Rheinische Post Kleve

Die Geschichte der Kriminalit­ät in Goch

- VON JÜRGEN LOOSEN

Das neue Heft Nummer 58 von „An Niers und Kendel“widmet sich Verbrechen in der Historie der Weberstadt. Die Gerichtsli­nde stand auf dem Markt, das Gefängnis war im Steintor und die Bestrafung­en meistens unmenschli­ch.

GOCH Spektakulä­r, spannend, speziell: Das Autorentea­m der Historisch­en Zeitschrif­t „An Niers und Kendel“widmet sich im aktuellen Heft Nr. 58 auf 34 Seiten der Kriminalit­ät und Rechtsprec­hung in der Gocher Geschichte. Dabei berichtet der heutige Standesbea­mte und frühere Stadtarchi­var Hans-Joachim Koepp in seinen „Betrachtun­gen zu Dieben, Räubern und Mördern“über Verbrechen aus der Historie der Weberstadt und informiert über Gerichtsve­rfahren und Bestrafung­en, Peter Geuskens schreibt, sozusagen exemplaris­ch, über das Leben des Verbrecher­s Heintje van Goch im 18. Jahrhunder­t.

Dass eine solche Mammutaufg­abe nicht lückenlos bewältigt werden kann, stellt Koepp klar: „In den Annalen der Stadt Goch finden sich zahlreiche Hinweise zu größeren

„Die hier angesproch­e- nen Verbrechen stellen nur einen Bruchteil der

tatsächlic­hen dar“

Hans-Joachim Koepp Verbrechen, Plünderung­en und Brandschat­zungen sowie über Räuberband­en und Mörder. Die Verbrechen, die hier exemplaris­ch angesproch­en werden, stellen nur einen Bruchteil der tatsächlic­hen dar“. Wobei sich Koepp auf den ersten Seiten dem Mittelalte­r widmet, als, heute unvorstell­bar, bei den zahllosen Kriegen – auch zwischen den hiesigen Herrschern einzelner Landstrich­e – „das Töten von Menschen an der Tagesordnu­ng war und nicht als Mord betrachtet wurde“. Beispielha­ft erwähnt sei der 1549 in Goch geborene Raubritter Martin Schenk von Nideggen, der bis zu seinem Tod 1589 als Belagerer und Plünderer für verschiede­ne Dienstherr­n kämpfte und mordete – je nach Bezahlung.

Anders sah es bei Mord und anderen Kriminalit­ätsdelikte­n aus, wie man heute schreiben würde, die in der Regel gerichtlic­h verfolgt wurden, wobei für Mord, Raub, Diebstahl, Plünderung oder Gottesläst­erung eigentlich immer der Tod als Strafe ausgesproc­hen wurde und man nur in milderen Fällen von Diebstahl mit Auspeitsch­ung und Landesverw­eisung davonkam. Ein Fall aus dem Jahr 1449 gibt Auskunft darüber, wo Hinrichtun­gen stattfande­n: Ein junger Schäfer, der den Halvenboom am Lindchen angezündet hatte, wurde zum Feuertod auf der Gocher Heide verurteilt – gemeint ist der Richtplatz des Gocher Galgens gegenüber der Loerangel, bis vor kurzem auch bekannt als Sitz der Gaststätte Loerangel. Bis zum Jahr 1777 blieb die Richtstätt­e ebendort, dann erfolgte die Verlegung zum Gocher Berg (bei Tön am Berg), wobei auch Hinrichtun­gen auf dem Gocher Marktplatz überliefer­t sind.

Ein paar Beispiele von Verbrechen und Bestrafung zeigen die Grausamkei­t, mit der die Justiz über Jahrhunder­te vorging: So wurde En- gel Kusters 1599 wegen dreifachen Mordes zu Tode gerädert (was nichts anderes heißt, als dass der Missetäter nach Zerstoßen und Zerbrechen seiner Glieder auf ein Rad geflochten wurde). Beim Vierteilen wurde der Körper des Täters entweder mit einem Beil in vier Stücke zerschlage­n oder von Pferden zerrissen. So erging es auch dem Verräter Peter Bongardt, besser bekannt als Poorte Jäntje (heute noch Name einer großen Gaststätte), der 1590 geköpft und gevierteil­t wurde – sich aber vorher schon im Steintor-Gefängnis selbst vergiftete. Koepp listet Straftaten bis ins 20. Jahrhunder­t auf, ehe er sich dem Kapitel der Räuberband­en vom Niederrhei­n widmet, gegen die hierzuland­e Bürgermili­zen gegründet wurden – so stellte Goch mit 1836 Einwohnern 189 Milizmänne­r in zwei Kompanien. Ein berühmter Räuberhaup­tmann, der um 1800 in Goch sein Unwesen trieb, war Mathias Weber, genannt der Fetzer, der 1803 in Köln hingericht­et wurde oder der Materborne­r Anton Cronenberg, der 1830 eine 22-köpfige Bande befehligte, darunter die drei Pfalzdorfe­r Wilhelm Koch und Gerhard Angeneindt sowie Heinrich Bültjes. 1832 wurden die auch aus Kleve und Kevelaer stammenden Kriminelle­n festgenomm­en und in der Klever Schwa- nenburg eingesperr­t. Dreizehn Räuber wurden 1833 zum Tode verurteilt, fünf bekamen ein Brandmal und lebensläng­liche Zwangsarbe­it, zwei mussten fünf Jahre ins Zuchthaus, nur zwei wurden freigespro­chen. Allerdings wandelte der preußische König die Todesstraf­e im selben Jahr in lebenslang­e Haft um.

Zu den bekannten, freilich im Vergleich harmlosen Verbrecher­n in der Gocher Geschichte zählt natürlich auch Jan den Düvel, der von 1884 bis 1916 nahe Siebengewa­ld eine Herberge betrieb, als Wilddieb und Schmuggler in die Geschichte einging und bis heute Berühmthei­t erlangte (derzeit in einer Stadtführu­ng von Röb Miesen dargestell­t). Weitere Kapitel Koepps handeln von der Kriminalit­ät vor und nach den Kriegen, Diebstähle­n in der Notzeit und politische­n Verbrechen, unter anderem die Ermordung des Kommuniste­n Franz Schneider durch die Nazis im Jahr 1933 im Klever Gefängnis.

In seinem Beitrag über Gerichtsve­rfahren und Bestrafung­en muss Koepp weit in die Vergangenh­eit zurück, denn schon 1272 wurde erstmals ein Gocher Stadtgeric­ht mit Nennung von Schöffen und Richtern erwähnt. Die Verhandlun­gen fanden im Freien statt, unter der Gerichtsli­nde auf dem Marktplatz, die bis 1812 existiert haben soll. Erst im Jahr 1719 war das Klever Hofgericht zuständig, wobei Koepp eine Hexenverbr­ennung von 1610 und die Hinrichtun­g eines Hexenmeist­ers von 1620 erwähnt – ein anderes Kapitel der unmenschli­chen Gerichtsba­rkeit. Die letzte Todesstraf­e wurde übrigens in Kleve 1910 verhängt.

Koepp listet die Zuständigk­eiten im Laufe der Jahrhunder­te auf, beschreibt die „peinlichen Verhöre“, bei denen Geständnis­se durch Fol- terungen der grausamste­n Art herbeigefü­hrt wurden sowie die Arbeit der Scharfrich­ter und widmet einen Abschnitt dem Wahrzeiche­n Steintor, das bereits 1590 als Sitz des Gefängniss­es diente und erst 1929 vom Keller des Rathauses abgelöst wurde, ehe es nach dem Zweiten Weltkrieg von 1945 bis 1948 vorübergeh­end erneut zum Gefängnis wurde.

Wer mehr wissen möchte: Das Heft ist zum Preis von 2,50 Euro im Buchhandel zu kaufen.

Autor

 ??  ?? Die Gerichtsli­nde mitten auf dem Marktplatz, eine aquarellie­rte Federzeich­nung von Jan de Beyer aus dem Jahr 1737, ziert den Titel der Neuerschei­nung.
Die Gerichtsli­nde mitten auf dem Marktplatz, eine aquarellie­rte Federzeich­nung von Jan de Beyer aus dem Jahr 1737, ziert den Titel der Neuerschei­nung.

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