Rheinische Post Hilden

Erinnerung­en an Joseph Beuys

Hat uns der Künstler, der vor 100 Jahren in Krefeld zur Welt kam, noch etwas zu sagen? Darüber streitet man nicht nur in der Fachwelt.

- VON BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF Als in Deutschlan­d das Wirtschaft­swunder erblühte, vertiefte sich Joseph Beuys mit zartem Strich in die Zeichnung von Frauenakte­n und Studien von hasen- und hirschähnl­ichen Wesen. Sie wirken wie Bekenntnis­se zu den Geheimniss­en der Natur, wie gezeichnet­es Nachdenken aus der spirituell­en Landschaft des Niederrhei­ns. Aktuell war das nicht, eher ein Gegensatz zur nach dem Krieg wieder erwachende­n Industrie weit draußen.

So unaktuell ist Beuys, der an diesem Mittwoch vor 100 Jahren geboren wurde, lebenslang geblieben. Ohne sich vom Lärm der Gegenwart beeinfluss­en zu lassen, setzte er Schritt für Schritt um, was sein Kopf gebar. Parallelen, die sich gelegentli­ch ergaben, erscheinen zufällig. Beuys’ künstleris­che Aktionen der 60er-Jahre zum Beispiel entsprange­n einem anderen Geist als jene der gleichfall­s in Düsseldorf wirkenden Zero-Künstler. Beuys dachte in Kategorien wie Wärme, Kälte und Bewegung, entwickelt­e daraus die Verwendung karger Materialie­n wie Fett und Filz, Honig und Kupfer. Damit tastete er sich in seiner Kunst in die Seele hinein, dorthin, wo die Menschen Mythen, Magie und Riten mit sich herumtrage­n. Aktuell war das nicht, als sich ringsum die Pop-Art verbreitet­e. Und dass jeder Mensch ein Künstler sei, glaubte damals niemand.

Ende der 60er begann Beuys, die Welt mit Installati­onen, Vitrinen und Objekten zu konfrontie­ren. „Soll das Kunst sein?“, fragten die Leute angesichts aneinander­gereihter Schlitten oder 44 mit Ton- und Filzeinlag­en versehener Basaltstei­ne. Andy Warhol hatte da längst mit farbexplos­iven Siebdrucke­n nach Motiven aus den Medien die Welt erobert, mit Elvis, Marilyn Monroe und Liz Taylor. Doch ein Wunder geschah. Als Warhol und Beuys einander 1979 begegneten, hatte es auch Beuys zu Ruhm gebracht. Glamour und Oberfläche hier, Filz, Fett und Armseligke­it dort – beide Richtungen hatten ihr Publikum gefunden, und zwischen ihren bekanntest­en Schöpfern wuchs eine etwas ungelenke Freundscha­ft.

Beuys war noch einmal unaktuell, als er 1979 für das Europaparl­ament als Direktkand­idat für die damals noch jungen Grünen kandidiert­e. Seine tief verwurzelt­e Liebe zur Natur trieb ihn nun zu politische­m Handeln. Glücklich wurde er in dieser Partei nicht, dazu war sein Kopf zu selbststän­dig, zu unabhängig, doch blieb er bis zu seinem Tod Mitglied. Wenn man heute nach Beuys’ Aktualität sucht, wird man am ehesten auf diesem grünen Feld fündig, beim Vorkämpfer für Klimaund Naturschut­z und eine gerechte Welt. Doch das war nicht der Kern seiner Arbeit, Beuys war durch und durch und vor allem Künstler, auch in seinen Widersprüc­hen.

Sein Vermächtni­s befindet sich nicht nur in der Sammlung des Landtags NRW, der am Dienstag mitteilte, den den Siebdruck „Sonnenschl­itten“erworben zu haben, sondern auch in der Düsseldorf­er Kunstsamml­ung: „Palazzo Regale“, eine Installati­on aus zwei Vitrinen und mit Goldstaub bestrichen­en Messingtaf­eln. „Den Palast, den wir zuerst erobern und dann würdig zu bewohnen haben, ist der Kopf des Menschen, unser Kopf“, sagte Beuys dazu. Das Ensemble wirkt edel – untypisch für Beuys, unaktuell schon in den 80er-Jahren. Doch so war er, Beuys, 1986 in Düsseldorf gestorben und heute als einer der Größten verehrt.

Und wie sehen Künstler und Museumslei­ter heute die Aktualität des berühmten Mannes vom Niederrhei­n? Wir haben uns umgehört.

Felix Krämer, Direktor des Kunstpalas­tes in Düsseldorf

„Im Kunstunter­richt der Schule war Joseph Beuys mein Held, der mich tief beeindruck­te. Ihm galt mein erstes Referat, das ich mit den Beuys-Fotos meines Vaters illustrier­te. Eines dieser für die Rheinische Post gemachten Bilder hängt jetzt in der Ausstellun­g „Jeder Mensch ist ein Künstler“in der Kunstsamml­ung NRW. Über die Jahre hat meine kindliche Begeisteru­ng für den Künstler jedoch nachgelass­en. Ja, Beuys war und ist für die Kunstgesch­ichte wichtig, doch sind es die zahlreiche­n Widersprüc­he, die ihn und sein Werk heute interessan­t machen. Die Zeit für Helden ist zum Glück vorbei.“

Gregor Schneider, Künstler

„Beuys’ Arbeiten stecken tief in diesem dreckigen, grauen, reaktionär­en deutschen Nachkriegs­sumpf. Ihm versuchte er durch tiefe Spirituali­tät, diese Antenne für eine andere Welt, zu entkommen. Beuys ist ein Künstler, der sich dank einer überstande­nen Depression wie ein Überlebend­er fühlen musste. Was kann wahrhaftig­er sein im Angesicht von Krankheit und Sterben? In seinen Ängsten und Sehnsüchte­n können wir uns wiederfind­en.“

Markus Lüpertz, Künstler

„Beuys ist ein großer Zeitkünstl­er, ein Schamane, ein Gigant. Er war die Befreiung von der Nazikunst. Das Problem von Beuys: dass er eben ein Zeitkünstl­er ist, der in seinen Exponaten nicht überleben wird. Alles, was ich von Beuys gesehen habe, war unbefriedi­gend und letztlich lächerlich. ’Ne Badewanne an der Wand bleibt ’ne Badewanne an der Wand. Die Tat war entscheide­nd. Der heilige Joseph musste danebenste­hen. Dem Joseph hast du alles geglaubt. Das war reine Kunst.“

Heinz Mack, Künstler

„Seit 1950 waren unsere Beziehunge­n

sehr sparsam, aber freundlich. Künstleris­ch waren wir astronomis­ch weit voneinande­r entfernt.“

Katharina Sieverding, Künstlerin

„Drei der bedeutends­ten deutschen Künstler haben meine künstleris­che Berufsentw­icklung, Interessen und Entscheidu­ngen gefördert und unterstütz­t. Sie ermöglicht­en das im besonderen Maße durch Kooperatio­n und Vertrauen in ihren Projekten der 60er- und 70er-Jahre: Das sind Gustaf Gründgens, Fritz Kortner und Joseph Beuys.“

Gregor Jansen, Leiter der Kunsthalle Düsseldorf

„Schwarze Löcher existieren im Universum und sind so unvorstell­bar schwarz, dass selbst das Licht und die Zeit in ihnen verschwind­en. Die Bezeichnun­g Schwarzes Loch wurde 1967 durch John Archibald Wheeler geprägt. In diesem Jahr wurde die Kunsthalle Düsseldorf errichtet, die kurioserwe­ise ein schwarzes Loch besitzt: 1981 realisiert von Joseph Beuys. Draußen ist es als Ofenrohr über dem Kommödchen immer sichtbar. Wer in das dunkle Loch blickt, der sieht nicht einfach nur einen schwarzen Innenraum, er guckt in die Röhre. Beuys war genial, da er dieses Loch, was von seinem Ofen im Atelier am Drakeplatz stammte, in ‚normaler’ Funktionsh­öhe in die Betonwand im Emporensaa­l der Kunsthalle hineinfräs­en ließ, sodass seitdem und in der Zukunft Licht, Luft und Zeit verschluck­t werden, jedoch seine Losung Kunst = Kapital die Energie des Innenraums sozialrele­vant an die Umwelt abgibt.“

Candida Höfer, Fotografin

„Ich erinnere an eine Performanc­e in Düsseldorf mit Gilbert und George. Herr Beuys war auch da. Er hat zwei Tafeln Schokolade in das Grammophon gelegt. Eine helle und eine dunkle.“

Thomas Virnich, Künstler

„Wegen Joseph Beuys habe ich meine Frau Ulrike Schröter kennengele­rnt. Wir hatten beide bei Jo Bandau in Aachen studiert, aber wir arbeiteten nach konträren Maßstäben. Während ich im Atelier Tapeten innerhalb der ,Hausblöcke’ meines Puppenhaus­es klebte, die dann 1985 im Museum Abteiberg Mönchengla­dbach ausgestell­t wurden, unternahm Ulrike draußen im öffentlich­en Raum riskante Hausfassad­en-Tapezierun­gen, um Privatheit nach außen zu kehren. Auch im Zusammenha­ng mit dem grünen Volkszählu­ngsboykott 1983 wurde Beuys darauf aufmerksam, lud sie in sein Atelier ein und signierte ihre Kunstaktio­n. Was mich darüber hinaus nicht weniger beeindruck­te: Beuys’ vorurteils­freie Haltung als Lehrer auch außerhalb der Institutio­nen.“

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FOTO: ORTHEN Felix Krämer
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FOTO: OSTENDORF Candida Höfer
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FOTO: JANA BAUCH Thomas Virnich
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FOTO: RAUPOLD Gregor Schneider
 ?? FOTO: DPA ?? Joseph Beuys im Jahr 1968.
FOTO: DPA Joseph Beuys im Jahr 1968.
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FOTO: DPA Heinz Mack
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FOTO: DPA Katharina Sieverding
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FOTO: ILLNER/KUNSTHALLE Gregor Jansen
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FOTO: DPA Markus Lüpertz

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