Lebenslänglich für Mord vor 25 Jahren
Der Prozess um die „Sandkuhle“am Niederrhein wurde erst durch eine Episode in „Aktenzeichen XY“möglich. Am Dienstagmorgen endete er mit einem Schuldspruch für den Angeklagten – auch ohne Beweise.
AACHEN Achim K. hat in diesem Prozess fast nichts gesagt. Nichts zu seiner Person. Nichts zu den Vorwürfen gegen ihn. Kein letztes Wort. Und als am Dienstagmorgen Richter Roland Klösgen das Urteil verkündet, ihn des Mordes schuldig spricht und damit lebenslang hinter Gitter schickt, da nimmt Achim K. das so auf, wie er seit dem 20. April den Prozess und die rund 40 Zeugenaussagen verfolgt hat: annähernd regungslos.
Es ist vorerst das Ende eines spektakulären Verfahrens. Nicht nur, weil der Mord an dem damals 43 Jahre alten Wilfried Kalitz in dessen Wohnmobilwerkstatt in Broichweiden fast ein Vierteljahrhundert zurückliegt. Nicht nur, weil bis 2019 nicht einmal die Leiche, die im Dezember 1996 durch Zufall in der verlassenen „Hauser Sandkuhle“im Kreis Kleve gefunden wurde, identifiziert werden konnte. Nicht nur, weil dies durch großen Zufall doch noch gelang. Spektakulär war der Prozess auch deshalb, weil es nach all den Jahren keinerlei handfesten Beweis wie etwa eine DNA-Spur des Angeklagten gibt. Zeugenaussagen – das war’s. Die wichtigste davon beruht auf Hörensagen.
Trotzdem – die Schwurgerichtskammer um ihren Vorsitzenden Klösgen ist wie die Staatsanwaltschaft überzeugt: Achim K. hat Kalitz zusammen mit seinem Kumpanen Peter S. – er starb kurz nach der Tat betrunken bei einem Motorradunfall in der Türkei – auf brutalste Weise getötet. Die Richterinnen und Richter sind auch überzeugt: Das Motiv lautet Habgier.
Die Kammer ist überzeugt, dass die beiden Männer den nackten Wilfried Kalitz ein paar Tage später in einen Teppich wickelten, ihn zu der 100 Kilometer von Würselen entfernt gelegenen Grube – die Familie von Peter S. lebte dort einst – karrten und die Leiche „wie Müll entsorgten“, wie es Richter Klösgen in der Urteilsbegründung formuliert. Dort wurde die völlig entstellte Leiche am 8. Dezember 1996 vom Hund eines Jägers in einem Abhang entdeckt.
Die Kriminalpolizei hielt den Toten zunächst für einen Osteuropäer, konzentrierte die Ermittlungen erfolglos in diese Richtung. Bewegung kam erst wieder durch die Landesmaßgabe, ungelöste Fälle – sogenannte Cold Cases – stärker in den Fokus zu nehmen. Ein neues Phantombild des Toten wurde mit moderner Technik erstellt und im August 2019 bei „Aktenzeichen XY“präsentiert. Durch Zufall zappte der Bruder von Peter S. in diesem Moment auf das ZDF und wusste sofort, um was es ging. Er griff zum Telefon,
Roland Klösgen Vorsitzender Richter
nannte die Identität des Toten und gab der Kripo Hinweise auf die Männer, die zu Verdächtigen wurden.
Dieser Zeuge war es auch, der im Prozess die Hauptbelastungsrolle spielte. Demnach hätten Achim K. und Peter S. ihm damals die Tat gestanden. Sein Bruder habe etliche Male mit einem Hammer auf Kalitz’ Kopf und Körper eingeschlagen. Als dieser immer noch nicht tot gewesen sei, habe Achim K. „den Rest erledigt“und ihn stranguliert. Das erzählte er auch seiner damaligen Frau, die zweitwichtigste Zeugin war. Die Verteidigung hatte in beiden Zeugenaussagen etliche Widersprüche ausgemacht und Freispruch gefordert.
Richter Klösgen sagt, dass es hier „keine objektive Beweislage“gebe. Und dass Zeugen ein „schwieriges Beweismittel“seien. Umso mehr, wenn es wie hier ums Hörensagen gehe. Das habe die Kammer denn auch „kritisch beäugt“. Man müsse hier „sehr fein aufpassen, dass man sich nicht nur die Rosinen aus den Aussagen herauspickt“. Klösgen sagt auch, dass es durchaus Ungenauigkeiten und Widersprüche gegeben habe. Dennoch habe es keinen Grund gegeben, am Kern der Aussagen zu zweifeln. Denn die enthielten Details, die nur die Täter hätten wissen können.Von einer Strangulation sei im Fernsehbeitrag und nirgendwo sonst die Rede gewesen. Auch nicht, dass ein Hammer die Tatwaffe war.
Auch vom Motiv Habgier ist das Schwurgericht überzeugt. Es habe damals zwischen Kalitz und den beiden Männern die Absprache gegeben, dass sie dessen Werkstatt nutzen durften. Dann sei das Opfer von der Absprache abgerückt. Die Männer hätten nach dem Mord dort einfach weiterarbeiten wollen. Sie wussten aber nicht, dass das Gebäude wegen finanzieller Probleme von Kalitz zur Zwangsversteigerung anstand. Nach der Urteilsverkündung, für die sich Klösgen eine Stunde Zeit nimmt, kündigt die Verteidigung an, Revision einzulegen. Die Geschichte ist damit nicht endgültig beendet. Rainer Dietz, einer der Anwälte von Achim K., sagt: „Hier wird aus vage formulierten Angaben eine Gewissheit hergestellt. Wie soll das gehen?“
„Das ist ein gerechtes Urteil. Wir sind froh, dass es so ausgegangen ist“, sagt Sabine Appel, die Kalitz’ Tochter als Nebenklägerin vertritt. Diese dachte bis vor Kurzem, ihr Vater habe sich damals einfach aus dem Staub gemacht. Man habe keinen Zweifel an der Schuld von Achim K. gehabt, dennoch sei es „eine Riesenspannung gewesen, da man nicht wusste, wie es ausgehen wird“. Das siebenjährige Mädchen von damals, das heute eine 31-jährige Frau ist und Achim K. nach dem Urteil wortlos wieder in seine Zelle gehen sieht, könne nun „den Rest seines Lebens anders leben“.
„Der Tote ist wie Müll in einer stillgelegten Kiesgrube entsorgt worden“