„Die Union hat keinen Plan“
Der Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat über das Umfragetief seiner Partei und milliardenschwere Zukunftspläne.
Herr Scholz, Sie haben sich beim Parteitag am Wochenende kämpferisch gezeigt, den Bremsklotz der schlechten SPD-Umfragewerte aber nicht erwähnt. Wie wollen Sie bei 14 Prozent noch an Grünen und der Union vorbeiziehen?
SCHOLZ Das Ziel ist klar: Ich will ein starkes Ergebnis für die SPD. Das Rennen bei der Bundestagswahl ist offen. Noch vor sechs Monaten sind viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen von einem sicheren Wahlsieg der Union ausgegangen, das hat sich in Schall und Rauch aufgelöst. Wohl keine Partei wird am 26. September oberhalb der 30-Prozent-Marke liegen. Die SPD hat ein sehr gutes Programm, und im direkten Vergleich mit den anderen beiden Kandidaten schneide ich auch ganz gut ab – da ist viel drin für uns.
Ihnen haben Parteifreunde vorgeworfen, zu leise gewesen zu sein bislang, nicht offensiv Wahlkampf zu betreiben. Gestehen Sie das ein? SCHOLZ Nein. Am Wochenende haben wir den Startschuss für die Aufholjagd gegeben. Die Zeit des Schattenboxens ohne Gegner ist glücklicherweise vorbei. Jetzt beginnt der Wahlkampf.
Wie wollen Sie die Menschen überzeugen, SPD zu wählen?
SCHOLZ Ich habe eine klare Vorstellung davon, wie wir den Wohlstand in unserem Land sichern und gleichzeitig für mehr Respekt und Anerkennung in der Gesellschaft sorgen werden. Es braucht massive Investitionen in Wirtschaft, Infrastruktur, Klimaschutz und Sozialstaat. Meine Kanzlerkandidatur verbinde ich mit dem Versprechen, die nötige Modernisierung der Infrastruktur zu meiner persönlichen Mission zu machen. Und es geht um ein breites gesellschaftliches Bündnis. Die Corona-Krise hat gezeigt, auf wessen Schultern unsere Gesellschaft aufbaut, wer schuftet und dennoch zu wenig profitiert vom Aufschwung.
Sie haben gesagt, eine weitere unionsgeführte Bundesregierung wäre standortgefährdend für Deutschland. Warum kommt Ihnen diese Erkenntnis jetzt?
SCHOLZ Die Erkenntnis habe ich schon länger – wir wissen genau, wie hart wir mit der Union in den vergangenen Jahren ringen mussten, um wenigstens kleine Fortschritte zu erreichen. Und ja, ich bin es leid, für CDU/CSU ständig die Kohlen aus dem Feuer holen zu müssen. Wir sind nach der letzten Wahl in die Regierung gegangen, weil wir vor Verantwortung nicht weglaufen – anders als andere. Und es war richtig. Gerade in der Corona-Krise haben viele bemerkt, wie gut es war, dass die SPD in der Regierung ist und entschlossene
Schritte geht. Doch auf den Kanzler kommt es an – wir wollen die Richtlinien der Politik bestimmen. Warum das wichtig ist? Ein Beispiel: der Ausbau der Windenergie. Wirtschaftsminister Altmaier und die Union blockierten noch vor ein paar Wochen einen schnelleren Ausbau der Windkraft. Das ist zum Verzweifeln. Sollte die Union weiterhin im Kanzleramt sitzen, würde das Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze gefährden.
Das heißt, die amtierende Kanzlerin nutzt ihre Richtlinienkompetenz nicht und regiert zu wenig? SCHOLZ Wir sprechen doch über die nächste Bundesregierung. Es reicht nicht aus, sich von Problem zu Problem zu hangeln, hier und da mal einen Fördertopf in die Landschaft zu stellen und sich dann zu wundern, dass nur wenig Geld abfließt. Es braucht klare Vorstellungen von der Zukunft und einen Plan, wie man dahinkommt.
Sie sprechen den Unionsministern die Kompetenz ab zu regieren? SCHOLZ Man muss nicht nur wollen, sondern auch können. Ich stelle fest, dass die Infrastruktur unseres Landes nicht fit genug ist für die Zukunft – das liegt in der Verantwortung von CDU und CSU. Der Wirtschaftsminister hat den Ausbau der Stromnetze und die Förderung erneuerbarer Energien schlicht verschlafen, der Verkehrsminister hat die Ladeinfrastruktur stiefmütterlich behandelt. Es geht nicht richtig voran beim Breitband und Mobilfunk. Es reicht eben nicht, eine Töpfchen-Politik zu betreiben und mit finanzieller Förderung zu winken. Man braucht schon ein Konzept, und man muss sich kümmern. Die Union hat keinen Plan. Wer eine stabile Wirtschaft und mehr Arbeitsplätze will, sollte SPD wählen.
Sie wollen Deutschland bis 2045 klimaneutral machen, ab 2040 nur noch erneuerbare Energien nutzen. Warum beziehen Sie bei Ihren Plänen nicht das noch zur Verfügung stehende CO2-Budget ein, das noch viel kürzere Fristen nötig macht? SCHOLZ Die Ziele der SPD sind sehr ehrgeizig – und sie sind umsetzbar. Darin liegt der Unterschied. Beispiel: CO2-Preis, den haben wir in diesem Jahr gerade eingeführt. Grüne und Union sehen ihn offenbar als Allheilmittel und glauben, je höher er ist, desto besser fürs Klima. Sie vergessen dabei, dass man genauer hinsehen muss. Viele können eben nicht einfach auf umweltfreundlichere Wege ausweichen. Weil sie eben nicht im Szeneviertel einer Großstadt leben und mit dem Fixie-Fahrrad zum Co-Working-Space radeln können, sondern in strukturschwacher Region ohne guten Nahverkehr aufs
Auto angewiesen sind. Wenn der CO2-Preis weiter steigt, wird beispielsweise das Heizen teurer. Was sollen die Mieterinnen und Mieter machen? Umziehen? Weniger heizen und frieren? Das ist im wahrsten Sinne: soziale Kälte. Deshalb finde ich ungerecht, wenn diese Kosten einfach auf die Mieter umgelegt werden dürfen. Dann verfehlt der CO2Preis jede Lenkungswirkung – weil die Vermieter überhaupt keinen Anreiz haben, eine umweltfreundliche Heizung einzubauen. Darum wollen wir die Umlegung verbieten, die Union sperrt sich aber dagegen – und lässt die Mieter im Stich.
Warum ignorieren Sie das noch zur Verfügung stehende CO2-Budget? So sind Sie doch nicht auf dem 1,5-Grad-Pfad des Pariser Klimaschutzabkommens.
SCHOLZ Noch mal: Der SPD-Klimaschutzplan berücksichtigt alle Zielvorgaben des Klimaschutzabkommens. Es genügt im Übrigen nicht, sich auf die Ziele zu beschränken, man muss auch konkret den Weg dahin beschreiben. Das Klima schützen wollen alle. Wenn es aber darum geht, die dafür nötigen Infrastruktur-Entscheidungen zu treffen, sieht es schnell ganz anders aus. Wir müssen die Erneuerbaren massiv ausbauen, das bedeutet auch neue Stromtrassen – dafür müssen auch Planungen genehmigt werden und Bagger rollen. Mitunter gegen Widerstand vor Ort. Davor drücken sich jene gerne, die sonst vehement für Klimaschutz eintreten. Es hat schon seine Gründe, warum Baden-Württemberg beim Ausbau der Erneuerbaren das Schlusslicht ist.
Die Linken wollen aus der Nato austreten, die FDP lehnt Steuererhöhungen ab, die Grünen wollen selber ins Kanzleramt. Welche realistische Machtoption haben Sie? SCHOLZ Ich setze ganz auf das demokratische Votum der Wählerinnen und Wähler. Als Kanzlerkandidat trete ich an, um ein möglichst starkes Mandat für die SPD zu erringen. Alles Weitere leitet sich dann davon ab.
Ein Wort zu Annalena Baerbock: Wie wollen Sie die Grünen-Kanzlerkandidatin im Wahlkampf attackieren? Anders als einen Mann? SCHOLZ Das ist eine ziemlich chauvinistische Denkweise, wenn ich das anmerken darf. Warum sollte ich mit Frau Baerbock nicht engagiert diskutieren? Übrigens: Auch bei Männern bleibe ich in der Regel höflich.
Sie sagen, wir werden aus der Krise herauswachsen können. Wozu dann noch Steuererhöhungen?
SCHOLZ Die nächsten Jahre werden eine Herausforderung. Die Gesetze
der Mathematik lassen sich schlecht aushebeln. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig ein verlässlicher und solide finanzierter Sozialstaat ist. Zugleich müssen wir das hohe Niveau an Investitionen halten im Haushalt, um unser Land fit zu machen für die Zukunft.
Warum machen Sie dafür nicht einfach noch mehr Schulden? SCHOLZ Das Grundgesetz gilt. Es wäre nicht klug, die Finanzplanung allein auf der Möglichkeit einer Verfassungsänderung aufzubauen, für die es Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat bräuchte.
Wie soll eine neue Regierung von 240 Milliarden Euro Neuverschuldung in diesem Jahr auf nur noch geplante 80 Milliarden im kommenden Jahr herunterkommen? SCHOLZ Vieles deutet darauf hin, dass wir die Corona-Krise im Sommer weitgehend überstanden haben werden, dann wird das Wirtschaftswachstum wieder ordentlich anziehen. Das zeichnet sich jetzt schon ab. Deshalb sind die Planungen für nächstes Jahr realistisch. Für dieses Jahr ist mir wichtig: Die Kurzarbeit und die Überbrückungshilfen für Unternehmen müssen wir bis Jahresende verlängern.
Mehrere Bundesländer preschen vor und öffnen bereits wieder Gastronomie und Hotels. Wie sollte die Bundesregierung das koordinieren? SCHOLZ Bis Ende Mai sollten wir den Bürgerinnen und Bürgern eine klare Ansage machen, ob sie in den Schul-Sommerferien wieder in den Urlaub fahren können, damit sie die Ferien noch planen können. Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, dass dank des wachsenden Impftempos und der sinkenden Infektionszahlen zumindest Ferien im Inland und einigen anderen Ländern wieder möglich werden.