Rheinische Post Kleve

Für zehn Tage Kleverin

- VON MAXIMILIAN KRONE

Claudia Vespermann kommt mit ihren Fahrgeschä­ften seit 30 Jahren zur Klever Kirmes. Dieses Jahr mit Breakdance­r und viel Technik. Unser Autor hat sie einen Vormittag lang auf dem Volksfest begleitet – und ein bisschen mit angepackt.

KLEVE Die Nacht für Claudia Vespermann war mal wieder kurz. Schon am Vormittag, lange bevor die ersten Geschäfte auf der Klever Kirmes öffnen und Besucher auf den Platz strömen, ist die 43-Jährige unterwegs. Ihr gehört der Breakdance­r No. 2, einer der größten Attraktion­en auf der Kirmes. Wer glaubt, der Tag beginnt für die Schaustell­er und ihre Mitarbeite­r erst bei Öffnung der Kirmes, der irrt. Geschäftig wird das Karussell gereinigt, während Claudia Vespermann sich um Finanzen, Genehmigun­gen und die sonstige Verwaltung kümmert.

Auch unter dem Fahrgeschä­ft, dort wo sonst kein Besucher hinkommt, ist einiges los. Überall liegen Kabel, sind Motoren und Gewinde zu sehen. Letztere müssen an jedem Morgen neu mit zähem Fett bestrichen werden. Schließlic­h, so sagt Vespermann, soll ab dem Mittag alles ohne zu stocken laufen. Montiert ist das Herzstück der Anlage auf einem Lkw-Auflieger, der mit hydraulisc­hen Stützen gesichert auf dem leicht abschüssig­en Platz steht. „Insgesamt 42 Tonnen wiegt dieser Aufbau. Gezogen wird er von einer 15 Tonnen schweren Zugmaschin­e“, sagt Vespermann.

Und das erweist sich nicht selten als Problem. Denn für jede Fahrt zu einem neuen Standort benötigt die Schaustell­erin eine Sondergene­hmigung. „Deshalb planen wir die Strecken schon weit im Voraus. Meist können wir nicht den direkten Weg nehmen, sondern müssen große Umwege fahren“, sagt sie. Wegen der Größe des Schwertran­sporters könne das Karussell beispielsw­eise auch nicht auf Festen in engen Innenstädt­en aufgestell­t werden. Für den Aufbau sorgen sechs fest angestellt­e Mitarbeite­r. Drei bis vier Tage benötigen sie meist dafür. Um das gesamte Fahrgeschä­ft zu transporti­eren, sind sechs Transporte­r nötig. Übernachte­t wird in einem Wohnwagen.

Damit oberhalb des Technikber­eichs so richtig Stimmung aufkommt, wird Strom benötigt – viel Strom. Während der Klever Kirmes verbraucht der Breakdance­r so viel Strom wie drei Einfamilie­nhäuser im Jahr. Dafür ist ein 350-KilowattAn­schluss nötig. Rund fünf Kilometer Kabel verteilen den Strom dann an viele tausend Lampen, Lautsprech­er und natürlich an die Motoren.

Und das nun schon seit 30 Jahren. Damals ließ Claudia Vespermann­s Mutter das Geschäft eigens von ei- ner Fachfirma bauen. „Sie hat dafür 3,5 Millionen Euro bezahlt“, sagt sie. Das Geld dafür hatte sie aber nicht. „Die Familie hat daher fast alles, was sie besaß, als Sicherheit bei der Bank hinterlegt“, sagt Vespermann.

Inzwischen hat sich das Geld natürlich wieder eingespiel­t. Es sei aber nicht so, dass der Breakdance­r nun nur noch eine sprudelnde Einnahmequ­elle sei. „Was viele vergessen ist, dass so ein Fahrgeschä­ft auch gewartet werden muss“, sagt die 43-Jährige. Erst kürzlich habe sie 1700 neue Glühbirnen bestellt, wichtige Ersatzteil­e wie Gondeln oder Motoren lagern in Bremen, wo die Familie Vespermann wohnt. Dazu kämen Kosten für die allgemeine Wartung, Personal, Strom und Sprit – zusammen eine fünfstelli­ge Summe allein für die Klever Kirmes. Das erklärt laut Vespermann auch die in den vergangene­n Jahren immer weiter gestiegene­n Preise. „Eigentlich müssten wir statt 3,50 Euro vier Euro pro Fahrt verlangen, damit es sich wirklich lohnt, aber das wollen wir erstmal noch nicht“, sagt die Schaustell­erin.

Claudia Vespermann selbst bezeichnet sich als Vollblut-Schaustell­erin. Sie ist nun schon in fünfter Generation auf den Jahrmärkte­n der Republik unterwegs. Ihr Mann Andreas, der ebenfalls aus einer Schaustell­erfamilie stammt, sogar schon in der sechsten Generation. Bis auf ein paar Wochen im Frühjahr, ist das Ehepaar nicht zu Hause. Der Begriff sei sowieso relativ, ihr Zuhause sei immer dort, wo gerade das Karussell stünde. „Wenn ich in Kleve bin, bin ich zehn Tage Kleverin“, sagt Vespermann. Inzwischen sind auch die beiden 20- und 21jährigen Söhne Teil des Unternehme­ns. Auf die Mutter mussten sie während ihrer Kindheit allerdings oft verzichten. „Wir standen irgendwann vor der Frage, ob wir ihnen die bestmöglic­he Bildung ermögliche­n oder sie mitnehmen sollen“, sagt Vespermann. Sie entschiede­n sich für ersteres. Die Söhne machten Abitur und eine Lehre in Bremen, gehütet wurden sie bis zur zehnten Klasse von einem Hausmädche­n.

An Generation­enwechsel sei aber noch nicht zu denken, sagt die 43Jährige. „Die beiden müssen das Ganze noch ein bisschen begleiten, bis sie alleine fahren können.“In die Zukunft blickt die Schaustell­erin mit gemischten Gefühlen. Denn der Trend sei klar: „Die Einnahmen sind noch zufriedens­tellend, die Ausga- ben nicht“, sagt Vespermann. „Der Breakdance­r ist meine Altersabsi­cherung. Wenn es dort nicht läuft, bleibt nicht viel übrig“, sagt sie. Nicht selten habe sie daher bereits über ein Ende als Schaustell­erin nachgedach­t, besonders, wenn die Nacht mal wieder kurz und die Fahrt mit dem Transporte­r mal wieder lang und anstrengen­d gewesen sei. „Nach kurzer Zeit fange ich mich dann aber wieder, schaue mir mein Fahrgeschä­ft an und denke, dass ich hier genau richtig bin“, sagt Claudia Vespermann.

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