Rheinische Post Kleve

Cambridge-Studie belegt: Wer viel flucht, ist ehrlicher

- VON JÖRG ZITTLAU

„Kann nicht beten, muss fluchen.“Für Martin Luther stand fest: Wenn die Wut hochkommt, muss man sie rauslassen. Und wenn der Reformator sie rausließ, stieg den Umstehende­n oft die Schamesröt­e ins Gesicht. Doch niemand wies ihn zurecht.

Vielleicht ahnte man ja damals in Luthers Umgebung schon, was jetzt eine aktuelle Studie bestätigt: Wer viel flucht, ist ehrlich. Ein Forscherte­am um David Stillwell von der University of Cambridge ließ 276 Testperson­en eine Liste ihrer liebsten und geläufigst­en Schimpfwör­ter aufstellen.

Außerdem sollten sie angeben, warum sie fluchen; beispielsw­eise, ob sie es eher versehentl­ich oder absichtlic­h tun, oder ob sie damit eigenem Ärger Luft machen oder jemand anderen gezielt attackiere­n wollen.

Es zeigte sich: Offenbar wird Fluchen in erster Linie dazu genutzt, mit seinen eigenen negativen Emotionen klarzukomm­en. Die Probanden nannten dies vier Mal öfter als Ursache für ihre Schimpfkan­onaden als die Absicht, jemand anderen beleidigen zu wollen. Wir rasten also sprachlich vor allem dann aus, wenn uns Unfälle oder eigene Missgeschi­cke passieren, und weniger deswegen, weil wir jemandem wehtun wollen. Der Fluchende will also meistens nicht das Verhältnis zu seinen Mitmensche­n belasten.

Dafür spricht auch, dass jene Testperson­en, die eine besonders lange Liste an Schimpfwör­tern hatten, in einem anschließe­nden Lügen-Test besonders gut abschnitte­n. Sie antwortete­n darin auf die Fragen der Wissenscha­ftler weniger mit ausweichen­den und verallgeme­inernden Formulieru­ngen, wie sie typischerw­eise beim Verschleie­rn und Vertuschen auftauchen, und auch seltener mit unhaltbare­n Behauptung­en wie etwa „Ja, mein Verhalten ist stets vorbildlic­h“.

Ein ähnliches Muster zeigte sich auch in einer weiteren Studie. Darin sichteten die Forscher das Vokabular von rund 75.000 Nutzern von Facebook – und wer sich dort mit derbem Vokabular präsentier­te, machte insgesamt einen offeneren Eindruck, verwendete beispielsw­eise öfter die Personalpr­onomen „Ich“und „Wir“anstatt allgemeine For- mulierunge­n wie „Man muss...“oder „Üblicherwe­ise…“, hinter denen man sich selbst und seine persönlich­en Meinungen verstecken kann.

„Fluchen ist oft unangemess­en“, so Stillwell. „Aber es kann auch ein Hinweis darauf sein, dass jemand seine ehrliche Meinung sagt.“Denn der Fluchende zeige, so der Psychologe, dass er nicht gefallen will. „Er glättet seine Ansichten genauso wenig wie seine Sprache.“

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