus dem Fernsehen erfahren musste.
In der neuesten Folge sieht man Kim dabei zu, wie sie für ihre Prüfungen lernt, sie studiert jetzt Jura. Aus solchen gewöhnlichen Sachen wie Lernen macht die Serie jedes Mal eine Sensation. Die Aufregung über einen verlorenen Ohrring, ein neues Auto oder eine weggelaserte Narbe wird schon mal über zwei Folgen gestreckt. Kalifornische Waldbrände, Verlobungen und Geburtsvorgänge auch über mehr. „Oh, my God“, sagen sie dann, das ist der Refrain der Sendung, „Oh, my God.“Sie plappern und plappern, und ihre Worte schmelzen in der Sonne.
Die Serie zu gucken, ist bescheuert. Und total toll. Es ist beruhigend zu sehen, dass es Menschen gibt, deren größtes Problem darin besteht, einen Van aufzutreiben, in dem man die paar Meter vom Hotel zur Met-Gala stehend gefahren werden kann, weil man mit dem engen Kleid nicht in der Lage wäre, sich zu setzen.
Außerdem kommt man ins Philosophieren. In der Episode etwa, in der Kim ein Fotoshooting für den „Playboy“hat, Mutter Kris sie dabei mit dem Handy fotografiert und „You are doing amazing, Sweetie!“ruft. Ist das ein Sinnbild für die Postmoderne? Faszinierend auch, wie die Männer im Laufe der Jahre aus der Erzählung gedrängt wurden. Die Kardashians sind eine rein weibliche Gesellschaft, ein Matriarchat. Männer hatten ihre Chancen, stellten sich aber als unzulänglich heraus. Selbst als Helden verehrte Stars wie Kanye West schrumpfen in ihrer Gesellschaft ins Unsichtbare. Entweder Männer werden nur mehr als Samenspender für die Befruchtung im Labor geduldet (Khloes Ex-Partner Tristan) oder als melancholisch-onkelhaftes Wesen wie ein Möbelstück behandelt (Kourtneys Ex Scott).
In Wahrheit geht es wie bei jeder Kunst, die stutzen lässt, um das neu angeschaute Bekannte. „Keeping Up With The Kardashians“erzählt Geschichten aus der Historie der Gegenwart. Da die Serie ja nun endet, könnte eigentlich die Zukunft beginnen.