Rheinische Post Hilden

Schulen, die niemanden verloren geben

Beim Deutschen Schulpreis wurden drei Gesamtschu­len aus NRW ausgezeich­net. Ein Blick auf zukunftstr­ächtige Konzepte.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND MARC LATSCH

DÜSSELDORF Drei Schulen aus Nordrhein-Westfalen haben für ihre Konzepte in der Pandemie den Deutschen Schulpreis erhalten. Die städtische Gesamtschu­le Münster-Mitte, die Grundschul­e am Dichtervie­rtel in Mülheim/Ruhr und die städtische Gesamtschu­le Körnerplat­z in Duisburg-Rheinhause­n zählten zu den insgesamt sieben Schulen, die bundesweit ausgezeich­net wurden. Die Pandemie habe „kreative Stärken hervorgebr­acht“, sagte Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier bei der Preisverle­ihung. Die Konzepte dieser Schulen seien geeignet, Schule und Unterricht auf lange Sicht zum Besseren zu verändern.

Insgesamt hatten sich 366 Schulen beworben, 18 Schulen waren für das Finale nominiert. Die eingereich­ten Konzepte beschäftig­ten sich mit sieben verschiede­nen Themen, darunter „Bildungsge­rechtigkei­t fördern“, „Digitale Lösungen umsetzen“und „Selbstorga­nisiertes Lernen ermögliche­n“. Die sieben prämierten Schulen aus Hamburg, Hessen, Niedersach­sen und Nordrhein-Westfalen erhielten jeweils 10.000 Euro. Elf weitere Schulen erhielten einen Anerkennun­gspreis in Höhe von je 5000 Euro. Verliehen wird der Preis von der Robert-Bosch-Stiftung und der Heidehof-Stiftung in Zusammenar­beit mit der ARD und der „Zeit“-Verlagsgru­ppe.

Die Duisburger Schule wurde für ihr Konzept der „Kollaborat­ion“ ausgezeich­net. Anders als bei klassische­r Gruppenarb­eit, bei der Einzelerge­bnisse zusammenge­tragen werden, steht hier der gemeinsame Lernprozes­s im Vordergrun­d. In der Schule wurde dafür ein Teammodell entwickelt. Für jeden einzelnen Jahrgang gibt es multiprofe­ssionelle Teams und feste Teamsitzun­gen. Rund 70 Prozent der Schüler an dieser Schule haben einen Migrations­hintergrun­d. Die Lehrer lesen mit den Schülern während der Krise gemeinsam, damit diese ihre

Deutschken­ntnisse nicht vergessen. Viele hätten dem Distanzunt­erricht nur per Smartphone folgen können.

Die Mülheimer Schule erhielt den Preis in der Kategorie „Bildungsge­rechtigkei­t“. Der Brennpunkt­schule gelang es nach Auffassung der Jury, ihr Konzept und ihren Tagesablau­f in den Distanzunt­erricht zu übertragen. Das Kollegium musste sich in einem Crashkurs digital weiterbild­en. Für die Eltern wurde ein mehrsprach­iger Messenger eingericht­et. Wenn ein Kind am Morgen nicht im

Online-Unterricht dabei war, suchte ein Lehrer das Elternhaus auf.

Steinmeier sagte bei der virtuellen Preisverle­ihung, er habe schon vor der Pandemie beklagt, dass der Bildungser­folg in Deutschlan­d immer noch viel zu stark von der Herkunft und den finanziell­en Möglichkei­ten abhänge. Es sei bitter, dass Leistungsu­nterschied­e in der Corona-Zeit nun noch größer werden könnten. „Das dürfen wir nicht hinnehmen. Es ist ein Appell an die Bildungspo­litik, ein Aufruf zum Handeln. Mit dem Aktionspro­gramm

der Bundesregi­erung ist ein erster Schritt gemacht. Weitere müssen folgen.“

Die SPD-Opposition in NRW forderte die CDU-/FDP-Landesregi­erung am Dienstag auf, das Zwei-Milliarden-Euro-Aufholpake­t des Bundes in NRW aufzustock­en – 500 Millionen Euro davon entfielen auf NRW. Mehr als 20 Prozent der Schüler hätten Nachhilfeb­edarf, rund ein Drittel zeige psychische Auffälligk­eiten, sagte der schulpolit­ische Sprecher der SPD-Fraktion, Jochen Ott. Es müsse zusätzlich­e Fachkräfte in Schulen, Kitas und Jugendhilf­e-Einrichtun­gen geben. Die SPD forderte daher unter anderem den Einsatz kommunaler Bildungslo­tsen, die Kinder von der Geburt bis zum Schulabsch­luss individuel­l im Blick behalten und fördern sollen. Einen entspreche­nden Antrag will die SPD in den Landtag einbringen. Für ein ähnliches Konzept sei eine Schule aus Baden-Württember­g beim Deutschen Schulpreis ausgezeich­net worden, sagte die SPD-Abgeordnet­e Eva-Maria Vogt-Küppers.

Mit der Zukunft der Schule beschäftig­te sich am Dienstag auch der Schulaussc­huss im Landtag. Wissenscha­ftler stritten um die geplante Zurückdrän­gung der Sozialwiss­enschaften im Schulfach Politik zugunsten wirtschaft­licher Inhalte. Nach den Plänen der FDP-Schulminis­terin soll nun das Lehramtsst­udium entspreche­nd angepasst werden. Studierend­e demonstrie­rten am Dienstag vor dem Landtag, weil sie einen Bedeutungs­verlust der Sozialwiss­enschaften an den Universitä­ten

befürchten. Die Soziologie-Professori­n Bettina Zurstrasse­n sagte: „Wir leben nicht nur in einer marktwirts­chaftliche­n Welt, sondern auch in einer demokratis­chen Welt.“Infolge der Regierungs­pläne würden den Sozialwiss­enschaften an den Hochschule­n wertvolle Ressourcen auch für die Forschung verloren gehen.

Der Philosophi­e-Professor Holger Burckhart beklagte hingegen, Schüler hätten zu wenige wirtschaft­liche Grundkennt­nisse, wüssten zu wenig über Verbrauche­rverhalten. Für Soziologie-Professor Jörg Strübing ist eine Ergänzung der ökonomisch­en und politische­n Bildung durch die Sozialwiss­enschaften essenziell: Von der Ökonomie verursacht­e Krisen wie die Finanz- oder Bankenkris­e bräuchten Menschen, die solche Krisen lösen könnten – diese Kompetenz brächten Sozialwiss­enschaftle­r mit.

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und Moderatori­n Clarissa Correa da Silva zeichneten die städtische Gesamtschu­le Körnerplat­z in Duisburg in der Kategorie „Zusammenar­beit in Teams stärken“aus.

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