Schulen, die niemanden verloren geben
Beim Deutschen Schulpreis wurden drei Gesamtschulen aus NRW ausgezeichnet. Ein Blick auf zukunftsträchtige Konzepte.
DÜSSELDORF Drei Schulen aus Nordrhein-Westfalen haben für ihre Konzepte in der Pandemie den Deutschen Schulpreis erhalten. Die städtische Gesamtschule Münster-Mitte, die Grundschule am Dichterviertel in Mülheim/Ruhr und die städtische Gesamtschule Körnerplatz in Duisburg-Rheinhausen zählten zu den insgesamt sieben Schulen, die bundesweit ausgezeichnet wurden. Die Pandemie habe „kreative Stärken hervorgebracht“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Preisverleihung. Die Konzepte dieser Schulen seien geeignet, Schule und Unterricht auf lange Sicht zum Besseren zu verändern.
Insgesamt hatten sich 366 Schulen beworben, 18 Schulen waren für das Finale nominiert. Die eingereichten Konzepte beschäftigten sich mit sieben verschiedenen Themen, darunter „Bildungsgerechtigkeit fördern“, „Digitale Lösungen umsetzen“und „Selbstorganisiertes Lernen ermöglichen“. Die sieben prämierten Schulen aus Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen erhielten jeweils 10.000 Euro. Elf weitere Schulen erhielten einen Anerkennungspreis in Höhe von je 5000 Euro. Verliehen wird der Preis von der Robert-Bosch-Stiftung und der Heidehof-Stiftung in Zusammenarbeit mit der ARD und der „Zeit“-Verlagsgruppe.
Die Duisburger Schule wurde für ihr Konzept der „Kollaboration“ ausgezeichnet. Anders als bei klassischer Gruppenarbeit, bei der Einzelergebnisse zusammengetragen werden, steht hier der gemeinsame Lernprozess im Vordergrund. In der Schule wurde dafür ein Teammodell entwickelt. Für jeden einzelnen Jahrgang gibt es multiprofessionelle Teams und feste Teamsitzungen. Rund 70 Prozent der Schüler an dieser Schule haben einen Migrationshintergrund. Die Lehrer lesen mit den Schülern während der Krise gemeinsam, damit diese ihre
Deutschkenntnisse nicht vergessen. Viele hätten dem Distanzunterricht nur per Smartphone folgen können.
Die Mülheimer Schule erhielt den Preis in der Kategorie „Bildungsgerechtigkeit“. Der Brennpunktschule gelang es nach Auffassung der Jury, ihr Konzept und ihren Tagesablauf in den Distanzunterricht zu übertragen. Das Kollegium musste sich in einem Crashkurs digital weiterbilden. Für die Eltern wurde ein mehrsprachiger Messenger eingerichtet. Wenn ein Kind am Morgen nicht im
Online-Unterricht dabei war, suchte ein Lehrer das Elternhaus auf.
Steinmeier sagte bei der virtuellen Preisverleihung, er habe schon vor der Pandemie beklagt, dass der Bildungserfolg in Deutschland immer noch viel zu stark von der Herkunft und den finanziellen Möglichkeiten abhänge. Es sei bitter, dass Leistungsunterschiede in der Corona-Zeit nun noch größer werden könnten. „Das dürfen wir nicht hinnehmen. Es ist ein Appell an die Bildungspolitik, ein Aufruf zum Handeln. Mit dem Aktionsprogramm
der Bundesregierung ist ein erster Schritt gemacht. Weitere müssen folgen.“
Die SPD-Opposition in NRW forderte die CDU-/FDP-Landesregierung am Dienstag auf, das Zwei-Milliarden-Euro-Aufholpaket des Bundes in NRW aufzustocken – 500 Millionen Euro davon entfielen auf NRW. Mehr als 20 Prozent der Schüler hätten Nachhilfebedarf, rund ein Drittel zeige psychische Auffälligkeiten, sagte der schulpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Jochen Ott. Es müsse zusätzliche Fachkräfte in Schulen, Kitas und Jugendhilfe-Einrichtungen geben. Die SPD forderte daher unter anderem den Einsatz kommunaler Bildungslotsen, die Kinder von der Geburt bis zum Schulabschluss individuell im Blick behalten und fördern sollen. Einen entsprechenden Antrag will die SPD in den Landtag einbringen. Für ein ähnliches Konzept sei eine Schule aus Baden-Württemberg beim Deutschen Schulpreis ausgezeichnet worden, sagte die SPD-Abgeordnete Eva-Maria Vogt-Küppers.
Mit der Zukunft der Schule beschäftigte sich am Dienstag auch der Schulausschuss im Landtag. Wissenschaftler stritten um die geplante Zurückdrängung der Sozialwissenschaften im Schulfach Politik zugunsten wirtschaftlicher Inhalte. Nach den Plänen der FDP-Schulministerin soll nun das Lehramtsstudium entsprechend angepasst werden. Studierende demonstrierten am Dienstag vor dem Landtag, weil sie einen Bedeutungsverlust der Sozialwissenschaften an den Universitäten
befürchten. Die Soziologie-Professorin Bettina Zurstrassen sagte: „Wir leben nicht nur in einer marktwirtschaftlichen Welt, sondern auch in einer demokratischen Welt.“Infolge der Regierungspläne würden den Sozialwissenschaften an den Hochschulen wertvolle Ressourcen auch für die Forschung verloren gehen.
Der Philosophie-Professor Holger Burckhart beklagte hingegen, Schüler hätten zu wenige wirtschaftliche Grundkenntnisse, wüssten zu wenig über Verbraucherverhalten. Für Soziologie-Professor Jörg Strübing ist eine Ergänzung der ökonomischen und politischen Bildung durch die Sozialwissenschaften essenziell: Von der Ökonomie verursachte Krisen wie die Finanz- oder Bankenkrise bräuchten Menschen, die solche Krisen lösen könnten – diese Kompetenz brächten Sozialwissenschaftler mit.