Erdogan pokert im Nato-Streit
Der türkische Präsident verhandelt mit den USA – und stellt Forderungen.
ISTANBUL Mit welchem Staat die Türkei gerade im Clinch liegt, kann man daran sehen, vor welchem Konsulat in Istanbul türkische Bereitschaftspolizisten aufmarschieren. Am Mittwochabend standen die bewaffneten Beamten vor dem schwedischen Konsulat in der Innenstadt der Metropole, um mögliche Proteste zu unterbinden. Präsident Recep Tayyip Erdogan will Schweden und Finnland nicht in der Nato sehen, weil sie angeblich der kurdischen Terrororganisation PKK Zuflucht bieten. Doch am Donnerstag waren die Polizisten bereits wieder weg – denn inzwischen stehen die USA im Mittelpunkt türkischer Forderungen.
Außenminister Mevlüt Cavusoglu gewährte nach einem Treffen mit seinem amerikanischen Kollegen Antony Blinken in New York einen Einblick in den türkischen Forderungskatalog. Die Begegnung sei „sehr positiv“verlaufen, sagte er nach einer Meldung der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. Drei Hauptforderungen Ankaras an die USA zur Lösung des Nato-Streits schälen sich nach Cavusoglus
Schilderung heraus – und sie haben nichts mit Nordeuropa zu tun. Erstens will die Türkei, dass Washington seine Zusammenarbeit mit der YPG in Syrien aufgibt. Die US-Unterstützung für die PKK-nahe Gruppe ärgert die Türkei schon seit Jahren, doch die Amerikaner sehen die YPG als wichtigen Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat über die Verhandlungen zwischen der und den USA
und statten sie weiter mit Waffen aus. Zweitens verlangt Ankara ein Ende der US-Sanktionen, die nach der Lieferung eines russischen Flugabwehrsystems an die Türkei verhängt wurden. Und drittens will Erdogan die amerikanische Regierung dazu bringen, den Lieferstopp für hochmoderne F-35-Kampfjets an Ankara aufzuheben und außerdem F-16-Flugzeuge an die Türkei zu verkaufen. Blinken, US-Sicherheitsberater Jake Sullivan und Präsident Joe Biden zeigten sich zuversichtlich, dass sie sich mit der Türkei einigen und den Weg für Finnland und Schweden in die Nato öffnen können.
Einige Beobachter sehen bei Erdogan nicht nur die Entschlossenheit, eine Chance für Zugeständnisse der USA zu nutzen, sondern auch pure Lust am riskanten Spiel mit einem hohen Einsatz. Die Türkei-Expertin Gönül Tol sagte dem US-Sender NPR, der türkische Staatschef sei unberechenbar, aber pragmatisch. Erdogan gehe mit Maximalforderungen in Verhandlungen, begnüge sich am Ende aber mit weit weniger. „Erdogan nervt – und das will er auch“, ließ sich ein hochrangiger Nato-Vertreter von der US-Nachrichtenseite „Daily Beast“zitieren.
Die Frage ist, wie weit Erdogan diesmal gehen wird. Der türkische Ex-Diplomat Osman Faruk Logoglu warnte in der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, der Präsident habe aus innenpolitischen Gründen ein „Pokerspiel mit der Nato“begonnen, das die Türkei außenpolitisch teuer zu stehen kommen könne. Fest steht, dass sich die türkische Regierung derzeit nicht beliebt macht im Kreis der Verbündeten.
„Erdogan nervt – und das will er auch“Hochrangiger Nato-Vertreter
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