Lieber gesund als erfolgreich
DÜSSELDORF Marcel Fratzscher, einer der renommiertesten Ökonomen Deutschlands, hat es beispielhaft auf den Punkt gebracht. In seiner fiktiven Geschichte der Kinder Lena und Paul, beide fünf Jahre alt, von ihrer genetischen Voraussetzung und ihren kognitiven Fähigkeiten her wie Zwillinge, wird Paul die klar besseren Zukunftschancen haben. Das liegt daran, dass Pauls Eltern beide einen Universitätsabschluss haben, ihr Kind früh fördern, ihm eine breite Ausbildung ermöglichen und auch noch etwas vererben. Lena dagegen, Kind eines Schlossers und einer Verkäuferin, wird nicht wie Paul aufs Gymnasium gehen, wird kaum elterliche Unterstützung für ihre Bildung erhalten, weil die Eltern dazu gar nicht in der Lage sind. Sie wird die Realschule beenden und eine Lehre als Bürokauffrau beginnen, während Paul ein Hochschulstudium absolviert, eine Akademikerin heiratet und einen Karrierepfad beschreitet, der dem seiner Eltern sehr ähnlich ist.
Die Geschichte, so Fratzscher, stehe für die mangelnden Aufstiegschancen in Deutschland, die der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinem Buch „Verteilungskampf“eindrucksvoll mit Zahlen unterlegt. Danach schicken in Deutschland Mütter mit Abitur mehr als 60 Prozent ihrer Kinder aufs Gymnasium. Die Zöglinge der Mütter mit Hauptschulabschluss schaffen das gleiche Ziel nur zu zehn Prozent. In gleicher Weise können sich 75 Prozent der Söhne von reichen Vätern in der gleichen Einkommensgruppe halten. Und 74 Prozent der Söhne von ärmeren Eltern bleiben ebenfalls in der Verdienstgruppe ihrer Väter.
Wie Fratzscher haben viele Soziologen, Ökonomen und Bildungsforscher herausgefunden, dass die Chancen auf sozialen Aufstieg in Deutschland begrenzt sind. Die „klassenlose Gesellschaft“, die gerade Besucher aus der an- gelsächsischen Welt Nachkriegsdeutschland bescheinigten, ist danach zumindest seit den 80er Jahren lediglich eine Schimäre. „Im internationalen Vergleich ist das Ausmaß an sozialer Mobilität, insbesondere zwischen Kinder- und Elterngeneration, in fast keinem Land so niedrig wie in Deutschland“, schreibt die Verteilungsexpertin Dorothee Spannagel vom gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in ihrer Studie zur sozialen Mobilität.
Dieses Bild der sozialen Verfestigung hat die CDU-nahe Konrad-AdenauerStiftung (KAS) veranlasst, bei den Menschen selbst nachzufragen. Spielt Aufstieg wirklich in ihrem Leben die wichtigste Rolle? Wer sieht sich als Aufsteiger, und welche Eigenschaften sind wichtig für beruflichen Erfolg. Die Sozialwissenschaftlerin Sabine Pokorny, die für die Studie verantwortlich ist, kommt zu einem überraschenden Befund. Lediglich fünf Prozent der 2122 repräsentativ Befragten bezeichnen sich demnach als Absteiger. 43 Prozent sehen sich gegenüber ihren Eltern als Aufsteiger, weitere 45 Prozent geben an, sie hätten den Status ihrer Eltern beibehalten. Und unabhängig davon, ob das deutsche System durchlässig ist oder nicht, geben fast 80 Prozent der Befragten an, sie seien mit ihrem Leben zufrieden oder sogar sehr zufrieden.
„Wir wollten wissen, wie die Menschen selbst ihre Lage einschätzen. Denn darauf kommt es schließlich an“, begründet Pokorny den Ansatz ihrer Arbeit. Und die Befragten vermittelten noch eine andere Erkenntnis: Die wichtigsten Aspekte in ihrem Leben sind weder die Arbeit noch das Einkommen, sondern Lebensbereiche wie Gesundheit, Familie, Partnerschaft, Bildung, Freunde oder finanzielle Sicherheit. Die Arbeit schaffte es mit 52 Prozent positiver Antworten nur auf Platz acht der Wertehierarchie der befragten Personen. Eine noch geringere Rolle spielte das Einkommen (39 Prozent).
Ergebnis einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)
Das bedeutet nicht, dass der Aufstieg im Leben der Menschen ausgedient hat. Denn für 70 Prozent der Aufsteiger und sogar 78 Prozent der wenigen Absteiger ist das berufliche Fortkommen wichtig oder sehr wichtig. Selbst diejenigen, die ihre Position halten, geben zu mehr als 60 Prozent an, dass der Auf-
80 Prozent sind mit ihrem Leben zufrieden
oder sogar sehr zufrieden