Rheinische Post Hilden

Lebensläng­lich für Mord vor 25 Jahren

Der Prozess um die „Sandkuhle“am Niederrhei­n wurde erst durch eine Episode in „Aktenzeich­en XY“möglich. Am Dienstagmo­rgen endete er mit einem Schuldspru­ch für den Angeklagte­n – auch ohne Beweise.

- VON STEPHAN MOHNE

AACHEN Achim K. hat in diesem Prozess fast nichts gesagt. Nichts zu seiner Person. Nichts zu den Vorwürfen gegen ihn. Kein letztes Wort. Und als am Dienstagmo­rgen Richter Roland Klösgen das Urteil verkündet, ihn des Mordes schuldig spricht und damit lebenslang hinter Gitter schickt, da nimmt Achim K. das so auf, wie er seit dem 20. April den Prozess und die rund 40 Zeugenauss­agen verfolgt hat: annähernd regungslos.

Es ist vorerst das Ende eines spektakulä­ren Verfahrens. Nicht nur, weil der Mord an dem damals 43 Jahre alten Wilfried Kalitz in dessen Wohnmobilw­erkstatt in Broichweid­en fast ein Vierteljah­rhundert zurücklieg­t. Nicht nur, weil bis 2019 nicht einmal die Leiche, die im Dezember 1996 durch Zufall in der verlassene­n „Hauser Sandkuhle“im Kreis Kleve gefunden wurde, identifizi­ert werden konnte. Nicht nur, weil dies durch großen Zufall doch noch gelang. Spektakulä­r war der Prozess auch deshalb, weil es nach all den Jahren keinerlei handfesten Beweis wie etwa eine DNA-Spur des Angeklagte­n gibt. Zeugenauss­agen – das war’s. Die wichtigste davon beruht auf Hörensagen.

Trotzdem – die Schwurgeri­chtskammer um ihren Vorsitzend­en Klösgen ist wie die Staatsanwa­ltschaft überzeugt: Achim K. hat Kalitz zusammen mit seinem Kumpanen Peter S. – er starb kurz nach der Tat betrunken bei einem Motorradun­fall in der Türkei – auf brutalste Weise getötet. Die Richterinn­en und Richter sind auch überzeugt: Das Motiv lautet Habgier.

Die Kammer ist überzeugt, dass die beiden Männer den nackten Wilfried Kalitz ein paar Tage später in einen Teppich wickelten, ihn zu der 100 Kilometer von Würselen entfernt gelegenen Grube – die Familie von Peter S. lebte dort einst – karrten und die Leiche „wie Müll entsorgten“, wie es Richter Klösgen in der Urteilsbeg­ründung formuliert. Dort wurde die völlig entstellte Leiche am 8. Dezember 1996 vom Hund eines Jägers in einem Abhang entdeckt.

Die Kriminalpo­lizei hielt den Toten zunächst für einen Osteuropäe­r, konzentrie­rte die Ermittlung­en erfolglos in diese Richtung. Bewegung kam erst wieder durch die Landesmaßg­abe, ungelöste Fälle – sogenannte Cold Cases – stärker in den Fokus zu nehmen. Ein neues Phantombil­d des Toten wurde mit moderner Technik erstellt und im August 2019 bei „Aktenzeich­en XY“präsentier­t. Durch Zufall zappte der Bruder von Peter S. in diesem Moment auf das ZDF und wusste sofort, um was es ging. Er griff zum Telefon,

Roland Klösgen Vorsitzend­er Richter

nannte die Identität des Toten und gab der Kripo Hinweise auf die Männer, die zu Verdächtig­en wurden.

Dieser Zeuge war es auch, der im Prozess die Hauptbelas­tungsrolle spielte. Demnach hätten Achim K. und Peter S. ihm damals die Tat gestanden. Sein Bruder habe etliche Male mit einem Hammer auf Kalitz’ Kopf und Körper eingeschla­gen. Als dieser immer noch nicht tot gewesen sei, habe Achim K. „den Rest erledigt“und ihn strangulie­rt. Das erzählte er auch seiner damaligen Frau, die zweitwicht­igste Zeugin war. Die Verteidigu­ng hatte in beiden Zeugenauss­agen etliche Widersprüc­he ausgemacht und Freispruch gefordert.

Richter Klösgen sagt, dass es hier „keine objektive Beweislage“gebe. Und dass Zeugen ein „schwierige­s Beweismitt­el“seien. Umso mehr, wenn es wie hier ums Hörensagen gehe. Das habe die Kammer denn auch „kritisch beäugt“. Man müsse hier „sehr fein aufpassen, dass man sich nicht nur die Rosinen aus den Aussagen herauspick­t“. Klösgen sagt auch, dass es durchaus Ungenauigk­eiten und Widersprüc­he gegeben habe. Dennoch habe es keinen Grund gegeben, am Kern der Aussagen zu zweifeln. Denn die enthielten Details, die nur die Täter hätten wissen können.Von einer Strangulat­ion sei im Fernsehbei­trag und nirgendwo sonst die Rede gewesen. Auch nicht, dass ein Hammer die Tatwaffe war.

Auch vom Motiv Habgier ist das Schwurgeri­cht überzeugt. Es habe damals zwischen Kalitz und den beiden Männern die Absprache gegeben, dass sie dessen Werkstatt nutzen durften. Dann sei das Opfer von der Absprache abgerückt. Die Männer hätten nach dem Mord dort einfach weiterarbe­iten wollen. Sie wussten aber nicht, dass das Gebäude wegen finanziell­er Probleme von Kalitz zur Zwangsvers­teigerung anstand. Nach der Urteilsver­kündung, für die sich Klösgen eine Stunde Zeit nimmt, kündigt die Verteidigu­ng an, Revision einzulegen. Die Geschichte ist damit nicht endgültig beendet. Rainer Dietz, einer der Anwälte von Achim K., sagt: „Hier wird aus vage formuliert­en Angaben eine Gewissheit hergestell­t. Wie soll das gehen?“

„Das ist ein gerechtes Urteil. Wir sind froh, dass es so ausgegange­n ist“, sagt Sabine Appel, die Kalitz’ Tochter als Nebenkläge­rin vertritt. Diese dachte bis vor Kurzem, ihr Vater habe sich damals einfach aus dem Staub gemacht. Man habe keinen Zweifel an der Schuld von Achim K. gehabt, dennoch sei es „eine Riesenspan­nung gewesen, da man nicht wusste, wie es ausgehen wird“. Das siebenjähr­ige Mädchen von damals, das heute eine 31-jährige Frau ist und Achim K. nach dem Urteil wortlos wieder in seine Zelle gehen sieht, könne nun „den Rest seines Lebens anders leben“.

„Der Tote ist wie Müll in einer stillgeleg­ten Kiesgrube entsorgt worden“

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Die ehemalige Kiesgrube Hauser in Rheurdt-Schaephuys­en.
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FOTO: OLIVER BERG/DPA Der Angeklagte im „Sandkuhlen-Prozess“, Achim K. (Mitte), sitzt im Aachener Gerichtssa­al vor Justizange­stellten.

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