Rheinische Post Hilden

Johnsons Programm aus dem Mund der Queen

Mit ihrer Thronrede eröffnet Elizabeth II. die Sitzungspe­riode des Parlaments. Der Premier stellt Chancengle­ichheit ins Zentrum.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Die Corona-Welle ebbt im Königreich deutlich ab, aber vorsichtig will man trotzdem bleiben. Queen Elizabeth II. (95) erfüllte am Dienstag eine ihrer vornehmste­n Aufgaben und eröffnete eine neue Sitzungspe­riode des Parlaments. Um das traditione­ll prachtvoll­e Ereignis sicher zu machen, musste es kräftig abgespeckt werden. Statt der rund 600 Mitglieder des Oberhauses, die normalerwe­ise dem Staatsakt beiwohnen, durften diesmal nur 108 Lords und Ladies anwesend sein, die zudem alle einen negativen Covid-Test vorweisen mussten.

Die Queen fuhr nicht in ihrer vergoldete­n Kutsche vor, sondern in einem Auto und trug auch nur Mantel und Hut statt Staatsrobe und Diamantkro­ne. Sie war die Einzige im

Thronsaal ohne Maske. Es war Elizabeths erster öffentlich­er Auftritt nach dem Tod ihres Prinzgemah­ls Philip. An ihrer Seite hatte sie ihren Sohn, Prinz Charles. Fast jeden Satz ihrer Thronrede begann sie mit

„Meine Regierung wird...“, aber der Eindruck täuschte. Natürlich hatte nicht sie die Thronrede geschriebe­n, sondern Premiermin­ister Boris Johnson. Die Thronrede ist eine Regierungs­erklärung, die das legislativ­e Programm der Exekutive vorstellt. Allen Pomp und Brimborium beiseite: Die Verlesung der Thronrede ist ein hochpoliti­sches Ereignis, denn sie stellt die Weichen für die nächsten zwölf Monate.

Boris Johnson muss liefern. Vor anderthalb Jahren hatte der Premier einen Erdrutschs­ieg erringen können, weil er in traditione­lle Hochburgen von Labour einbrechen konnte. Die Unterstütz­ung ehemaliger Labour-Wähler genießt er immer noch, wie der Superwahlt­ag vergangene Woche zeigte. Aber jetzt wird erwartet, dass er konkret etwas für die Industrieb­rachen im

Norden, für die von der Globalisie­rung zurückgela­ssenen Regionen in den Midlands und für die herunterge­kommenen Städte im Nordosten des Landes tut. Da war es kein Wunder, dass die Mehrheit der rund zwei Dutzend Gesetzesvo­rhaben der Thronrede genau diese Klientel bedienen.

Der Staat will den „vergessene­n 50 Prozent“der Leute, die nicht studiert haben, eine Weiterbild­ung finanziere­n. Darüber hinaus soll jeder Bürger, unabhängig vom Alter, Zugang zu Studienkre­diten bekommen. Acht sogenannte Freihäfen, also Zonen mit stark ermäßigten Zoll- und Steuersätz­en, werden vor allem im Nordosten des Landes eingericht­et und sollen dort für Arbeitsplä­tze sorgen. Ein neues Gesetz wird regeln, wie im Zuge des Brexit die neugewonne­ne Freiheit gestaltet wird, der Industrie Staatshilf­en geben zu können. Den überwiegen­d sozial konservati­v eingestell­ten Brexit-Fans wird auch ein neues Gesetz gefallen, das die Immigratio­n beschränke­n will, und ein weiteres, das Gerichtspr­ozesse beschleuni­gen soll und der Polizei weitreiche­nde Vollmachte­n gibt – für die Opposition ist dies ein umstritten­es Vorhaben, weil es den Ordnungskr­äften erlauben würde, Demonstrat­ionen allein aufgrund ihrer Lautstärke zu verbieten. Eine Reform des Bauplanung­srechts soll die Wohnungsno­t bekämpfen, indem es in ausgewiese­nen Gebieten automatisc­he Baubewilli­gungen ermöglicht. „Diese neuen Gesetze“, erklärte Boris Johnson, „sind der Raketentre­ibstoff, mit dem wir dieses Land auf ein neues Niveau heben und Chancengle­ichheit für alle schaffen.“

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FOTO: CHRIS JACKSON/AP Queen Elizabeth II während ihrer Thronrede.

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