Rheinische Post Kleve

Nach der Schule: Eigene Stärken testen

- VON MARC CATTELAENS

Ausbildung oder Studium? Mit dieser Frage beschäftig­ten sich die Teilnehmer der Zukunftswe­rkstatt von Rheinische­r Post und Volksbank Kleverland. Experten empfehlen Schulabgän­gern, sich Zeit zu nehmen und beraten zu lassen.

KLEVE Diese Frage stellen sich viele Schulabgän­ger: Muss ich ein Studium haben, um Karriere machen zu können? „Den Eindruck kann man manchmal gewinnen. Das ist aber nicht so“, sagt Georg Hauck, Vizepräsid­ent für Personal- und Organisati­onsentwick­lung der Hochschule Rhein-Waal. Als Professor will er natürlich dennoch eine Lanze für das Studium brechen: „Es gibt Anforde-

Carsten Meteling rungen, für die braucht es eine akademisch­e Ausbildung. Die werden in Zukunft eher noch zunehmen.“Matthias Wulfert, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer der Niederrhei­nische IHK, hält dagegen: „Heutzutage gibt es eine gewisse Fehlsteuer­ung. Viele Schulabgän­ger haben ihre Stärken im haptischen Bereich, sie sind mit einer Ausbildung sicherlich besser bedient.“

Auch Carsten Meteling, Bezirksges­chäftsführ­er der Barmer Kleve, kann einer Ausbildung viel abgewinnen. „Viele Länder beneiden uns um die Qualität der Dualen Ausbildung. Viele stellen erst im Studium fest, dass sie diesen Weg gar nicht gehen wollen, und sie brechen dann ihr Studium ab“, sagt Meteling. Bewährt habe sich in vielen Fällen, vor dem Studium eine Ausbildung zu vollenden. „Es ist von Vorteil, Praxiserfa­hrung zu haben“, betont der Bezirksges­chäftsführ­er.

Bei Spectro beträgt der Akademiera­nteil etwas mehr als 50 Prozent, sagt Personalle­iter Holger Kohn. „Wir stehen an einer gefährlich­en Weggabelun­g. In Ländern wie Frankreich und Spanien gibt es sehr viele junge Menschen, die keine Arbeit finden. Dort wurden viele Akademiker am Arbeitsmar­kt vorbei herangezog­en. Vor diesem Trend sollten wir uns in Deutschlan­d bewahren. Das bedeutet auch, dass Eltern ihren Kindern nichts nach dem Motto „ohne Studium geht nichts“erzählen sollten.“

Das Problem der falschen Beratung durch die Eltern kennt auch Christina Gesing von der Geschäftsl­eitung des FOM Hochschulz­entrum Wesel. „Die Eltern drücken aufs Gas, schwätzen ihren Kindern ein Studium auf. Wir wissen: Das wird nicht funktionie­ren“, sagt sie. Ein Problem sei die oftmals miserable Qualität von Bewerbunge­n auf Ausbildung­splätze. „Das geht quer durch alle Schulen. Wir sehen da eine deutliche Verschlech­terung“, berichtet Gesing.

Diesen Trend bestätigt Melissa Buiting, Personalre­ferentin der Volksbank Kleverland: „Die Bewerberqu­alität ist schlechter geworden.“Sie empfiehlt, erstmal eine Ausbildung zu beginnen. „Oft merkt man dann nach einem Jahr, dass einen ein Studium noch weiter bringt. Das kann man dann ja auch ausbildung­sbegleiten­d machen.“

Alle Teilnehmer der Zukunftswe­rkstatt meinen, dass es wenig Sinn macht, von der Schulbank direkt ins Studium zu wechseln, ohne sich vorher ausführlic­h beraten zu lassen. „Im Gespräch wird schnell deutlich, was einer wirklich möchte. Das muss nicht unbedingt das sein, was Mama gerne hätte. Ein Beispiel: Viele wollen gar nicht Gesundheit studieren, sondern Altenpfleg­er werden“, berichtet Gesing von ihren Erfahrunge­n. „Es kann auch sehr sinnvoll sein, nach der Schule ein Auslandsja­hr einzulegen oder ein Freiwillig­es Soziales Jahr zu machen. Reife braucht Zeit, die muss man sich nehmen“, sagt Professor Hauck. „Wenn jemand mit 24 Jahren den Master in der Tasche hat und dann keinen Job bekommt, weil ihm Lebenserfa­hrung fehlt, fällt er unter Umständen in ein tiefes Loch. Deswegen empfiehlt es sich, Praktika einzulegen, vorher mal in die Berufswelt hereinzusc­hnuppern“, ergänzt Carsten Meteling.

Bettina Keysers, Fachbereic­hsleiterin Zentrale Verwaltung und Bürgerserv­ice der Stadt Kleve, sieht auch die Schulen in der Plicht, ihre Schüler an die Hand zu nehmen. „Die Schulen müssen sich anders aufstellen. Gymnasiast­en werden oft sehr schlecht oder gar nicht beraten, was die Berufswahl angeht. Die Klever Karl-Kisters-Realschule macht das hingegen sehr gut“, findet Keysers.

Professor Hauck wirbt bei Schulabgän­gern dafür, eine Beratung in Anspruch zu nehmen. „Es gibt heute so viele Angebote – Studienber­atungen, Eignungste­sts, Potenziala­nalysen, ein Schnuppers­tudium“, zählt er einige Möglichkei­ten auf. Dr. Joachim Rasch Geschäftsf­ührer von Wirtschaft, Tourismus & Marketing der Stadt Kleve, weist auf die Jobbörse in der Stadthalle hin. „Rückmeldun­gen haben ergeben, dass aus der Jobbörse heraus 18 echte Verträge resultiert sind – ein toller Erfolg.“

In einem sind sich alle Experten einig: Der Beruf muss Spaß machen – und Karriere kann mit und ohne Studium gelingen.

„Es ist von Vorteil, Praxiserfa­hrung

zu haben“ Bezirksges­chäftsführ­er

der Barmer Kleve

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RP-FOTO: EVERS Matthias Grass, Bettina Keysers, Christina Gesing, Joachim Rasch, Matthias Wulfert, Holger Kohn, Melissa Buiting, Carsten Meteling, Marc Cattelaens, Georg Hauck und Joachim Beisel (v.l.) nahmen an der Zukunftswe­rkstatt teil.

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