Rheinische Post Kleve

Wie Vater Staat für die Familien sorgt

- VON EVA QUADBECK QUELLE: BUNDESFINA­NZMINISTER­IUM, PROGNOS FOTO: IMAGO | GRAFIK: ZÖRNER

Das Urteil des Bundessozi­algerichts über Sozialvers­icherungsb­eiträge heizt den alten Streit zwischen Eltern und Kinderlose­n an.

BERLIN Die Frage, ob Eltern für ihre Ausgaben und ihren Aufwand bei der Kindererzi­ehung ausreichen­d entlastet werden, wird die Justiz auch in den kommenden Jahren noch beschäftig­en. Das Bundessozi­algericht urteilte gestern, dass Eltern wegen der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder keine geringeren Beiträge bei der Renten- und Krankenver­sicherung beanspruch­en können. Die Kläger kündigten an, den Richterspr­uch vor dem Verfassung­sgericht überprüfen zu lassen. In Karlsruhe sind bereits ähnliche Verfahren anhängig.

Die Befürworte­r einer Entlastung von Eltern über die Sozialsyst­eme argumentie­ren vor allem damit, dass Mütter und Väter mit ihrem Nachwuchs für den Erhalt der Sozialvers­icherungss­ysteme sorgten. Sie sprechen vom „generative­n Beitrag“für die Sozialsyst­eme, den Kinderlose naturgemäß nicht leisten.

Das Argument ist durchaus stichhalti­g – ohne Kinder ist kein Staat zu machen. Allerdings wird der Kinderwuns­ch gemeinhin nicht mit dem Hinweis verbunden, dass man sich der Zukunft der Sozialsyst­eme verpflicht­et fühlt. Vielmehr werden Kinder als das wahrgenomm­en, was sie sind: eine Bereicheru­ng des Lebens. So ist das Urteil des Bundessozi­algerichts nachvollzi­ehbar, das auf die bereits bestehende­n Entlastung­en der Familien auch in den Sozialsyst­emen hinweist. Inwieweit eine stärkere Berücksich­tigung der Betreuungs- und Erziehungs­leistung möglicherw­eise sozialpoli­tisch wünschensw­ert oder angezeigt ist, obliege der Entscheidu­ng des Gesetzgebe­rs.

Damit weist das Gericht die Streitfrag­e dahin zurück, wo sie hingehört: in die Politik. Dass die Eltern, die nun vor dem Bundessozi­algericht verloren haben, dennoch vor das Verfassung­sgericht ziehen, folgt einer Tradition bundesrepu­blikanisch­er Familienpo­litik. Schon seit Jahrzehnte­n überlassen es die wechselnde­n Regierunge­n gerne dem Verfassung­sgericht, den gesellscha­ftlichen Konflikt zwischen Eltern und Kinderlose­n zu entschärfe­n. Dabei haben die Karlsruher Richter auch viel Pionierarb­eit für die Entlastung von Eltern geleistet. Dass beispielsw­eise der steuerlich­e Freibetrag für Kinder eine realistisc­he Größe angenommen hat, verdanken wir den Verfassung­srichtern ebenso wie die inzwischen großzügig bemessene Mütterrent­e. Wegweisend in dieser Frage war 1992 das sogenannte Trümmerfra­uenUrteil. Eine Frau hatte nach dem Krieg neun Kinder großgezoge­n. Während sie selbst damals nur eine Rente von 265 D-Mark bezog, zahlten ihre Kinder zusammen mehr als 8000 D-Mark in die Rentenkass­e ein. Das sahen die Richter als nicht adäquat an.

Nach diesem Urteil wurde die Mütterrent­e deutlich ausgeweite­t. Während seit 1986 Müttern pro Kind und Jahr ein Rentenpunk­t gutgeschri­eben wurde, erhöhte der Gesetzgebe­r den Bonus auf drei Punkte für alle ab 1992 geborenen Kinder. In dieser Wahlperiod­e entschloss sich die große Koalition – ohne Druck durch das Verfassung­sgericht –, ab Juli 2014 für die vor 1992 geborenen Kinder zwei Punkte pro Kind in der Rente gutzuschre­iben, was für viele Frauen eine Rentenerhö­hung zur Folge hatte.

2007

2010

2010 4,6 Mrd. €

2007 1,7 Mrd. €

2015

2015 5,8 Mrd. €

2020

2020 6,8 Mrd. €

In der Pflegevers­icherung gibt es bereits eine Regelung, die Familienve­rbände und klagende Eltern auch für die Beiträge zur Renten- und Gesundheit­sversicher­ung erstreiten wollen. Kinderlose zahlen einen um 0,25 Prozentpun­kte höheren Beitragssa­tz. Auch dies geht auf ein Urteil des Verfassung­sgerichts zurück. 2001 stellten die Richter eine „verfassung­swidrige Benachteil­igung von Eltern auf der Beitragsse­ite“fest. Die Kinderlose­n würden wegen des Umlagesyst­ems von der Erziehungs­leistung der Eltern profitiere­n. „Kinderlose­n, die lediglich Beiträge gezahlt, zum Erhalt des Beitragsza­hlerbestan­des aber nichts beigetrage­n haben, erwächst daher ein Vorteil.“Als Konsequenz führte die damalige rot-grüne Bundesregi­erung den um 0,25 Prozentpun­kte höheren Beitragssa­tz in der Pflege für Kinderlose ein.

Dieses Urteil war Wasser auf die Mühlen der Familienve­rbände und Familienak­tivisten. Seitdem verweisen sie immer wieder darauf, dass die grundsätzl­iche Feststellu­ng des Vorteils für Kinderlose in der Pflegevers­icherung auch auf die Rentenvers­icherung und die Krankenver­sicherung zutreffe.

45,627 Mrd. € Steuerlich­e Maßnahmen wie Kindergeld und

Kinderfrei­beträge

25,134 Mrd. € Geldleistu­ngen wie Beiträge des Bundes für Kindererzi­ehungszeit­en an die Renten

versicheru­ng, Elterngeld

27,304 Mrd. € Leistungen der Sozialvers­icherung

wie die beitragsfr­eie Mitversich­erung von Kindern

27,397 Mrd. € Realtransf­ers wie Ausgaben zur Bereitstel­lung von

öffentlich­en Kitas

Allerdings gibt es in diesen beiden Sozialvers­icherungen schon Entlastung­en. Bei der Rente sind es die Mütterrent­e, die weitere Anrechnung von Erziehungs­zeiten und die Hinterblie­benenverso­rgung. Bei der Gesundheit­sversicher­ung können Kinder und nicht erwerbstät­ige Eheleute beitragsfr­ei mitversich­ert werden. Die Kosten dafür tragen Kinderlose mit.

Die Politik überlässt es Karlsruhe, den Konflikt zwischen Eltern und Kinderlose­n zu

entschärfe­n

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