Auf Schicht
die Sauerstoffsättigung im Blut“, sagt er. „Normalerweise liegt sie bei 98 bis 100 Prozent.“Bei der Patientin liegt der Wert zwischen 50 und 75. „Früher haben wir Patienten mit einem solchen Wert schon beatmet“, erklärt Lukas. Ich sehe, dass der Frau schon kleine Bewegungen schwerfallen. Aber nach dem Waschen fühlt sie sich besser. Sie lächelt. „Ich lebe“, kommentiert sie ihre Situation. Dann schüttelt der Husten sie. Die Coronaviren hängen unsichtbar in der Luft, aber eigentlich fühle ich mich unter Visier und Maske sicher. Das Husten verstärkt aber meine Angst vor der Krankheit selbst und davor, dass sie mich auch so schwer treffen könnte. Obwohl ich jung bin und keine schwerwiegenden Vorerkrankungen habe.
Dass das nichts heißen muss, zeigt der nächste Patient. „Er ist 44 Jahre alt und hat einen sehr schweren Verlauf“, sagt Laura. Seit fünf Tagen wird er künstlich beatmet. Er liegt regungslos auf dem Bauch, die Augen geschlossen. Die Ärzte haben den Mann ins künstliche Koma versetzt, weil er große Angst hatte. Ähnlich wie bei der Patientin nebenan war seine Sauerstoffsättigung gering. Die Atemnot versetzte ihn in Panik, er riss Schläuche und Kabel
vom Körper, die ihm eigentlich helfen sollten. Die künstliche Beatmung soll seinem Körper nun die Ruhe geben, das Virus zu bekämpfen. Ich helfe Laura und Lukas dabei, den Patienten zu drehen. „Wir wechseln regelmäßig zwischen Bauchund Rückenlage“, erklärt Laura. „Dadurch wird das Lungenvolumen besser genutzt.“Anschließend waschen wir ihn. Lukas überprüft die stetige Medikamentengabe. Beide Pflegekräfte reden immer wieder mit dem Patienten, obwohl sie nicht wissen, ob er sie hört. „Ich glaube schon, dass das einen Unterschied macht“, sagt Laura. Beim Anblick des reglosen Mannes kann ich mir das nur schwer vorstellen. Aber ich hoffe, es stimmt.
10 Uhr. Zeit fürs Frühstück. Das Pflegepersonal macht nacheinander in kleinen Gruppen Pause. Die anderen behalten die Patienten im Blick. Ich sitze mit Laura zwischen zahlreichen Monitoren. Darauf sind die Vitalwerte aller Patienten zu sehen. Andauernd piept es. Ich drücke die Daumen, dass der Ton nicht in ein Alarmsignal umschlägt. Ihr Beruf ist anstrengend, sagen Lukas und Laura beide. Auch ohne Corona. „Auf der Intensivstation arbeitet man, um Menschen, die in einem kritischen Zustand sind, wieder ein Leben zu ermöglichen“, so Lukas. „Und ich habe es nie bereut.“Obwohl es eine große Belastung sein kann. „Viele Menschen in der Pflege haben ein Helfersyndrom“, sagt
Laura. „Deswegen gehen viele daran kaputt. Aber es erfüllt einen schon, egal wie anstrengend es ist.“Wichtig sei dabei vor allem das Team. In Gerresheim bezeichnen sich die Intensiv-Pflegekräfte als eine Familie. Das Problem sei weniger die Arbeit als die Personallage, der fehlende Nachwuchs, so Lukas. „Junge Leute wollen nicht in die Pflege. Die Eltern raten ihren Kindern zu studieren.“
12.30 Uhr. Die Blutwerte des 44-Jährigen haben sich verschlechtert. Laura sieht das mit Sorge. Sie passt die Beatmung an. Wir schauen nach den anderen Patienten, überprüfen Blutwerte, sehen uns Krankheitsverläufe an, reinigen ein Beatmungsgerät. Ich helfe dabei, Medikamente auf Spritzen aufzuziehen. Immer wieder versucht Laura, die Kranken aufzumuntern. „Es ist selten so ruhig“, sagt Lukas gegen 14 Uhr. „Ein guter Frühdienst“, ergänzt Laura. „Keine Reanimation, keine Notfallaufnahme.“Viel los war trotzdem, finde ich. Doch die Pflegekräfte sind Schlimmeres gewohnt. Zum Schluss erkundige ich mich nach der Prognose für den 44-Jährigen. „Schwer zu sagen. 50 zu 50.“
Nach meiner Schicht schmerzen die Füße, ich bin erschöpft. Die vielen Eindrücke des Tages muss ich erst einmal verarbeiten: Sieben Stunden Intensivstation, rund 100 Milliliter Desinfektionsmittel für die Hände, fünf Covid-Patienten. Keine Notfälle, keine Todesfälle – zum Glück. Das kann morgen schon anders aussehen. Bereits vor meiner Schicht hatte ich großen Respekt vor der Arbeit des Pflegepersonals. Jetzt erst recht.