Bis zum bitteren Ende
Seit vier Jahren verhandelt das Oberlandesgericht München die rechtsextremen Morde des Terror-Trios NSU. Teile des größten Prozesses der Nachkriegsgeschichte gerieten zur Farce. Auf den letzten Metern bis zum Urteil ist es nicht anders.
MÜNCHEN/DÜSSELDORF Der 374. Tag im NSU-Prozess in Sitzungssaal A 101 des Oberlandesgerichts München ist ein Sinnbild der vergangenen vier Jahre. Dieser 374. Tag verläuft wie das gesamte Verfahren – unbefriedigend. Die Erwartungen sind hoch, die Übertragungswagen der Fernsehsender stehen bereit, Angehörige sind aus weiter Ferne angereist, die Besucherplätze nach so langer Zeit endlich einmal wieder gefüllt. Und dann werden diese hohen Erwartungen nicht erfüllt: die Hoffnung auf Gerechtigkeit, aber vor allem die Hoffnung auf ein Ende dieses juristischen Irrsinns. Die Rechtsanwälte der fünf Angeklagten führen das Gericht einmal mehr vor. So oft schon haben sie den Prozess verschleppt; nun verhindern sie eben auch, dass die Bundesanwaltschaft mit ihrem Plädoyer beginnen kann.
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte am Dienstag diesen einen Satz gesagt, auf den die 71 Nebenkläger sehnlichst gewartet hatten. „Dann schließe ich jetzt die Beweisaufnahme“, hatte Götzl genuschelt. Die Bundesanwaltschaft sollte daraufhin gestern mit ihrem 22 Stunden langen Plädoyer beginnen. Die Nachricht kam wie ein Weckruf in ein Verfahren, das einfach zu lange dauert, als dass es permanente Aufmerksamkeit erfahren könnte. Die Nachricht kündete vom Ende des größten Prozesses der bundesrepublikanischen kriegsgeschichte.
Doch das Ende wird sich abermals verzögern. Die Verteidiger der Angeklagten um Beate Zschäpe haben verlangt, dass das Plädoyer, also die zusammenfassende letzte argumentative Mahnung an das Gericht, auf Tonband aufgenommen wird. Das Gericht musste sich dazu beraten – und zum ersten Mal den Verhandlungstag unterbrechen. Am späten Mittag verkündete Manfred Götzl, dass man die drei Bundesanwälte während ihres Vortrags nicht aufnehmen werde. Eine Tonaufnahme, sagte Götzl, sei für eine „sachgerechte Verteidigung“nicht erforderlich. Ein kurzer Lichtblick, eine klei-
Nach- ne Hoffnung, doch noch mit den Plädoyers zu beginnen.
Aber dieser kurze Lichtblick war bloß das mickrige Flimmern eines Teelichts. Denn gegen Götzls Entscheidung begehrten die Verteidiger auf. Zunächst war es an Olaf Klemke, dem Anwalt des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, der das Wort erhob. Wenn schon kein Tonband, sagte Klemke, dann doch bitte einen Stenotypisten, der eine Mitschrift des Plädoyers verfasst. Sämtliche Verteidiger der fünf Angeklagten schlossen sich dieser Forderung an. Manfred Götzl blieb nichts anderes übrig, als das Verfahren einmal mehr zu unterbrechen. Am nächsten Dienstag soll die Verhand-
Die Ferien sind ein guter Gradmesser für die wachsenden sozialen Unterschiede in der Gesellschaft. Da sind die Familien, die gerade Flieger besteigen, die sie an weit entfernte Ziele bringen. Ein Urlaub in Afrika, Kanada oder ein paar Tage New York sind inzwischen für manche Familien auch mit mehreren Kindern durchaus in Reichweite. Zugleich gibt es die Hierbleiber, Kinder, die ihre Tage im Freibad oder mit Jugendgruppen in Naherholungsgebieten verbringen, weil für Exotischeres das Geld nicht reicht.
Natürlich ist überhaupt nicht gesagt, welcher Urlaub für die Kinder erfüllter sein wird. Am Ende zählen immer die menschlichen Bindungen, die ein Jugendlicher aufbauen konnte. Jahre später wird er sich sicher eher an den besten Freund auf dem Zeltplatz erinnern als an irgendwelche Besichtigungsziele – und seien sie noch so spektakulär. lung weitergehen und die Plädoyers beginnen – auch dies muss man mit einem „voraussichtlich“versehen. Der findigen Verteidigung fällt gewiss noch der eine oder andere Antrag ein, der auch dies verhindern könnte. Mindestens 33 Befangenheitsanträge gegen das Gericht haben die Anwälte seit dem 6. Mai 2013, dem ersten Prozesstag, gestellt.
Im Laufe dieser juristischen Schlammschlacht gerät das große Ziel dieses Verfahrens vermehrt aus dem Blick. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt und den Angehörigen der zehn mutmaßlichen Todesopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“(NSU) die vollständige Aufklärung der Taten versprochen. Einen großen Teil dieses Versprechens sollte der Mammutprozess in München einlösen.
Als einziges Mitglied des NSU ist Beate Zschäpe angeklagt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr Mittäterschaft an zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen mit vielen Verletzten und mehr als ein Dutzend Raubüberfällen vor. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sollen die neun rassistischen Morde und den Mord an einer Polizistin unmittelbar ausgeführt haben. Sie hatten sich nach einem missglückten Bankraub im November 2011 das Leben genommen. Neben Zschäpe sitzt auch Ralf Wohlleben in Untersuchungshaft. Er soll die Mordwaffe organisiert und auch ge- wusst haben, wozu die Ceska eingesetzt werden sollte. Ihm wirft die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Mord vor.
Trotz der holprigen Verhandlung ist zu erwarten, dass die Bundesanwälte die Vorwürfe aufrechterhalten werden. Sie werden für Beate Zschäpe wohl eine lebenslange Freiheitsstrafe verlangen. Doch der argumentative Aufwand ist hoch. Wenn ein Mensch einen anderen tötet, so ist dies für Strafermittler schon schwierig genug zu beweisen. Wenn man einem Menschen aber vorwirft, dass er das Heft des Handelns von zehn Morden in der Hand hielt, dann ist die Beweisführung noch erheblich schwieriger. Genau dies aber müssen die Bundesanwälte Zschäpe nachweisen: dass sie die planvoll lenkende Gestalt im Hintergrund des Terror-Trios war.
Als Zschäpe im September 2016 erstmals im Verfahren selbst das Wort ergriff, sprach sie seltsame Sätze. „Ich verurteile das, was Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Opfern angetan haben, sowie mein eigenes Fehlverhalten“, hatte sie damals gesagt. Für schuldig hält sie sich indes nicht.
Im Strafprozess gibt es das Beschleunigungsgebot. Es besagt: Das Verfahren ist zügig durchzuführen. Das klingt nach 374 Verhandlungstagen und andauernden Verzögerungsanträgen der Verteidigung wie Hohn. Aber es gibt noch eine Hoffnung. Sie heißt: Verhandlungstag Nummer 375.
Klassenunterschiede beim Reisen Wie Familien ihren Urlaub verbringen, ist keine reine Luxusfrage. Ökonomische Unterschiede wirken sich auch auf spätere Chancen von Kindern aus. Manche fühlen sich darum berufen, die Freizeit von Jugendlichen mitzugestalten.
Allerdings macht es doch einen Unterschied, ob ein junger Mensch schon während seiner Schulzeit einen Eindruck von anderen Kulturen bekommen, sein Schulenglisch, -spanisch oder -französisch mal ausprobieren konnte oder ob die Nachtwanderung durch den Wald in der Eifel die Herausforderung seiner Sommerferien war.
Die Deutschen werden oft belächelt für ihre Sehnsucht nach sozialer Ausgewogenheit. Und natürlich sind die Unterschiede, die sich da im Urlaub abzeichnen, im Vergleich zu den Verhältnissen in vielen anderen Ländern lächerlich gering. Auch das kann man auf Reisen erleben. Doch gerade beim Thema Ferien wird deutlich, dass es zu einfach ist, Gleichheitsdebatten als Sozialneid abzutun. Den gibt es sicher auch. Der rheinische Gelassenheitsgrundsatz „Man muss och jönne könne“mag manchen Leuten schwer fallen. Ökonomische Unter- schiede werden aber immer dann brisant, wenn sie sich auf die Chancen von Menschen auswirken, wenn es nicht nur um Vergnügen, um ein bisschen mehr oder weniger Luxus geht, sondern etwa darum, wie junge Menschen sich die Welt erschließen, was sie entdecken dürfen, wie sie sich ausprobieren und so fort.
Darum ist es keineswegs zu belächeln, wenn Menschen sich aus Ungerechtigkeitsempfinden um Ausgleich bemühen und etwa als Begleiter von Jugendgruppen etwas von ihrer Sommerzeit hergeben. Oder wenn Familien, die sich mehr leisten können, einen Schulfreund der eigenen Kinder mit in die eigenen Ferien nehmen. Es sind diese kleinen Entscheidungen, die einen Unterschied machen. Sich um Chancengerechtigkeit zu bemühen, ist ein Dienst an der Gesellschaft. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de