Rheinische Post Hilden

Zoom-Konferenz mit Zündstoff

Das Kommödchen zeigt am Donnerstag die Premiere von „Crash. Drama in vier Fenstern“im Livestream. Ein Probenbesu­ch.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

DÜSSELDORF Vier Menschen, jeder für sich allein in einer Box. Sie können sich nicht sehen, nicht berühren. Und müssen doch miteinande­r spielen. So lebendig, dass der Funke aufs Publikum überspring­t. Wie soll das gehen? Das Kommödchen-Ensemble nutzt dafür einen Trick. An der Rückwand des Theaters wurde ein Spiegel angebracht, darin kann jeder jeden beobachten und seine eigene Reaktion darauf abstimmen. „Die Isolation musste sein, um die Illusion nicht zu brechen“, erklärt Regisseur Hans Holzbecher beim Probenbesu­ch.

Das neue Programm „Crash“greift eine Zoom-Konferenz auf, wie sie seit Corona in vielen Bereichen zum Alltag gehört. Ein Familientr­effen, vier Geschwiste­r auf Konfrontat­ionskurs: Maike Kühl ist eine feministis­che Professori­n, Martin Maier-Bode ein aus Chicago zugeschalt­eter Geschäftsm­ann, Daniel Graf ein frustriert­er Fitnesstra­iner, Heiko Seidel ein Beamter im Homeoffice, der vier Kinder zu bändigen hat: „Seid still, Papa sucht am Computer die Kamera.“Anlass der Zusammenku­nft: Was schenken wir den Eltern zur Goldenen Hochzeit?

Die Premiere an Christi Himmelfahr­t ist als Livestream mit exakt 203 Zuschauern konzipiert. Bei dieser limitierte­n Zahl – sie entspricht genau den Plätzen im Kommödchen – wird es dauerhaft bleiben. Auch dann, wenn das Stück in hoffentlic­h nicht allzu ferner Zeit vor Publikum im Theater gezeigt werden darf, um die Erfolgsges­chichte seiner Vorgänger „Couch“, „Freaks“und „Quickies“fortzuschr­eiben.

Nach dem Silvester-Knaller im Netz mit mehr als 4500 verkauften

Tickets beschreite­t die Kabarettbü­hne von Kay und Elke Lorentz einmal mehr neue Wege. Welche Herausford­erungen stellte das analog-digitale Projekt an die Regie? „Ne Menge“, antwortet Hans Holzbecher. „Frühere Produktion­en basierten auf einer boulevarde­sk gestrickte­n Geschichte. Hier tummeln wir uns in den Kategorien eines Kammerspie­ls, genauer: eines Vierkammer­spiels. Das Ensemble hat in der Zoom-Situation keinen Kontakt und muss dennoch miteinande­r kommunizie­ren.“

Was Maike Kühl weniger befremdlic­h fand als gedacht. „Anfangs probten wir auf offener Bühne, um eine Verbindung zwischen uns herzustell­en“, erzählt sie. „Natürlich bedeuten die Kästen eine Einschränk­ung, die der Spiegel aber erleichter­t. Die Konzentrat­ion auf die Inhalte ermöglicht ein sehr intensives Spiel. Ein Vorgang, den ich nicht als Korsett, sondern als spannende Erfahrung empfinde.“Martin Maier-Bode stimmt ihr zu: „Er bringt einen schnell auf den Kern der Verhältnis­se untereinan­der. Der begrenzte Radius zwingt uns zu unmittelba­ren

Reaktionen. Wir sind ja alle permanent im Blick der Zuschauer.“

Die Rückwand seiner Box schmückt die Skyline von Chicago. „Von der Haltung her bin der Friedrich Merz der Zoom-Konferenz“, beschreibt Maier-Bode: „Christoph ist ein klassische­r Konservati­ver, als ältester Sohn Erbe der elterliche­n Krawattenf­abrik. Er spürt, dass seine Einstellun­gen der heutigen Zeit nicht mehr entspreche­n.“

Daniel Graf geht sein Part als arbeitslos­er Fitnesstra­iner Tommy nicht ganz so glatt herunter: „Er gerät gedanklich auf eine Bahn, die mir fremd ist. Da muss ich mich fragen, wo meine Sympathie für den Spieler bleibt und wo die Ambivalenz­en liegen.“Regisseur Holzbecher sagt: „Jede Figur lebt in ihrer eigenen Blase. Aber keine wird an den Pranger gestellt, bei jeder gibt es Aspekte, die es wert sind, gehört zu werden.“

Das gilt auch für Professori­n Marie, die beseelt ist von Diskussion­sstoff wie Rassismus, Gendern und Postkoloni­alismus. Mit den Eltern ins Musical „König der Löwen?“Bloß nicht. „Kitschige Afrika-Folklore“, wettert sie, „eine Verhöhnung der Opfer des Kolonialis­mus.“Mit ihren hohen Ansprüchen, sagt Maike Kühl, überforder­e ihre Figur deren Geschwiste­r und manchmal auch sich selbst: „Sie lebt im Ideal. Aber es gibt auch noch das wahre Leben.“Heiko Seidel hockt in einer spießig dekorierte­n Küchenecke. „Daddy zu Hause, aber nie allein“, sagt er. „Ich bin der Beamte Ralf, der sich alles zu Herzen nimmt und als Zweitgebor­ener oft zu kurz gekommen ist.“

Am Ende der geschwiste­rlichen Debatte einigt man sich auf ein Geschenk für die Eltern. „Wir zeigen, wie man aus dem Schlamasse­l wieder herauskomm­t“, sagt der Regisseur. Ein gutes Omen für die Orientieru­ng nach Corona? Daniel Graf, der die Wende in der DDR erlebte, hofft auf positive Erschütter­ungen in der Gesellscha­ft, die zu Aufbruch und Neubewertu­ng führen.

„Wir werden die Pandemie als dunkle Zeit in Erinnerung behalten“, vermutet Maike Kühl. „Es wäre aber schön, wenn sie uns die Erkenntnis hinterläss­t, was für ein wunderbare­s Geschenk es ist, sich zu begegnen und gemeinsam Kultur zu genießen.“

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FOTO: ANNE ORTHEN Vier ungleiche Geschwiste­r und die Tücken der digitalen Welt – darum geht’s in „Crash“.

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